Dienstag, 2. April 2024

Wohlstand - aber anders: Island setzt auf die Wellbeing Economy

hier  ZDF  von Claire Roggan  26.03.2024


Wachstum dominiert seit Jahrzehnten unser Denken und Handeln. Doch ist das in Zeiten von Umwelt- und Wirtschaftskrisen noch zeitgemäß? Island zeigt, wie es auch anders gehen kann.



Die weltweite Wirtschaft durchlebt eine Phase der Unsicherheit: stagnierende Märkte, schrumpfendes Bruttoinlandsprodukt und düstere Prognosen für das laufende Jahr. Die Annahme, dass Wirtschaftswachstum gleichbedeutend mit Fortschritt und ein wachsendes Bruttoinlandsprodukt mit besseren Lebensbedingungen einhergehen, durchzieht die politischen Debatten und ökonomische Analysen. Doch geht es auch anderes? Ist es an der Zeit, unser Wachstumsimperativ über den Haufen zu werfen? Was wäre, hätte man andere Kennzahlen?

Island hat sich genau dieser Frage angenommen. Dort wurde nach der Finanzkrise die Wellbeing Economy, die Ökonomie des Wohlergehens, eingeführt. Wohlstand und Wachstum, an dem alle teilhaben können.

Islands Bankensektor brach in wenigen Tagen zusammen

Die Finanzkrise von 2008 traf Island früher und härter als viele andere europäische Länder. Islands Finanzindustrie, einst ein bedeutender Akteur, lag in Trümmern. Innerhalb weniger Tage brach der gesamte Bankensektor des Landes zusammen, zahlreiche Unternehmen gingen pleite, ausländisches Kapital zog sich zurück und die Landeswährung stürzte ab. Tausende Isländer verloren ihre Häuser und Arbeitsplätze.

Die Krise zwang Island zu einem Umdenken. Anders als in vielen anderen Ländern wurden die Banken verstaatlicht, ein umfassendes Programm zur Schuldenerlassung für die Bürger eingeführt und die Währung wurde um fast 60 Prozent abgewertet, um die Nachfrage nach lokalen Produkten auf dem internationalen Markt zu fördern.

Island hat Banker strafrechtlich verfolgt

Island war das einzige Land, das Banker strafrechtlich verfolgte. Hieran zeigte sich nicht nur, wer geschützt wurde, sondern auch wer die Kosten tragen musste. Es erwuchs die Notwendigkeit für einen neuen Ansatz in der Politik und Wirtschaftsführung.

"Wir in Island mussten unser Modell nach der Krise in vielerlei Hinsicht überdenken", sagt Thor Sigfusson, damals CEO einer großen Versicherungsfirma.

Es war an der Zeit, auch unser Tun und unsere Art der Arbeit zu hinterfragen.


Neue Maßstäbe berücksichtigen auch mentale Gesundheit

Island hat sich politisch neuen Erfolgsmaßstäben verpflichtet, die auch Faktoren wie mentale Gesundheit und den Verzicht auf CO2-Emissionen berücksichtigen. Gemessen wird nicht nur das, was ein Preisschild hat, sondern auch Wohlfahrt und Lebensqualität sowie negative Positionen wie Umweltzerstörung und Ressourcenverbrauch.

Kristín Vala Ragnarsdóttir hat diese Entwicklung maßgeblich vorangetrieben. Sie ist Professorin für Geowissenschaften an der University of Iceland und Gründungsmitglied der Wellbeing Economy Alliance, einem globalen Netzwerk aus Organisationen und Einzelpersonen, die sich für menschliches und ökologisches Wohlergehen einsetzen.

"Eine wachsende Wirtschaft bedeutet nicht zwangsläufig,
 dass sich Natur oder Mensch wohlfühlt".
Wir streben eine Wirtschaft an,
die sowohl für Menschen als auch den Planeten gut ist
und nicht nur für die Buchhaltung.

erklärt Ragnarsdóttir.


Wirtschaft im Einklang mit Umwelt wichtig

Mit einer Arbeitsgruppe arbeitete Ragnarsdóttir im Auftrag der Regierung verschiedene Indikatoren für eine Ökonomie des Wohlergehens heraus. Diese orientieren sich nicht nur am wirtschaftlichen Wachstum, sondern auch an sozialen und ökologischen Faktoren wie Vertrauen in die Politik, psychische Gesundheit, Arbeitszufriedenheit oder Vereinbarkeit von Beruf und Familie.
2020 hat die Regierung diese 39 Indikatoren abgesegnet.

Für Ragnarsdóttir ist das ein großer und wichtiger Schritt in die richtige Richtung, wenn es um eine Wirtschaft im Einklang mit der Umwelt geht. 

"Wir müssen nun endlich in die Natur investieren.
Wenn wir das nicht tun, haben wir bald weder eine funktionierende Ökonomie
noch eine gute Lebensgrundlage."


ZDF  hier  von Mark Hugo und Luisa Billmayer  8.12.23

Krisen schaden Ambitionen: Wie die Länder beim Klimaschutz abschneiden

In Krisenzeiten leiden die Klima-Ambitionen weltweit. Das ist das Ergebnis des neuen Klimaschutz-Index, der auf der COP vorgelegt wurde. Deutschland kann sich leicht verbessern.

In Krisenzeiten leiden die Klima-Ambitionen weltweit. Das ist das Ergebnis des neuen Klimaschutz-Index, der auf der COP vorgelegt wurde. Deutschland kann sich leicht verbessern.

Klima-Ambitionen der Länder im Vergleich


Es gibt keine wirklich guten Noten für die Klimaschutz-Ambitionen der 63 Länder, die der neue Klimaschutz-Index unter die Lupe genommen hat. Und das hat Gründe. "Die Regierungen setzten weniger klimapolitische Maßnahmen um und müssen viele Krisen gleichzeitig lösen", erklärt Prof. Niklas Höhne vom NewClimate Institute. "Und das ist nicht gut, denn Klimaschutz braucht alle Aufmerksamkeit." Zusammen mit der Umweltorganisation Germanwatch hat das Institut den Index auf der Weltklimakonferenz COP28 in Dubai vorgestellt.

Selbst Staaten mit eher besserer Klimapolitik wie Dänemark
scheinen heute weiter vom Erreichen der Pariser Klimaziele entfernt zu sein
als in den vergangenen Jahren.

Prof. Niklas Höhne, NewClimate Institute

Immerhin: Hoffnung macht laut Index der Boom der Erneuerbaren Energien. Noch nie wurden weltweit so viel Wind-, Sonnenenergie und Wasserkraft installiert wie 2022. Dieser Anstieg müsse nun aber "exponentiell" fortgesetzt werden.

In den Notfallmodus umschalten

"Wir müssen jetzt in den Notfallmodus schalten und den entscheidenden Beitrag dazu müssen die 63 Staaten und die EU leisten, die wir in diesem Index betrachten", so Höhne. Zusammen sind diese Länder für mehr als 90 Prozent des weltweiten Treibhausgasausstoßes verantwortlich.

Wer beim Klimaschutz vorne liegt

Im Ranking des Index stehen Dänemark (4), Estland (5) und die Philippinen (6) auf den Spitzenplätzen. Die ersten beiden vor allem durch den Ausbau der Erneuerbaren, die Philippinen besonders, weil sie Emissionen und Energieverbrauch deutlich reduzieren konnten und dabei auch noch "gute Klimapolitik" umsetzen. Die Top-Platzierungen fangen erst bei 4 an, weil symbolisch die ersten drei Plätze nicht vergeben werden, solange kein Land als "sehr gut" eingestuft wird.

Deutschland verbessert sich leicht

Deutschland kann sich um zwei Plätze auf 14 verbessern. Hauptgrund ist, dass die Regierung beim Tempo des Ausbaus von Wind und Solar angezogen hat. Aber: "Die Gründe für die eher mäßige Bewertung der nationalen Klimapolitik Deutschlands liegen vor allem in einer klimapolitisch zu schwachen Verkehrspolitik, der Abschwächung des Klimaschutzgesetzes sowie einem am Ende verwässerten Gebäudeenergiegesetz", sagt Jan Burck von Germanwatch.

    Dies sind alles Ergebnisse der oft gegensätzlichen klimapolitischen Ambitionen
innerhalb der Ampelkoalition.

Jan Burck, Germanwatch

Derzeit fokussiere man sich auf die Erneuerbaren, ergänzt Höhne. "Das reicht aber nicht aus. Deutschland muss ein Gesamtkonzept verabschieden, das alle Treibhausgasemissionen in allen Sektoren reduziert."

Klimaschutz-Index: Wie Deutschland abschneidet

Aufsteiger des Jahres ist Brasilien. Das Land verbesserte sich von Rang 38 auf 23 - wegen der "ambitionierten Klimapolitik" und der Eindämmung der Regenwald-Abholzung des neuen Präsidenten Lula da Silva. Allerdings: Trotz der Fortschritte baue Brasilien die Produktion von Kohle, Öl und Gas weiter aus und werde seine Klimaziele wohl verfehlen, so der Bericht.

Großbritannien deutlich schlechter

Neben Italien ging es dagegen besonders für den ehemaligen "Musterschüler" Großbritannien steil bergab - um neun Ränge auf Platz 20. "Das ist vor allem Folge der Klimawende des neuen Premiers Rishi Sunak", so Thea Uhlich von Germanwatch. Inzwischen wolle er die Kohle- und Ölförderung sogar noch ausbauen. Ganz hinten im Ranking stehen die Erdöl- und Gasproduzenten Vereinigte Arabische Emirate, Iran und Saudi-Arabien.

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