Bild links: BR hier mit mehr Infos zum Thema "Graue Energie" bzw. "Cradle to Cradle"
30.03.2023 hier
Im Dezember hatten etliche Stadträte mit deutlichem Unmut reagiert: Zuvor hatte Stadtbauamtsleiterin Monika Gehweiler dargelegt, dass es ein Nachhaltigkeitssiegel brauche, um KfW-Fördergelder für den Bau der geplanten neuen Grundschule im Markdorfer Süden zu erhalten. Denn die Gelder von der Kreditanstalt für Wiederaufbau sind an ein Zertifikat geknüpft, das Qualitätssiegel Nachhaltiges Gebäude, kurz QNG.
Hohe Fördermittel hin, hohe Fördermittel her, manche Stadträte kritisierten, dass das Geld für teure Gutachten doch erheblich sinnvoller für Baumaßnahmen ausgegeben werden sollte.
Blick auf gesamten Zyklus
Neu ist jedoch nicht allein die Zertifizierungspflicht und der damit verbundene genaue Blick auf die von einem Gebäude und dessen Bau ausgehenden Treibhausgasemissionen. Neu ist außerdem, dass auch das ganz genau angeschaut wird, was bei der Herstellung, beim Transport oder bei der Lagerung an Energie verbraucht wurde. Auch Handel und Entsorgung geraten hierbei ins Blickfeld. Die Fachleute zählen all diese damit verbundenen Treibhausgasemissionen zur sogenannten grauen Energie.
Der grauen Energie galt die Nachfrage von Leon Beck, er ist Architekt und Mitglied in der Markdorfer Umweltschutzinitiative Klimaplan. Er erkundigte sich in der Bürgerfrageviertelstunde in jüngster Gemeinderatssitzung nach den Auswirkungen der geplanten Sanierung der Pflasterflächen in der Marktstraße. Ihm wollte das schlichte „keine Auswirkungen“ aus den Sitzungsunterlagen nicht als Antwort reichen. Immerhin habe es doch ganz erhebliche Auswirkungen, welche Arbeiten ausgeführt werden – kompletter Austausch der Pflastersteine oder bloße Fugensanierung –, welches Material verwendet wird, welche Transportwege anfallen und so fort.
Künftig detaillierte Angaben
„Bei solch einer klimasensiblen Entscheidung“, so sagte Leon Beck, „wünsche ich mir doch eine differenziertere Ausweisung der Klimafolgen.“ Bürgermeister Georg Riedmann erklärte, die Bauverwaltung befinde sich im Hinblick auf die graue Energie noch in einem Lernprozess. Man wolle künftige Vorlagen im Hinblick auf etwaige Klimafolgen aber detaillierter ausführen.
Dieser Lernprozess im Rathaus schreitet indes voran. So versicherte nun Stadtbauamtsleiterin Monika Gehweiler: „Wir nehmen ja jetzt bei der neuen Grundschule Markdorf-Süd erstmals den gesamten Lebenszyklus einer Immobilie in den Blick.“ Dies auch dank der Zertifizierungsarbeit seitens des mit der Planung befassten Uhldinger Architekturbüros. „Und in Zukunft werden wir das bei allen städtischen Neubauprojekten so machen“, kündigt Monika Gehweiler an. Berücksichtigt werden soll die graue Energie dann übrigens auch schon bei der Ausschreibung und bei der Vergabe von städtischen Bauprojekten.
Dass das Thema graue Energie sehr komplex ist, räumt auch Leon Beck ein. Immerhin: Baubranche und Immobilienwirtschaft befassen sich inzwischen intensiv mit der Materie. Heiß diskutiert ist die Frage: Den Bestand abreißen und neu bauen oder doch sanieren? Aus Sicht Becks sei der Neubau so gut wie immer energieintensiver als eine Sanierung. Und wenn dann – aus welchen Gründen auch immer – sich die Bauherrschaft doch für ein neues Haus entscheidet, „dann sollte sie unbedingt an die Energie denken, die im Baumaterial steckt.“ Beton hält zwar, brauche aber furchtbar viel Energie. „Decken aus Holz und Holzwände sowieso“ sind Beck zufolge die bessere Alternative.
Gerhard Lallinger, ebenfalls Architekt in Markdorf, erinnert an den „Riesenmüllberg“, der beim Abriss eines Gebäudes entsteht. Bundesweit häuft der sich zu einem jährlichen Schuttgebirge aus rund 230 Millionen Tonnen an. „Ich rate deshalb immer gerne zur Sanierung von Bestandsgebäuden“, erklärt Lallinger. Und der Architekt geht sogar noch einen Schritt weiter: Beim Sanieren verwendet er gerne recyceltes Material: Baustoffe, die bereits auf anderen Baustellen verwendet wurden. Denn auch das verbessere die Ökobilanz beim Bauen.
Inzwischen werde er aber auch immer öfter mit Sanierungen beauftragt, sagt Gerhard Lallinger. Die Aufgabe der Architekten sieht er künftig noch mehr in der Gestaltung von Wohnräumen, die flexibel sind. Flexibilität heißt hierbei, dass sich die Zimmer an die sich wandelnden Nutzungsbedürfnisse ihrer Bewohner anpassen lassen können. Solche Konzepte stehen und fallen aber mit der Bereitschaft der Häuslebauer, sich die auch zu wünschen, auch wenn sie gegenüber einer einfachen Lösung eventuell kostspieliger sind.
Stoffkreislauf
Immer mehr Architekten und Bauingenieure befassen sich mit dem Thema graue Energie. Viele von ihnen fordern, dass sogenannte klimapositive Baustoffe wie zum Beispiel Holz öfter als bisher verwendet werden. Gefordert wird auch die Wiederverwendung von Materialien, der konsequente Aufbau eines Stoffkreislaufs. Dem arbeiten zum Teil aber die Baugesetze entgegen – und auch der Umstand, dass Holzbauten immer noch deutlich teuer sind als Massivbauten.
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