Spiegel hier Eine Kolumne von Henrik Müller
Henrik Müller ist Professor für wirtschaftspolitischen Journalismus an der Technischen Universität Dortmund. Zuvor arbeitete der promovierte Volkswirt als Vizechefredakteur des manager magazin. Außerdem ist Müller Autor zahlreicher Bücher zu wirtschafts- und währungspolitischen Themen. Für den SPIEGEL gibt er jede Woche einen pointierten Ausblick auf die wichtigsten Wirtschaftsereignisse der Woche.
Güter, Arbeitskräfte, Energie
......Vor 13 Jahren lebten 6,8 Milliarden Menschen auf der Erde. Heute sind es 7,8 Milliarden.
Die jährlichen Kohlendioxidemissionen lagen bei 31 Gigatonnen jährlich. Heute sind es 36 Gigatonnen. Die weltweiten Durchschnittstemperaturen sind seither gestiegen, womöglich um ein halbes Grad Celsius, wie Berechnungen von Forschern der Universität Berkeley zeigen.
Es wird voll auf der Erde. Und warm.
.... Offen gesagt, würde es mich überraschen, wenn wir zur früheren Normalität einer stabilen Überflussökonomie zurückkehren würden.
Fracking-Sausen und Flaschenhälse
Drei große Trends werden unser Handeln immer stärker bestimmen: Klimawandel, Demografie und Globalisierung. Wie diese Entwicklungen zusammenwirken, habe ich in einem 2008 erschienenen Buch versucht abzuschätzen.
Die drei Großtrends, so die zentrale These, würden »sieben Knappheiten« hervorrufen – grundlegende Verschiebungen, die zwar immer wieder kurzfristig von gegenläufigen Entwicklungen überdeckt werden könnten, die aber letztlich unsere weitere Zukunft bestimmen.
In den vergangenen Jahren wirkten einige kurzfristige Verschiebungen den Knappheiten entgegen, etwa der Fracking-Boom in den USA, der Öl und Gas auf dem Weltmarkt zeitweise stark verbilligte. .....
Zusammengenommen stößt eine staatlich aufgepumpte Nachfrage auf ein eingeschränktes Angebot. Das führt zu Engpässen und verursacht aktuell beispielsweise in der deutschen Industrie eine »Flaschenhals-Rezession«, so das Ifo-Institut. Trotz voller Auftragsbücher wird die Produktion gedrosselt. ....
Das Bild ist überall das gleiche: Probleme bei der Beschaffung von Rohstoffen und Vorprodukten bremsen die Konjunktur. Aber das wird vorbeigehen. Märkte sind gewöhnlich ziemlich gut darin, rasch auf Mangelsituationen zu reagieren: Steigende Preise sorgen für Kapazitätsausweitungen und Ausweichreaktionen der Verbraucher.
Was indes bleiben wird, sind die sieben Knappheiten: Menschen, Geist, (nutzbarer) Boden, (saubere) Energie, Wasser, Zeit und Macht.
Paradoxe Globalisierung
Kurz gesagt: Die demografische Entwicklung lässt den Anteil der Menschen im produktiven Alter schrumpfen, während gleichzeitig die Zahl von Personen mit schwacher Bildung zunimmt, die an der internationalen Arbeitsteilung teilnehmen. Übernutzung und Klimawandel führen zu Bodenerosion, Wassermangel und atemberaubendem Wachstum der Metropolen. Die sich beschleunigende Erderwärmung erfordert den Komplettumbau der Energiesysteme. Politisch gesehen drängt die Zeit zum Handeln; individuell gesehen werden wir mehr Stunden und Jahre arbeiten müssen, also weniger Freizeit haben....
Die Gegenwart ist schwierig genug. Die weitere Zukunft wird nicht einfacher.
Von den drei Großtrends gehen Demografie und Klimawandel so träge vonstatten, dass Kurskorrekturen allenfalls über sehr lange Zeiträume Wirkung zeigen. Die Globalisierung hingegen sorgt immer wieder für überraschende Wendungen.
Weltweit geht inzwischen der Anteil der Menschen im arbeitsfähigen Alter zurück. Die reichen Volkswirtschaften haben ihren demografischen Höhepunkt bereits im Jahr 2010 überschritten; seither sinkt der Anteil der 15- bis 64-Jährigen im Schnitt. In Ländern mit mittlerem Einkommensniveau beginnt diese Entwicklung derzeit, wie aus den Uno-Bevölkerungsprojektionen hervorgeht. Besonders gravierend wird der Rückgang in China ausfallen, wo eine derzeit noch günstige Demografie sich in ihr Gegenteil verkehren wird: Der Anteil der Menschen im arbeitsfähigen Alter wird in den kommenden Jahrzehnten von heute über 70 auf unter 60 Prozent sinken.
Für Deutschland prognostiziert das Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) einen Rückgang des Potenzials an Arbeitskräften um rund zweieinhalb Millionen Menschen bis 2035 – und dabei gehen die Forscher bereits von einem Ruhestandsalter von 74 Jahren und weiterhin recht dynamischer Zuwanderung aus.
Schon jetzt ist die Arbeitskräfteknappheit augenfällig. Gerade in kleineren Städten gibt es kaum einen Laden oder eine Gaststätte, die nicht freie Stellen im Schaufenster annoncieren. Das gesamtwirtschaftliche Stellenangebot lag im zweiten Quartal 2021 bei 1,16 Millionen Stellen. Das sind 30 Prozent mehr als ein Jahr zuvor.
Chaos im Treibhaus
Wie – und ob – die Weltwirtschaft mit weniger und älteren Menschen ihre kreative Produktivität steigern kann, ist eine offene Frage. Die Herausforderungen jedenfalls sind groß und komplex. Stillstand ist keine Option: Bleibt es beim derzeitigen klimapolitischen Kurs, wird die durchschnittliche Temperatur bis 2100 um bis zu 2,8 Grad steigen – und danach wohl noch weiter. Die Internationale Energieagentur (IEA) konstatierte jüngst, dass zwar »eine neue globale Energiewirtschaft im Entstehen begriffen« sei, dass aber noch »eine lange Wegstrecke« vor uns liege.
Die Globalisierung wiederum hat dazu geführt, dass feine weltumspannende Lieferketten gesponnen wurden, die nun an die Grenze des Zerreißens kommen. ..... »Die Warnung von Matalco zeigt, wie die Energiekrise in China globale Wertschöpfungsketten in Mitleidenschaft zieht, die Preise für Schlüsselrohstoffe in die Höhe treibt und die Inflationssorgen befeuert«, kommentierten die S&P-Analysten.
Wie gesagt, es wird voll und warm auf der Erde – ein Treibhaus, in dem es manchmal ziemlich erratisch zugeht.
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