Süddeutsche Zeitung hier Auszüge in blau
Der Zürcher Architekt Andreas Hofer über seine Zeit als Hausbesetzer, die Wohnungsnot in Deutschland und den Trugschluss, dass der Markt alles regelt.
SZ: Herr Hofer, was löst der Satz "Der Markt wird es lösen" in Zusammenhang mit dem Wohnungsbau bei Ihnen aus?
Andreas Hofer: Es ist bewiesen, dass er das nicht tut.
Aber diese Beschwörung kommt immer wieder.
Der Markt wird es lösen, heißt ja auch: Wir müssen nicht mehr gestalten. Es gibt da offensichtlich Kräfte, denen man zutraut, unseren Lebensraum zu gestalten. Das beunruhigt mich und hat etwas mit Politikversagen zu tun. Auch mit Mutlosigkeit. Städte sind verglichen mit der Welt ja relativ kleine Einheiten.
Laut einer Studie der Hans-Böckler-Stiftung aus diesem Sommer werden die Unterschiede zwischen Arm und Reich durch das Wohnen größer. "Wohnen kann arm machen", heißt es da.
Das überrascht mich überhaupt nicht. Schließlich gibt es genügend reiche Leute, an die man jederzeit eine Wohnung verkaufen oder vermieten kann, während die anderen nicht wissen, wo sie bleiben. Deshalb bin ich davon überzeugt, dass ein Drittel der Wohnungen diesem globalen Markt entzogen werden muss.
In deutschen Städten fehlen 1,5 Millionen bezahlbare Wohnungen. Wie schaffen wir die?
Man kann die Sache auch ganz anders betrachten:
Eigentlich müssten wir die nächsten 20 Jahre keine einzige neue Wohnung bauen, wenn wir den Bestand geografisch ein bisschen klüger verteilen könnten.
Zum Beispiel zwischen Ost und West. Dieser überhitzte Markt ist ja auch ein Teufelskreis: Wenn ich eine Wohnung habe, dann geh ich da sicher nicht mehr raus. Wir erleben gerade eine tiefe Spaltung zwischen den Leuten, die jetzt eine Wohnung suchen, und denen, die bereits eine Wohnung haben. Das ist vielleicht auch ein Grund dafür, warum man das Problem, über das alle reden, dann doch nicht angeht: weil eben eine Mehrheit der Bevölkerung in sehr guten Verhältnissen wohnt.
Was ist denn schiefgelaufen beim Wohnungsbau in Deutschland?
Wir haben die letzten 50, 60 Jahre eine falsche Stadt gebaut. Eine Stadt für Autos. Für eine sehr mobile Gesellschaft. Mit vielen Klischees, wie "die richtige Familie" wohnt. Wenn wir uns also entscheiden, wirklich weiterzubauen, dann sollten wir jetzt die Städte planen, die wir in der zweiten Hälfte des 21. Jahrhunderts haben möchten. Es muss auch etwas mit Schönheit und Zukunftsfähigkeit zu tun haben.
Vom Mantra: "Bauen, bauen, bauen", das man vielfach als Lösung fürs Problem propagiert, halten Sie also nicht viel.
Das ist zu einfach, zu plump. Im Grunde ist das wieder das Übertragen von Marktmechanismen, nach dem Motto: Wenn es zu wenig Fleisch hat, muss man halt Schweine mästen.
Wenn bauen, dann bitte klimaneutral, mit neuen Materialien und Technologien, auch im Sinne einer Reparatur, also etwa beim großen Parkplatz den Asphalt rausreißen und eine klimaadaptive Siedlung bauen. Man darf die beiden Dinge nicht gegeneinander ausspielen. Wir müssen einen anderen Weg wählen, und da spielt für mich die Dauerhaftigkeit eine Rolle.
Dauerhaftigkeit wovon?
Von den Häusern zum Beispiel. Wir müssen jetzt Häuser bauen, die den Anspruch haben, die nächsten 200 Jahre zu funktionieren und Energie zurückzuzahlen.
Wo wir gerade beim Klima sind: Ein großes Problem ist der Flächenfraß. Zwischen 1992 und 2018 ist in Deutschland eine Fläche versiegelt worden, die fast zweimal so groß wie das Saarland ist.
Ein bisschen hat Anton Hofreiter von den Grünen eben schon recht. Ich habe zufällig die Zahlen von der Gemeinde Kernen im Remstal, im Metropolitanraum Stuttgart. Über 50 Prozent der Neubauten dort sind Einfamilienhäuser. Im Jahr 2021. Das geht nicht mehr. Doch manchmal kann ich die Investorenlogik sogar verstehen: Wenn die einen Acker kriegen und dort die Einfamilienhaus-Siedlung einfach ausrollen können, während sie, wenn sie hier in der Stadt einen riesigen Parkplatz überbauen wollen, sich in eine sechsjährige Bebauungsplan-Revisions-Spirale hineinbegeben. In diesem Land geht ein großer Teil der Förderung und Staatsintervention immer noch in die falsche Richtung. Wir subventionieren Umweltzerstörung mit Milliarden.
Die Berliner haben gerade dafür gestimmt, große Wohnungsunternehmen zu enteignen, um die Mietpreissteigerungen zu stoppen. Richtig oder falsch?
Ich finde es immobilientechnisch das falsche Instrument, aber es ist natürlich ein Alarmzeichen für den Zustand der Gesellschaft. Man müsste vorher beginnen und Rahmenbedingungen schaffen, damit das nicht passiert. Da wären wir vermutlich wieder bei diesen 30 Prozent der Wohnungen, die man dem Markt entziehen muss. Aber wenn man natürlich noch vor zehn Jahren den halben städtischen Wohnungsbestand an irgendwelche ausländischen Investmenttrusts verscherbelt hat, dann kann ich die Entscheidung zur Enteignung tatsächlich verstehen.
Wie ließe sich denn Ihrer Meinung nach bezahlbarer Wohnraum finanzieren?
Die traurige Antwort auf diese Frage ist: So schnell wird es nicht gehen. Es wird leider Jahrzehnte dauern. Man muss gemeinwohlorientierte Wohnungsbestände aufbauen. Man darf sie nicht verkaufen. Es hat etwas mit Zivilgesellschaft zu tun. Ich habe in Zürich Diskussionen gehört, nach dem Motto: Ist doch gut, jetzt haben wir die armen Leute alle in die Vorortsgemeinden geschoben! Das war lange die Politik dort. Eine Stadtgesellschaft muss sich entscheiden, dass sie integrativ bleiben möchte. Ich weiß, dass das keine gute Antwort ist für die alleinerziehende Mutter, die jetzt eine Wohnung sucht, aber ich habe einfach keine andere.
Tatsächlich gibt es in Deutschland unfassbar viele halb oder fast leer stehende Einfamilienhäuser, weil dort nur noch die alte Dame oder der alte Herr darin lebt und der Rest längst ausgeflogen ist.
Das ist das Thema mit der Demografie, auch in der Stadt: zwei Drittel der Haushalte sind hier Ein- oder Zwei-Personenhaushalte. Die Hälfte des Wohnungsbestands sind aber Einfamilienhäuser. Da kann man sich ja ungefähr vorstellen, wie diese Wohnflächenzunahmen pro Kopf zustande kommen – 47 Quadratmeter hat ja jeder Mensch in Deutschland durchschnittlich zur Verfügung, viel mehr als früher. Obwohl ich natürlich niemandem sein schönes Haus wegnehmen möchte. Darum geht es ja gar nicht......................
Wenn wir ernsthaft über Befreiung, über Zukunft und über selbst gestaltetes Leben reden wollen, müssen wir eigentlich die Wohnung, wie wir sie heute kennen, wieder abschaffen.
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