Samstag, 23. November 2024

Für viele Menschen haben Wahlen (noch) etwas mit Werten und Glaubwürdigkeit zu tun

Warum kommt dieser Artikel in den Blog? Weil es um Demokratie geht, und um die ist es bekannterweise nicht zum Besten gestellt. Fassen wir uns alle an die Nasen: die Diskussionen sind überhitzt, die Unterstellungen und Fake News waren noch nie so rabiat wie heute. 

Was uns Bürgern heute schmerzlich fehlt ist Vertrauen. Und das umfasst auch das Vertrauen darauf, dass jeder verantwortliche Politiker versucht, in faktenorientierten Debatten ernsthaft zusammen zu arbeiten um zu einer bestmöglichen Lösung für Deutschland beizutragen. 

Das Ampel-Nicht-Zusammenspiel und das unwürdige Ende zeigen leider, dass man besser nicht jedem Politiker Vertrauen schenkt.... Und das ist der größte denkbare Schaden für Demokratie-Anhänger.
Im Artikel heißt es "Für viele Menschen haben Wahlen etwas mit Werten und Glaubwürdigkeit zu tun".
Und ich möchte ergänzen: solange das so ist, sollten wir es als großes Geschenk betrachten - man muss nur über den Ozean blicken um zu sehen was passiert, wenn das nicht mehr so ist.

hier  Aus der ZEIT Nr. 49/2024 20. November 2024  Ein Kommentar von Giovanni di Lorenzo

 Pläne für Ampel-Aus: Schau und Spiel

"Wo ist die Nachricht?" Einige Reaktionen der FDP auf die ZEIT-Recherche zum Regierungsbruch zeigen: Manche haben den Wähler-Wunsch nach Glaubwürdigkeit nicht verstanden.

Die FDP hat laut einer Recherche der ZEIT seit Ende September den Bruch der Ampel-Koalition diskutiert und organisiert, während sie nach außen staatspolitisches Verantwortungsgefühl zur Schau stellte. Die Führung der FDP plante den Ausstieg detailliert mit Blockaden, Medienstrategien und einem klaren Zeitplan. Trotzdem rechtfertigte Parteichef Lindner den Vorgang als Wahlkampfmanöver, was bei vielen auf Unverständnis stieß. Die Demokratie wurde durch die Enthüllungen gefährdet, und die Glaubwürdigkeit der Politiker steht auf dem Spiel.

Ist eigentlich einigen Spitzenpolitikern jedes Gefühl dafür verloren gegangen, wie ihre Selbstinszenierung bei den Wählerinnen und Wählern ankommt? Am vergangenen Wochenende veröffentlichte die ZEIT eine Recherche unseres Kollegen Robert Pausch, in der detailgenau dargestellt wird, wie die FDP seit Ende September den Bruch der Ampel diskutierte und organisierte. Kaum ein Artikel in der Geschichte der ZEIT hat online jemals größere Verbreitung gefunden und ein stärkeres Echo ausgelöst.

Bis Dienstagabend haben 1,3 Millionen Menschen den Artikel gelesen; es gab mehr als 3.400 Kommentare, die meisten drückten Fassungslosigkeit aus. Was Robert Pausch in seinem Artikel wiedergibt: Die Führung der FDP bereitete den Ausstieg mit PowerPoint-Präsentationen, Dokumenten und einem klaren Zeitplan vor – während sie nach außen bis zuletzt staatspolitisches Verantwortungsgefühl zur Schau stellte. Geplant wurde, wie die Koalitionspartner durch Blockaden bis aufs Blut gereizt werden, wie angeblich vertrauliche Papiere an die Öffentlichkeit gelangen und welche Narrative in den Medien verbreitet werden sollten. Und schließlich: an welchem Tag man die Ampel außer Betrieb setzen könnte, möglichst an einem, an dem der Bundeskanzler in seiner Kommunikation eingeschränkt sein würde.

Für viele Menschen haben Wahlen etwas mit Werten und Glaubwürdigkeit zu tun

Nun muss man weder mit Olaf Scholz noch mit den bei den FDP-Sitzungen zum Feindbild auserkorenen Grünen übermäßig viel Mitleid haben, sie leisteten nach Kräften ihren Teil zum Scheitern dieser Mitte-links-Regierung. Auch ist es nicht verwerflich, aus einer Koalition auszusteigen, die nicht funktioniert. Und bei der FDP geht es tatsächlich um die Existenz. Sie ist seit Bestehen der Ampel aus vier Landesparlamenten geflogen, und in Umfragen blieb sie zuletzt beharrlich unter fünf Prozent. Und doch ist nichts falscher als Lindners Statement nach Veröffentlichung des ZEIT-Artikels, mit dem er den Bericht zugleich indirekt bestätigte: "Es ist Wahlkampf. Wo ist die Nachricht?"

Diesem Wording schlossen sich die meisten FDP-Politiker und nicht wenige ihrer Anhänger an. Sie lassen völlig außer Acht, dass für viele Menschen Wahlen noch etwas mit Inhalten, mit Werten und mit Glaubwürdigkeit zu tun haben. Und nicht mit Inszenierung, mit geschicktem Schauspiel und vorgegaukelter Seriosität. Welchen Eindruck sollen Interview-Sätze aus dem Mund des FDP-Parteichefs bei den Wählern hinterlassen, der, während er bereits den Plan zum Koalitionsbruch beriet, öffentlich sagte: "Es geht darum, zu zeigen, dass eine Regierung nicht Teil des Problems ist, sondern Teil der Lösung." Oder: Er stehe "für solche spielerischen Sachen" ungern zur Verfügung, "weil ich auch selber keine Freude daran habe". Wahlkampf? Wo ist die Nachricht? Hallo!?

Den Vogel aber schoss die sonst charakterstark auftretende Europaabgeordnete Marie-Agnes Strack-Zimmermann ab. Sie setzte das Wort Recherche in Anführungsstriche und kritisierte nicht etwa die Machtspiele ihrer Parteifreunde – sondern dass der von Robert Pausch verwendete Ausdruck "Drehbuch für den Regierungssturz" eine Wortwahl sei, die "unsere stabile Demokratie" unterlaufe. Sie weiß es sicherlich besser: Unseren Text konnten wir nur aufschreiben, weil Beteiligte am FDP-Plan Skrupel bekamen. Nicht zuletzt, nachdem Christian Lindner dem Bundeskanzler eine "Entlassungsinszenierung" vorwarf, weil Olaf Scholz die Erklärung zum Rauswurf Lindners vom Prompter abgelesen hatte.

Bei einem der Treffen zur Vorbereitung des Ausstiegs, am 14. Oktober, soll Christian Lindner nach der Erinnerung einiger Teilnehmer erklärt haben, er könne "diese Fressen" in der Regierung nicht mehr sehen. Es ist leider zu befürchten, dass dies bei sehr vielen Menschen auch für die der FDP gilt. Und auch für die Gesichter von manchen Politikern, die bisher nicht in der Regierung saßen. Darin liegt die größte Bewährungsprobe für diesen Wahlkampf, unabhängig von der Frage, ob es der FDP Ende Februar gelingen wird, überhaupt wieder in den Bundestag einzuziehen: Die demokratischen Politiker, die jetzt antreten und sich zur Wahl stellen, müssen erst noch beweisen, dass sie vertrauenswürdig sind. Persönlich und politisch. Davon hängt vielleicht noch mehr ab als vom Ausgang der nächsten Wahl. 

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