Donnerstag, 24. Juli 2025

Der Professor auf dem Baum ist unschuldig - oder: Das gute Ende einer Jahrzehnte langen Bürokratieposse

Pressemitteilung von Wolfgang Ertel und dem KlimaCamp

Kurzfassung:

Vor etwa 4 Jahren stieg Professor Wolfgang Ertel zusammen mit Samuel Bosch auf einen Baum um gegen Energieverschwendung an der Hochschule Ravensburg-Weingarten zu protestieren. Das darauf folgende Verfahren gegen Ertel wurde nun vom Landgerichts Ravensburg mit Beschluss vom 13.5.2025 eingestellt wegen Geringfügigkeit gemäß § 153 Abs. 2 StPO. Alle Kosten des Verfahrens trägt die Staatskasse.

Chronologie der Ereignisse: 

2000 - 2020: An der Hochschule Ravensburg-Weingarten laufen die Heizungen in den Weihnachtsferien und in den Semesterferien mit voller Leistung durch und teilweise sind die Fenster gekippt. Und nicht nur da, sondern auch an vielen anderen Schulen, Hochschulen und öffentlichen Gebäuden. Eine völlig unnötige Geldverschwendung im Millionenhöhe und gewaltige Umweltverschmutzung, die man durch manuelles Abschalten oder intelligente Regelung ganz einfach beenden könnte.


2010 - 2020: Professor Wolfgang Ertel versucht, auch in seiner Funktion als Nachhaltigkeitsbeauftragter der Hochschule, auf dem Dienstweg, diesen teuren Umweltfrevel zu beenden. Zuerst an der eigenen Hochschule, leider erfolglos, dann zusammen mit Professoren anderer Hochschulen, versucht er, auf allen Ebenen vom Hausmeister bis zu den Ministerien in Stuttgart (Ministerium für Wissenschaft und Kunst (MWK) und Finanzministerium) die Verantwortlichen zum Handeln zu bringen. Wie so oft beim Kampf mit der Bürokratie, haben hier leider die untätigen Blockierer gewonnen. Die Heizungen laufen immer noch in den Ferien.


11.5.2021: Im Rahmen der Nachhaltigkeitswoche der Hochschulen in Baden-Württemberg zeigt Ertel in einem Vortrag das Problem auf. Um noch mehr Menschen zu erreichen, klettert er zusammen mit Samuel Bosch und einem weiteren jungen Klimaaktivisten auf einen Baum im Hochschulcampus, und gibt auf einem Banner seine Forderungen zum Energiesparen bekannt. Das darauf folgende deutschlandweite Presseecho führt dazu, dass Ministerin Theresia Bauer (MWK) sich bei ihm meldet und sagt: "Wenn ein Professor auf den Baum steigt, da muss etwas dran sein." 

Darauf hin setzt sich Frau Bauer für diese Sache ein mit der Folge, dass an den Hochschulen in Baden-Württemberg mehrere Personalstellen für Klimaschutzmanager kreiert werden. Zwei dieser Stellen erhielt die Hochschule Ravensburg-Weingarten mit der Folge, dass bei Energiesparen und Klimaschutz tatsächlich große Fortschritte erfolgt sind. 


10.9.2021: Professor Wolfgang Ertel und Samuel Bosch erhalten vom Amtsgericht Ravensburg je einen Strafbefehl.

Beide werden nach §14 Versammlungsgesetz beschuldigt, eine nicht angemeldete öffentliche Versammlung geleitet zu haben.


19.4.2022: In der Verhandlung am Amtsgericht Ravensburg wird Ertel zu einer Geldstrafe von 4000 Euro verurteilt. Sowohl die Staatsanwaltschaft als auch der Angeklagte gehen in Berufung. Die Staatsanwaltschaft fordert nun sogar 10000 Euro von Ertel. Das für die Berufung zuständige Landgericht Ravensburg sieht sich wegen Überlastung nicht in der Lage, diesen Fall zu bearbeiten. Offenbar hat das Landgericht Wichtigeres zu tun, als sich um solch einen Fall zu kümmern.


13.5.2025: Auf wiederholte Anfragen des Angeklagten nach einem Verhandlungstermin beim Landgericht reagierte dieses mit Verweis auf Überlastung und schließlich mit der Einstellung des Verfahrens wegen Geringfügigkeit gemäß § 153 Abs. 2 StPO. Alle Kosten des Verfahrens trägt die Staatskasse. Dies wird als "Freispruch zweiter Klasse" bezeichnet. Ertel hätte auf einer Verhandlung beim Landgericht bestehen können. Da er aber auch an einem Ende des Verfahrens interessiert war und um dem Gericht Arbeit und Kosten zu ersparen, willigte er ein.

Im Fall von Samuel Bosch, der auch beim Landgericht Ravensburg liegt, gibt es noch kein Urteil.

Persönliche Bewertung der Sache durch den Angeklagten Prof. Wolfgang Ertel:

"Bei der Heizungsaktion an meiner Hochschule handelt es sich um eine Bürokratieposse, wie sie sich in ähnlicher Form auch an anderen öffentlichen Betrieben abspielt. Ich habe über viele Jahre schmerzhaft lernen müssen, dass man gegen blockierende Beamte im System meist am kürzeren Hebel sitzt. Solch ein träges starres bürokratisches System kann man leider nicht von innen ändern, sondern nur durch Aktionen von außen. Diese erfolgreiche Aktion zusammen mit Samuel Bosch und seinem Aktivistenkollegen war aus meiner Sicht einer der größten Erfolge meiner 30 jährigen Dienstzeit als Professor an der Hochschule. Mit relativ wenig Aufwand haben wir viel mehr erreicht als in etwa zehn Jahren bürokratischer Bemühungen.

Was ich hier aber auch betonen möchte, sind die Erfahrungen aus der Verhandlung am Amtsgericht Ravensburg. Für die Staatsanwaltschaft und das Gericht ging es ausschließlich um die Frage, ob Ertel und die Aktivisten eine Ordnungswidrigkeit begangen haben. Dass es bei dieser Aktion darum ging, durch ganz konkrete einfache Maßnahmen das Klima und die Umwelt zu schützen, wurde vom Gericht ignoriert. Ich verweise auf die Aussage meines zweiten Rechsanwalts Professor Balensiefen vor Gericht (siehe unten, bzw. Anhang), es sei meine Pflicht als Landesbeamter, bei Verstößen der Hochschule gegen das Klimaschutzgesetz und die Verordnung zum Energiesparen, aktiv zu werden. Ich bin der Meinung, dass die Gerichte bei Verfahren gegen Umweltaktivisten auch diese andere Seite in die Waagschale werfen sollten."

Aussage des zweiten Verteidigers, Professor Gotthold Balensiefen (Professur für Bau-, Planungs- und Umweltrecht an der Hochschule Biberach): "Prof. Ertel hatte nicht nur eine moralisch-politische Motivation für seine Aktion, sondern eine gesetzliche Handlungspflicht, gegen die rechtswidrige Situation an der Hochschule Ravensburg-Weingarten vorzugehen. Dies ist im Rahmen von Rechtswidrigkeit bzw. Verschulden des Angeklagten zu berücksichtigen."

Prof. em. Dr. Wolfgang Ertel,   Scientists for Future Ravensburg

Email: ertelw@gmail.com  




Prof. Dr. G.A. Balensiefen 19.04.2022
AG Ravensburg
i.S. Prof. Dr. Ertel wegen Verstoß gegen das Versammlungsgesetz

1. Versammlungsrecht
Ausführungen von RA Rheinländer
Bei Planung einer vergleichbaren Aktion läge die Überlegung, dass es sich bei einer Baumbesetzung mir Transparentaufhängung um einen nach dem Versammlungsrecht zu beurteilenden Sachverhalt einer öffentlichen Versammlung handelt, ferne, zumal das Hochschulgelände dem Hausrecht des Rektors unterliegt. Daher wäre eher die Frage näherliegend, wie eines solche Aktion mit dem Hausrecht vereinbar ist bzw. der Tatbestand der Sachbeschädigung (am Baum o.ä.) vermieden werden kann.

2. Rechtswidrigkeit des Zustandes an der RV Ravensburg
Prof. Ertel hatte nicht nur eine moralisch-politische Motivation für seine Aktion, sondern eine gesetzliche Handlungspflicht, gegen die rechtswidrige Situation an der Hochschule Ravensburg-Weingarten vorzugehen. Dies ist im Rahmen von Rechtswidrigkeit bzw. Verschulden des Angeklagten zu berücksichtigen.

2.1 Betriebsanweisung Energie
Verwaltungsvorschrift des Finanz- und Wirtschaftsministeriums zum Betrieb energieverbrauchender Anlagen in von Landesbehörden und Landeseinrichtungen genutzten Gebäuden (VwV Betriebsanweisung Energie) vom 6. August 2013 – Az. 4-3332.30/4; Bekanntmachung im Gemeinsamen Amtsblatt Baden-Württemberg vom 28. August 2013, Seite 394
Hiernach verursacht der Gebäudebestand jährliche Betriebskosten in dreistelliger Millionenhöhe. Allein die Kosten für Energie haben sich in den letzten 10 Jahren verdoppelt. Um Betriebskosten zu reduzieren und den Landeshaushalt zu entlasten sowie aus Gründen des Umweltschutzes ist ein optimaler Gebäudebetrieb besonders wichtig. Diese Betriebsanweisung enthält umfassende Regelungen u.a. für das wirtschaftliche Betreiben von energieverbrauchenden Anlagen.“

Nach Ziff. 2. Ist zur Wahrnehmung dieser Verantwortung für jede Liegenschaft von der Dienststellenleitung „Beauftragte für Gebäudebetrieb und Energiemanagement“ sowie „Anlagenbetreuerinnen oder Anlagenbetreuer“ zu bestellen. Sie haben insbesondere auf einen sparsamen Umgang mit Elektro- und Heizenergie sowie Wasser hinzuwirken. Die Zuständigkeiten sind im Geschäftsverteilungsplan auszuweisen.

Dies war bzw. ist an der Hochschule Ravensburg – wie auch an anderen Hochschulen in der Verantwortung des Landesbetriebs Vermögen und Bau soweit ersichtlich nicht der Fall.
Unter 5.2 ist geregelt: „Unbenutzte oder vorübergehend nicht benutzte Räume (Urlaub, Krankheit) sind in der Regel nicht zu beheizen.“

Unter 5.4 sind Maßnahmen zur Betriebsoptimierung sowie zum abgesenkten Heizbetrieb detailliert geregelt.

2.2 Klimaschutzgesetz (KSG) Baden-Württemberg
Aus dem Klimaschutzgesetz BW ergibt sich eine dreistufige Handlungspflicht, gegen solche Situationen wie diejenige an der Hochschule Ravensburg - aber nicht nur dort - vorzugehen:

2.2.1 Allgemeine Verpflichtung zum Klimaschutz gem. § 8 Abs. 1 S. 1 KSG:
„(1) Jeder soll nach seinen Möglichkeiten zur Verwirklichung der Klimaschutzziele, insbesondere durch Energieeinsparung, effiziente Bereitstellung, Umwandlung, Nutzung und Speicherung von Energie sowie Nutzung erneuerbarer Energien beitragen…“

2.2.2 Besondere Pflicht zu energieeinsparenden Maßnahmen nach § 8 Abs. 2 S. 2 KSG:
„Die staatlichen, kommunalen und privaten Erziehungs-, Bildungs- und Informationsträger sollen im Rahmen ihrer Möglichkeiten über Ursachen und Bedeutung des Klimawandels sowie die Aufgaben des Klimaschutzes aufklären und das Bewusstsein für einen sparsamen Umgang mit Energie fördern.“

2.2.3 Vorbildfunktion der öffentlichen Hand gem. § 7 KSG (Umsetzung der GEEG-RL sowie des GEG)
„(1) Der öffentlichen Hand kommt beim Klimaschutz in ihrem Organisationsbereich eine allgemeine Vorbildfunktion zu, insbesondere durch Energieeinsparung, effiziente Bereitstellung, Umwandlung, Nutzung und Speicherung von Energie sowie Nutzung erneuerbarer Energien…
(2) Das Land setzt sich zum Ziel, bis zum Jahr 2030 die Landesverwaltung im Sinne von Satz 2 nettotreibhausgasneutral zu organisieren. Zur Verwirklichung dieses Zieles verabschiedet die Landesregierung ein Konzept, das die Hochschulen sowie Behörden des Landes und sonstige Landeseinrichtungen ohne eigene Rechtspersönlichkeit umfasst, soweit sie der unmittelbaren Organisationsgewalt des Landes unterliegen. Ausgeschlossen sind Einrichtungen des Landes, soweit sie Dienstleistungen im freien Wettbewerb mit Privaten erbringen. In begründeten Ausnahmefällen kann die Landesregierung weitere Organisationseinheiten vom Anwendungsbereich des Konzepts nach Satz 2 ausnehmen. Die Netto-Treibhausgasneutralität soll in erster Linie durch die Einsparung von Energie, die effiziente Bereitstellung, Umwandlung, Nutzung und Speicherung von Energie sowie die Nutzung erneuerbarer Energien erreicht werden. Ergänzend kann sie durch Kompensation im Wege rechtlich anerkannter Emissionsminderungsmaßnahmen oder Emissionsminderungs-maßnahmen mit im Wesentlichen vergleichbaren Standards verwirklicht werden.“

2.3 Gebäudebezogene Energieaushänge gem. § 80 Abs. 6 GEG
Die Vorbildfunktion der öffentlichen Hand wird gesetzlich auch dadurch hinterlegt, dass für öffentliche Gebäude - außer für Denkmäler - Energieausweise auch ausgehängt werden müssen.
„(6) Der Eigentümer eines Gebäudes, in dem sich mehr als 250 Quadratmeter Nutzfläche mit starkem Publikumsverkehr befinden, der auf behördlicher Nutzung beruht, hat sicherzustellen, dass für das Gebäude ein Energieausweis ausgestellt wird. Der Eigentümer hat den nach Satz 1 ausgestellten Energieausweis an einer für die Öffentlichkeit gut sichtbaren Stelle auszuhängen. Wird die in Satz 1 genannte Nutzfläche nicht oder nicht überwiegend vom Eigentümer selbst genutzt, so trifft die Pflicht zum Aushang des Energieausweises den Nutzer. Der Eigentümer hat ihm zu diesem Zweck den Energieausweis oder eine Kopie hiervon zu übergeben. Zur Erfüllung der Pflicht nach Satz 2 ist es ausreichend, von einem Energieausweis nur einen Auszug nach dem Muster gemäß § 85 Absatz 8 auszuhängen.“

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