Mittwoch, 27. November 2024

„Die Menge an Plastik auf unserem Planeten ist wie eine einzige große Ölpest"

Stern hier  von Nicole Heißmann  26. November 2024

Kampf gegen Plastik: 5 Antworten zum UN-Plastik-Abkommen

Historische Chance? Was Sie über das UN-Plastik-Abkommen wissen sollten

Gegen die Plastikflut: Im südkoreanischen Busan wird um ein globales Abkommen gegen Plastikmüll gerungen. Was von dem Vertrag zu erwarten ist und was in Deutschland passieren muss.

Inhaltsverzeichnis

1. Worum geht es bei dem neuen UN-Plastik-Abkommen?

2. Warum ist der Vertrag so wichtig? 

3. Wie stehen die Chancen für ein wirksames Plastik-Abkommen?

4. Um welches Plastik-Thema wird in Südkorea am härtesten gerungen?

5. Welche Maßnahmen bringen etwas gegen die Plastikflut – und was kann ich selbst tun?


1. Worum geht es bei dem neuen UN-Plastik-Abkommen?

Noch bis zum 1. Dezember verhandeln Delegierte aus rund 170 Ländern im südkoreanischen Busan über ein verbindliches UN-Plastik-Abkommen. Es geht darum, die weltweite Plastikflut sowie den Plastik- und Mikroplastikmüll an Land und im Meer in den Griff zu bekommen. Die Konferenz in Busan ist schon die fünfte Verhandlungsrunde, quasi der Endspurt, an dem nun Vertreter aus Politik, Wirtschaft, Wissenschaft und von Umweltschutzorganisationen teilnehmen. Bis Ende 2024 soll dann ein fertiges Plastik-Abkommen auf dem Tisch liegen. 


2. Warum ist der Vertrag so wichtig? 

Manche Experten sehen in der Konferenz von Busan die historische Chance, eines der größten Umweltprobleme des Planeten in den Griff zu bekommen. Denn jedes Jahr werden schätzungsweise 400 Millionen Tonnen Plastik produziert, wovon gerade in Entwicklungsländern ein großer Teil unkontrolliert als Abfall in der Umwelt landet – und oft am Ende im Meer. Der globale Plastikberg könnte sogar noch wachsen: laut einer Studie der Weltbank auf möglicherweise 700 Millionen Tonnen Kunststoff im Jahr 2040.

Problematisch dabei ist nicht nur die Menge, sondern auch die Zähigkeit von Plastik, das sich in der Umwelt nur langsam zersetzt. Das Umweltbundesamt geht davon aus, dass eine Plastikflasche im Meer 450 Jahre braucht, um zu zerfallen. Plastikreste und Mikroplastik finden sich daher inzwischen in praktisch jedem Winkel der Erde – vom Schnee des Mount Everest bis in die Tiefsee. Auch in den Mägen von Seevögeln oder Meeressäugern steckt immer wieder Plastikmüll. Die Tiere haben den Abfall mit Nahrung verwechselt und verhungern dann mit vollem Magen. Welche Auswirkungen Mikroplastik auf die menschliche Gesundheit hat, ist noch kaum erforscht.

Auch der Klimawandel ist direkt mit Plastik verbunden. Jeder Schritt im Lebenszyklus eines Kunststoffprodukts setzt Treibhausgase frei: Synthetikfasern und Kunststoffe werden aus fossilen Rohstoffen wie Öl und Gas hergestellt, bei deren Förderung das Treibhausgas Methan frei wird. Produktion und Weiterverarbeitung von Kunststoffen sind sehr energieaufwendig und setzen ebenfalls viel CO2 frei. Und auch beim Verbrennen von Kunststoff in Müllverbrennungsanlagen entstehen wieder Treibhausgase.


3. Wie stehen die Chancen für ein wirksames Plastik-Abkommen?

Nicht besonders gut. Bisher gibt es nur Entwürfe, und die Positionen gehen bei vielen Punkten weit auseinander: Deutschland und die EU setzen sich für ein ambitioniertes Plastik-Abkommen ein, Umweltorganisationen wie Greenpeace fordern, die Plastikproduktion bis 2040 um 75 Prozent zu senken. Dagegen will sich die Industrie vor allem aufs Recycling beschränken, ohne ihre Produktion ernsthaft anzutasten. Unterstützt werden die Firmen und ihre Verbände dabei von Ölstaaten wie Saudi-Arabien, die den Plastikmarkt als wichtigen und stark wachsenden Absatzmarkt für Öl und Gas verteidigen. Im Moment droht das Abkommen daher durch Lobbyinteressen der Industrie verwässert zu werden.


4. Um welches Plastik-Thema wird in Südkorea am härtesten gerungen?

Sicherlich um die Frage, ob und wie stark die Plastikproduktion begrenzt werden soll. Als im Jahr 2022 die Verhandlungen für ein Plastik-Abkommen begannen, war das Interesse der Wirtschaft an diesem Thema noch gering – weil es anfangs so schien, als würde sich das Plastik-Abkommen vor allem auf Müllentsorgung und Recycling beziehen. Doch als im Laufe der Verhandlungen klarer wurde, dass auch das Drosseln der Plastikproduktion zur Debatte stehen könnte, stieg die Industrie voll in die Verhandlungen ein.

Seitdem reisen immer mehr Lobbyisten zu den Konferenzen und versuchen gemeinsam mit Ländern wie China und Saudi-Arabien das Thema Plastikherstellung aus dem Abkommen herauszuhalten. Wissenschaftler glauben allerdings, dass man der weltweiten Plastikmenge niemals allein mit Recycling Herr werden kann, sondern dass die Vermeidung von Plastik – insbesondere von Einwegplastik – zentraler Teil der Lösung sein muss.

Auch um schädliche Zusätze in Plastikprodukten wird gestritten – und um die Frage, wie seriös Plastik-Zertifikate sind. Schon jetzt können Kunststoffhersteller für ihre Umweltbilanz Zertifikate kaufen, die gewährleisten sollen, dass an anderer Stelle auf der Welt Plastikmüll eingesammelt und recycelt wird. Das passiert allerdings oft in Entwicklungs- oder Schwellenländern wie Indonesien, die über kein transparentes Abfall- und Recycling-System verfügen. Es ist daher oft unklar, wie viel Müll tatsächlich eingesammelt und sinnvoll wiederverwertet wird – und ob Plastikfirmen mit den Zertifikaten nicht eher "Greenwashing" betreiben.


5. Welche Maßnahmen bringen etwas gegen die Plastikflut – und was kann ich selbst tun?

Insbesondere das Einsparen von Einwegverpackungen hilft, etwa der Verzicht auf Plastiktüten an der Kasse oder auf die dünnen Tütchen in der Obst- und Gemüseabteilung. Wer mithelfen will, die Plastikflut einzudämmen, sollte sein Essen möglichst unverpackt einkaufen und Wasser aus dem Hahn trinken, statt es in Plastikflaschen nach Hause zu schleppen – das spart nebenher Geld. Auch Mehrweg-Kaffeebecher oder Kleidung aus Naturfasern helfen, Plastik oder synthetische Fasern einzusparen. Und wer Fleece-Pullis tragen möchte, sollte sich nicht so oft welche nachkaufen, sondern die Kleidung möglichst lange tragen.

Die Industrie wiederum könnte das Recycling erheblich verbessern, wenn sie, wie schon lange gefordert, sortenreine Alternativen zu den problematischen und schwer zu recycelnden Verbundverpackungen präsentieren würde. Dazu gehören sowohl Getränkekartons aus Kunststoff, Aluminium und Papierfasern als auch sogenannte "Multilayer"-Folien für Verpackungen, bei denen mehrere Kunststoffsorten in Schichten zusammengeklebt werden. Die lassen sich oft kaum voneinander trennen und daher nicht überzeugend werterhaltend recyceln – weshalb auch in Deutschland noch viele Verpackungen einfach verbrannt werden.


t3n  hier  Von MIT Technology Review Online 25.11.2024, 

Mikroplastik, Einwegkunststoff und wenig Recycling: Die wirkliche Plastik-Flut kommt erst noch

Kunststoffe befeuern die Klimakrise und zählen zu den größten Umweltsünden der Menschheit. Auf der UN-Konferenz in Südkorea ringt man derzeit um ein Plastikabkommen. Die Materialien selbst sind dabei nicht das größte Problem.

....Dass Kunststoffe selbst in entlegensten Gegenden zu finden sind, ist kein Wunder. Weltweit werden der Wirtschaftsorganisation OECD zufolge jährlich über 460 Millionen Tonnen Plastik pro Jahr produziert – mehr als das Gewicht aller Menschen der Welt zusammen. Nur neun Prozent dieser Menge werden recycelt, etwa ein Drittel ist Einwegplastik. Laut einem Bericht der Umweltorganisation der Vereinten Nationen UNEP verursacht der Plastikmüll in der Umwelt „erhebliche wirtschaftliche Kosten“ von mindestens 40 Milliarden Dollar im Jahr. Er mindere die Produktivität natürlicher Ökosysteme und verstopfe städtische Infrastrukturen.

Viele Kunststoffhersteller sind mit der Ölbranche verflochten

Kunststoffe sind zudem für 3,4 Prozent der globalen Kohlenstoffemissionen verantwortlich, bis 2040 könnten es 15 Prozent sein. Sie werden fast ausschließlich aus Erdöl oder Erdgas hergestellt und viele große Kunststoffhersteller sind eng mit der Ölbranche verflochten. „Die Menge an Plastik auf unserem Planeten ist wie eine einzige große Ölpest“, kommentiert Katrina Knauer, Polymerwissenschaftlerin am National Renewable Energy Laboratory. Und sie wird immer größer. Laut Prognosen werden im Jahr 2050 mehr als 30 Milliarden Tonnen Kunststoffe produziert, das Dreifache der aktuellen Menge.


„Die Menge an Plastik auf unserem Planeten ist wie eine einzige große Ölpest.“


Das ist auch eine schlechte Nachricht für unsere Gesundheit, denn Menschen nehmen tagtäglich Mikro- und Nanoplastik auf. Die Plastikteilchen stammen unter anderem aus Reifenabrieb, Textilien und dem Zerfall größerer Kunststoffobjekte. Sie stecken im Trinkwasser, in Bier, Salz, Schalentieren, in Obst und Gemüse. Plastik wurde unter anderem im Blut, im Darm und in der Muttermilch nachgewiesen. Ein weiteres Problem sind die Zusatzstoffe. Es geht um mehr als 10.000 Chemikalien, von denen laut UNEP mindestens 3.200 gesundheitsschädliche Eigenschaften haben. Welche Folgen der Plastikmüll im Körper hat, ist noch unklar.

Als sicher gilt, dass Menschen an Produktionsstätten in ärmeren Regionen leiden – etwa im US-Bundesstaat Louisiana –, wo vor allem Schwarze und sozial Schwache leben. Dort reihen sich entlang des Mississippi River rund 150 Ölraffinerien, Kunststoffwerke und Chemieanlagen aneinander. Das Gebiet wird auch als „Cancer Alley“ bezeichnet, denn das Risiko für Krebs- und andere Krankheiten ist dort besonders hoch. UN-Menschenrechtler sprechen von „Umweltrassismus“. Auch andernorts trifft die Plastikverschmutzung jene am stärksten, die am wenigsten zur Kunststoffkrise beitragen. Wo Armut herrscht, Strukturen und Geld für Sammelsysteme fehlen, türmen sich die Müllberge, verteilen sich auf Ackerböden und in Gewässern.

Naheliegende Lösungen für das Plastikproblem

Die Lösungen für das Plastikproblem sind lange bekannt. Vor allem gilt es, weniger und besser recycelbare Kunststoffprodukte herzustellen und sie möglichst lange im Umlauf zu halten. Das ist auch das Ziel der Umweltversammlung der Vereinten Nationen. Ende 2024 will sie einen Vertrag mit verbindlichen und freiwilligen Maßnahmen vorlegen. Branchenverbände kritisieren die Pläne. „Grenzwerte oder Abgaben könnten die Preise nach oben treiben und damit viele unbeabsichtigte Folgen für diejenigen haben, die es sich am wenigsten leisten können“, sagt etwa Stewart Harris vom American Chemistry Council.


„Das Thema Mehrweg suchen Sie in einem Lidl vergebens.
Dort geht es nur um optimierte Einweglösungen.“


Als vielversprechendes Mittel gegen die Plastikkrise gilt die Kreislaufwirtschaft. Dazu gehört, Einwegkunststoffe schrittweise zu verbieten sowie Sammel-, Wiederverwendungs- und Recyclingsysteme zu etablieren. In Tansania beispielsweise betreibt eine Gruppe namens Nipe Fagio („Gib mir den Besen“ auf Suaheli) Abfallmanagement- und Recyclingsysteme, die den Deponiemüll in den Vierteln mehrerer Städte um 75 bis 80 Prozent reduziert haben. Finanziert werden könnten solche Initiativen durch die erweiterte Herstellerverantwortung Extended Producer Responsibility, kurz EPR, was Umweltschutzorganisationen schon lange fordern. Laut Ana Lê Rocha, der Geschäftsführerin von Nipe Fagio in Tansania, helfen diese Programme durchaus, wenngleich nur bei der Symptombekämpfung. „Das Hauptziel des UN-Abkommens ist die Verringerung der Produktion“, betont sie. Dieses Ziel lässt sich unter anderem durch Mehrwegsysteme erreichen, die allerdings eine radikale Veränderung der Infrastruktur und des Verhaltens erfordern.

Keine Kreislaufwirtschaft mit Plastik

„Wir haben fast ein Jahrhundert damit verbracht, eine hochkomplexe lineare Wirtschaft aufzubauen“, sagt Kathryn Beers am National Institute of Standards and Technology, Maryland. Die Voraussetzungen für eine Kreislaufwirtschaft erfülle Plastik derzeit schlicht nicht. Ein Problem sind unter anderem die potenziell schädlichen Zusatzstoffe, die sich beim üblichen mechanischen Recycling immer weiter anreichern. Helfen könnten neben einem möglichst schadstofffreien Produktdesign thermochemische Verfahren, die den Kunststoffmüll zunächst in chemische Grundbausteine zerlegen, aus denen wieder neues Plastik entstehen kann.

Vor allem aber gilt es, das Grundproblem anzugehen: Kunststoffe sind zu profitabel für die Hersteller und zu billig für die Verbraucher. Was selbst kleine Gebühren bewirken können, zeigt das Beispiel Washington D.C., wo 2010 eine Gebühr von fünf Cent auf Plastiktüten eingeführt wurde. Schon wenige Monate danach nahm die Zahl der Tüten um mehr als die Hälfte ab und die in Gewässern gefundenen Mengen sanken um 30 bis 70 Prozent. Die EU setzt ebenfalls auf Regulierungen. Sie hat schon bestimmte Plastiktragetaschen, Einweggeschirr und Trinkhalme aus Kunststoff verboten sowie kürzlich absichtlich zugesetztes Mikroplastik, das etwa in Kunstrasen und Kosmetik steckt....

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