hier Frankfurter Rundschau 22.11.2024,Von: Michael Kopatz für die Kolumne „Öko-logisch“.
Die GaslügeSeit ich mich für den Klimaschutz engagiere, waren Kohle und Öl böse. Gas hingegen hatte gewissermaßen ein Öko-Image.
Die Stadtwerke sollten ihr Gasnetz systematisch zurückbauen. Manche verdrängen das Problem
Vor einigen Jahren hatte ich ein Erweckungserlebnis. Damals war ich im Aufsichtsrat der Stadtwerke Osnabrück und der Geschäftsführer hat uns erzählt, was die Unterhaltung der Gasleitungen jährlich an Kosten verursacht. Regelmäßig werden Straßen aufgebuddelt, um Gasleitungen zu sanieren. Viele Millionen kommen da Jahr für Jahr zusammen. Zugleich war schon lang vor der Ukrainekrise klar, dass es mit dem Gas so nicht weitergehen kann. Also zumindest, wenn man das Thema Klimaschutz nicht ignorieren möchte.
Seit ich mich für den Klimaschutz engagiere, waren Kohle und Öl böse. Gas hingegen hatte gewissermaßen ein Öko-Image. Der Staat hat effiziente Gasbrennwerttherme gefördert und man war progressiv, wenn man beim Heizungstausch auf diese Technik umgestiegen ist. Und nun, quasi von heute auf morgen, gilt das alles nicht mehr? Ja, so ist es. Noch schlimmer, Gas war nie öko. Die Zeit spricht gar von der Gaslüge (siehe unten) Aber das nur am Rande. Zurück zu den Kosten für die Erhaltung und Unterhaltung des Gasnetzes. Ich habe damals die Geschäftsführung gefragt, wie man denn damit umgehen wolle, wenn bald überall Wärmepumpen installiert werden, ja müssen. Irgendwann würden die Gasleitungen ja extrem teuer, für kontinuierlich schrumpfende Haushalte mit Gasanschluss.
Die Stadtwerke müssen ihr Gasnetz systematisch zurückbauen. Die Sanierung von Gasleitungen ist zu vermeiden. Stattdessen gilt es, die angeschlossenen Haushalte auf alternative Wärmekonzepte umzustellen. Die Stadtwerke Mannheim haben ihrer Kundschaft schon 2021 klar gesagt, dass sie ab 2035 kein Gas mehr liefern werden. Manche verdrängen mehr oder weniger das Problem und hoffen darauf, ihr kostbares Gasnetz später für Wasserstoff zu verwenden. Heizen mit Wasserstoff dürfte allerdings mindestens siebenmal teurer sein als mit der Wärmepumpe.
Zurzeit verhalten sich viele Stadtwerke beim Thema Gas wie die Automobilindustrie beim Elektroauto. Zu viele Jahre hat man Klimastandards bekämpft, die Herausforderung verdrängt. Und nun kommt es ganz dick. Ich verstehe ja, dass kommunale Energieversorger sehr unglücklich mit der Situation sind, dass die Milliarden Investitionen in ihre Gasnetze in den nächsten 20 Jahren überflüssig sein werden. Aber den Kopf in den Sand stecken und einfach weitermachen ist keine Lösung, sondern Kapitalvernichtung.
Michael Kopatz ist Dezernent für Klimastrukturwandel in Marburg.
hier Von Uwe Jean Heuser und Ricarda Richter Aus der ZEIT Nr. 43/2024 14. Oktober 2024
Die Gaslüge
Erdgas ist sauber und klimafreundlich – auf dieser Annahme beruht die gesamte deutsche Energiepolitik. Das Problem ist nur: Sie stimmt nicht
Die Geschichte vom sauberen Gas, die in Deutschland weit verbreitet ist, wird durch die Arbeit von Théophile Humann-Guilleminot, einem Umweltaktivisten, in Frage gestellt. Mit einer Wärmebildkamera entdeckt er in Tschechien undichten Methanausstoß aus Erdgasanlagen, der die Klimabilanz des Gases stark beeinträchtigt. Die offiziellen Statistiken zur Klimabilanz berücksichtigen solche Emissionen nicht, was die deutsche Energiepolitik, die auf Gas setzt, in Frage stellt.
Die Diskussion um grünes Gas und die Förderung von Wasserstoff als Alternative wird von der Gaslobby vorangetrieben, während Experten wie Christian von Hirschhausen und Eicke Weber auf die Effizienz und Kosten von erneuerbaren Energien wie Sonne und Wind hinweisen. Letztendlich könnte die wirtschaftliche Logik den Sieg über die Gasindustrie bringen, wenn erneuerbare Energien den Markt dominieren.
Gas rußt nicht. Und Gas klebt nicht. Anders als Kohle färbt es den Himmel nicht schwarz, wenn es aus dem Schornstein dringt. Anders als Öl bildet es keinen schmierigen Film auf dem Meer, wenn eine Pipeline platzt. Vielleicht sind das schon zwei Gründe für seinen Erfolg und dafür, dass sich diese Geschichte so weit verbreitet hat, gerade in Deutschland, und dass sie sich so hartnäckig hält. Die Geschichte vom sauberen Gas.
Sie geht ungefähr so: Ja, Gas ist ein fossiler Energieträger. Und ja, wenn man Gas verbrennt, entsteht Kohlendioxid, aber viel weniger, als wenn man Kohle oder Öl verbrennt. Deshalb ist es für eine Regierung eine gute Idee, auf Gas zu setzen, zumindest für den Übergang, bis es genug Sonnen- und Windkraftanlagen gibt, um das ganze Land mit grüner Energie zu versorgen.
Das ist, in wenigen Sätzen, die Grundlage der deutschen Energiepolitik. Einer Politik, wie sie die große Koalition unter Angela Merkel verfolgte und wie sie auch die Ampelkoalition unter Olaf Scholz betreibt. Und natürlich ist diese Geschichte nicht falsch. Beim Verbrennen von Erdgas entsteht tatsächlich nur halb so viel Kohlendioxid wie beim Verbrennen von Kohle und höchstens drei Viertel so viel wie beim Verbrennen von Öl. Aber an diesem Punkt ist die Geschichte eben nicht zu Ende. Eigentlich geht sie jetzt erst los......
Wenn in der Anlage, vor der Humann-Guilleminot jetzt steht, alles so wäre, wie es sein soll, würde er auf dem Bildschirm der Wärmebildkamera nur die Umrisse der Rohre sehen, ein flackerndes Bild aus Orangestufen. Doch stattdessen ziehen sich schwarz-weiße Rauchschwaden über den Bildschirm, als stünde die Anlage in Brand. Sie türmen sich auf, verwirbeln in der Luft, werden vom Wind davongetragen.....
Nun könnte man meinen, es sei nicht sonderlich tragisch, wenn eine Rohrleitung undicht ist, das habe auf die Klimabilanz von Erdgas keinen Einfluss. Wenn Öl aus einer Pipeline tropft, entstehen ja auch keine klimaschädlichen Emissionen – sondern nur, wenn man es verbrennt.
Beim Erdgas aber ist das anders.
Erdgas besteht zu mindestens drei Vierteln aus Methan. Und Methan ist für sich genommen bereits ein Treibhausgas, man muss es nicht erst verbrennen, damit sich eine klimaschädliche Substanz bildet. Es ist sogar um ein Vielfaches gefährlicher als Kohlendioxid.
Ist Erdgas gar nicht klimafreundlicher als Kohle?
Humann-Guilleminot war mit seiner Wärmebildkamera schon in Griechenland, Spanien und Italien unterwegs, auch in Deutschland, Frankreich, Großbritannien und Rumänien. "In Rumänien war jedes einzelne Gasbohrloch undicht", sagt er, dort sei es besonders schlimm.
Auch in Tschechien stößt fast jede Anlage, die Humann-Guilleminot aufsucht, kontinuierlich Methan aus, darunter viele, die bis vor einem Jahr zu einer Tochtergesellschaft des deutschen Energiekonzerns RWE gehörten und nun verstaatlicht wurden. Jedes Mal, wenn er etwas findet, drückt Humann-Guilleminot auf seiner Kamera den Aufnahmeknopf und macht ein Video. "Das sind die Beweise, dass etwas schiefläuft."
Etwas läuft schief. Die offiziellen Statistiken, die den Treibhausgas-Ausstoß eines Landes beziffern und den Erfolg oder Misserfolg der Energiepolitik einer Regierung sichtbar machen, beruhen auf zwei Faktoren. Da sind zum einen die Emissionen, die durch Verbrennung entstehen, in Haushalten, im Verkehr, in Kraftwerken. Sie ergeben sich durch die verkaufte Brennstoffmenge – wie viel Heizöl nachgefragt, wie viel Diesel getankt, wie viel Kohle verfeuert wurde. Die Rechnung ist einfach, das Ergebnis genau.
Daneben gibt es aber noch andere klimaschädliche Emissionen – etwa die von Rindern in der Landwirtschaft, in deren Mägen Methan entsteht. Oder eben den ungewollten Austritt von Erdgas aus Pipelines. Diese Emissionen lassen sich lediglich vage schätzen, es sei möglich, dass ihr tatsächliches Ausmaß sehr viel größer ist als angenommen, heißt es im Umweltbundesamt, das in der Bundesrepublik für die Berechnung zuständig ist. Hinzu kommt, dass das in Deutschland verbrannte Gas zum Großteil aus dem Ausland stammt. Und all das Gas, das auf dem langen Weg nach Deutschland durch Rohre, Speicher und Verteilstationen in die Atmosphäre entweicht, taucht in der deutschen Statistik gar nicht auf.
Wenn ein Land – so wie die Bundesrepublik – von Kohle auf Gas umsteigt, verbessert es daher seine offizielle Klimabilanz. Obwohl die klimaschädlichen Emissionen in Wahrheit womöglich gar nicht sinken, weil dafür jetzt mehr Methan freigesetzt wird. Das ist der Verdacht, der entsteht, wenn man Humann-Guilleminot bei seiner Arbeit begleitet....
Nur: Die deutschen Erdgasfelder waren viel zu klein. Woher sollte das Gas kommen?
Aus Russland. Dort, in Sibirien, waren nach dem Zweiten Weltkrieg große Erdgasvorkommen entdeckt worden. Allerdings war die damalige Sowjetunion technisch und wirtschaftlich nicht in der Lage, das riesige Pipelinenetz zu bauen, das nötig war, um das Gas außer Landes zu schaffen. Die Lösung boten die sogenannten Erdgas-Röhren-Geschäfte der Siebzigerjahre: Die deutsche Industrie produzierte die Pipelinerohre und verkaufte sie an die Sowjetunion, die wiederum das Gas an die Bundesrepublik verkaufte.
In der Folge wurden auch hierzulande Tausende Kilometer Gasleitungen verlegt, für Heizungen und für Kraftwerke. .....Schon Anfang der Sechzigerjahre hatte der damalige SPD-Kanzlerkandidat Willy Brandt gefordert: "Der Himmel über dem Ruhrgebiet muss wieder blau werden." Erdgas erschien da als saubere Alternative.........
"Gas ist sexy"
Gas ist zwar ein fossiler Brennstoff, aber trotzdem irgendwie gut. Das ist die Botschaft, die sich in den Folgejahren in zahllosen Bundestagsreden, Podiumsdiskussionen und Zeitungsartikeln verbreitet. Der damalige Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU) treibt die Begeisterung im Herbst 2019 auf die Spitze, als er sagt: "Gas ist sexy."
Altmaier setzt sich wiederholt für zusätzliche Gasimporte ein. Was nichts anderes bedeutet, als dass noch mehr Gas durch die Pipelines strömt, vorbei an Tausenden Schweißnähten und Ventilen – und dass noch mehr Gas in die Atmosphäre entweicht. Inzwischen haben Studien gezeigt: Dringen bei der Förderung und dem Transport von Erdgas nur drei Prozent des Methans nach außen, ist der Klimavorteil gegenüber der Kohle dahin.
Wie groß aber sind die Lecks wirklich?
Die Europäische Union hat vor wenigen Monaten eine Verordnung verabschiedet, die vorschreibt, den Austritt von Methan vom 1. Januar 2025 an systematisch zu messen, zu überwachen und zu melden. Die größten Lecks aber, so viel weiß man inzwischen, finden sich in Ländern, die nicht zur EU gehören, etwa in Russland, den USA, in Turkmenistan und im Iran.
Wäre das tatsächliche Ausmaß der Gasemissionen im Frühjahr 2022 der Öffentlichkeit bekannt gewesen, wäre die jüngste deutsche Gasdebatte womöglich anders verlaufen. Sie begann direkt nach dem russischen Angriff auf die Ukraine. Moskau reduzierte die Gaslieferungen. Gas war plötzlich knapp in Deutschland, die Preise stiegen. Es war ein Schock, eine energiepolitische Notlage.
Es war auch eine Gelegenheit, sich vom Gas zu befreien. Inzwischen deckte Deutschland ein Viertel seines Energiebedarfs mit Gas. Die Brücke war über die Jahre immer weiter gewachsen. Nun hätte man den Ausbau von Sonnen- und Windenergie forcieren und den Rohstoff Gas neu bewerten können. Als Auslauftechnologie statt als Brückentechnologie, das wäre zumindest ein Anfang gewesen.
Die Gelegenheit verstrich. Denn: "Wollen wir sehenden Auges unsere gesamte Volkswirtschaft zerstören? Das, was wir über Jahrzehnte hinweg aufgebaut haben?" So sagte es Martin Brudermüller im April 2022 in einem Interview mit der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung. Brudermüller war damals Vorstandsvorsitzender des Chemiekonzerns BASF, der wiederum Mehrheitseigner des Gas- und Ölproduzenten Wintershall Dea war. Seine Worte sind nur eines von vielen Beispielen, wie Industrievertreter in jenen Monaten das Schreckensszenario einer Energielücke praktisch täglich neu ausmalten. Ohne Gas, so die Behauptung, käme in Deutschland bald kein Strom mehr aus der Steckdose.
Niemand erfasst die Methan-Emissionen beim Fracking
Wenige Wochen nach Kriegsbeginn reiste Wirtschaftsminister Robert Habeck nach Katar, um mit dem Emirat ein Abkommen über Gaslieferungen zu schließen. Kanzler Olaf Scholz versprach dem Senegal damals bei einem Staatsbesuch Hilfe bei der Gasförderung – obwohl die Bundesregierung eigentlich keine fossilen Energieprojekte mehr fördern wollte. Rund um die Welt schloss Deutschland Lieferverträge für Flüssiggas. In Tankern kommt es nun aus den USA, von der Westküste Afrikas, aus dem Nahen Osten, mit teils verheerender Klimabilanz. In US-Bundesstaaten wie Texas und Louisiana wird das Gas mithilfe von Fracking aus dem Boden geholt. Eine Methode, die große Mengen Methan freisetzt – Emissionen, die nirgendwo erfasst werden. Und je weiter der Weg nach Europa, desto mehr Gas entweicht in die Atmosphäre. Am Ende ist Flüssiggas daher sogar um ein Drittel klimaschädlicher als Kohle, zu diesem Ergebnis kam erst vor wenigen Tagen eine Studie der amerikanischen Cornell University....
Wird das alles wirklich gebraucht?
...Neun Terminals für Flüssiggas sind an der deutschen Küste geplant, drei sind bereits in Betrieb. Um die Sache zu beschleunigen, wurden zahlreiche Regeln aufgehoben, die sonst für Bauprojekte in Deutschland gelten: Umweltfolgen müssen nicht mehr geprüft werden, Genehmigungen können erteilt werden, ehe die Anträge vollständig vorliegen und die Öffentlichkeit eingebunden wurde.
Seit Anfang des Jahres ist der Gasterminal auf Rügen fertiggestellt. Doch er wird kaum genutzt. Die Hellas Diana ist in diesem Jahr erst das dritte Schiff, das hier festmacht. Dabei ist allein dieser Terminal groß genug, um 15 Prozent des deutschen Jahresverbrauchs an Erdgas anzulanden. Theoretisch. Tatsächlich bezeichnet der Verband der deutschen Speicherbetreiber den Beitrag aller LNG-Terminals als "eher vernachlässigbar".
Die Geschichte vom sauberen Gas war so erfolgreich, dass Deutschland weit mehr Geld in den Rohstoff investiert hat, als nötig gewesen wäre.....
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