Sonntag 27. Februar Altdorfer Wald
Ein Jahr Baumcamps,
Baumbesetzer und Verteidiger, Wächter des Altdorfer Waldes.
Und dann hier, eine Veranstaltung zum Krieg, zur Invasion Russlands in die
Ukraine. Passt dies zusammen?
Ja, es passt zusammen. Und dafür möchte ich zu Beginn meiner Rede historisch ein paar Jahrhunderte zurück gehen - es geht um einen sehr alten und, auch jetzt, wiederkehrenden Konflikt zwischen zwei scheinbar simplen Begriffen: GROSS und KLEIN
die großen
Ideologien, die großen Imperien, mit den großen Lügen und den großen
Versprechungen, und der großen Gier nach Land, Macht, Rohstoffen und der Hybris
der Erwählten, die anderen mit der einzig gültigen Wahrheit - die Begriffe sind
austauschbar - missionieren, zivilisieren, politisch und ideologisch befreien
und in die Moderne zu vergewaltigen zu müssen. Die großen Technologien, die
großen Formen von Expansion, Wachstum und Zerstörung.
Der deutsche Philosoph Ernst Friedrich Schumacher, der vor den Nazis nach England emigrierte, und zwei zukunftsweisende Bücher verfasste - „small is beautiful“ und „Economics as if people mattered“, auf Deutsch:
„Die Rückkehr zum menschlichen Maß“ er schrieb
„Jeder intelligente Idiot kann Dinge größer machen, komplizierter und gewalttätiger.
Es braucht aber eine Menge Begabung und Mut, in die gegenteilige Richtung sich zu bewegen.
Damit sind wir noch nicht bei der Geschichte
der Ukraine, sondern beim Phänomen Ukraine:
Vor 500 Jahren
erfand das christliche Europa die Bestialität des Großen - die Sklaverei, den
Kolonialismus, den Imperialismus in den Kontinenten des Südens und in
Nord-Amerika, den künftigen USA. Imperialmächte entstanden - Großbritannien mit
dem Commonwealth, The Empire, Frankreich, La Grande Nation, Belgien, die
Niederlande, Spanien und Portugal. Menschen, Produktionsformen und Kulturen
wurden vernichtet oder „angepasst“, die große Lüge wurde realisiert: den
Siedlern wurde Reichtum versprochen, den bekamen sie, so wie die Hauptstädte,
die Zentren der Macht.
Auf Kosten der „Missionierten“, der „Zivilisierten“, über die nicht geredet wurde. Es kam zu vielen, oft kleinen Widerständen und Befreiungskämpfen. Sie wurden niedergeschossen, die Unabhängigkeit des Südens aber war nicht zu verhindern. Ein Imperium aber gibt man nicht auf. Frankreich hält bis heute, u.a. mit Militärdependancen Westafrika in post-kolonialer Abhängigkeit, die USA brachten mit 70 Invasionen allein seit 1990 und etwa ebenso vielen CIA-Operationen ihre Marionettenregime an die Macht und sichern die Plünderung des Südens. Das sollte man wissen, wenn man bei Vladimir Putin den Begriff der Invasion benutzt.
In aller Kürze
kondensiert: auch im Osten, aus den Imperien der russischen Zarenreiche,
entstand ein 1922 neues Imperium: die „Union der Sozialistischen
Sowjetrepubliken“ mit 15 Staaten. Auch in diesen Staaten gab es bald das Gefühl
der Unfreiheit, der Umklammerung durch Moskau, gab es Befreiungs-versuche. Die
zeitweise stalinistischen Machthaber in Moskau reagierten nicht anders als die
Kolonialmächte: 1953 beendeten 630
russische Panzer und 400.000 Soldaten den Volksaufstand in der DDR, 1956 den
Aufstand unter Imre Nagy in Ungarn, 1968 den „Prager Frühling“ unter Alexander
Dubcek.
Es gab ein
vorgebliches Hoffnungszeichen aus Moskau: Die sogenannte „Stalin Note“ vom 10.
März 1952, in der Stalin ein vereintes, demokratisches und entmilitarisiertes
Deutschland und den Abzug aller Besatzungsmächte skizzierte. Die Westmächte
stimmten einem Friedensvertrag zu, verlangten aber gesamtdeutsche Wahlen unter
internationaler Kontrolle, die Moskau
ablehnte.
Der Kalte Krieg
begann, nicht unwesentlich eine Erfindung der USA, mit ihr die Rüstungsspirale,
die NATO im Westen, der Warschauer Pakt im Osten.
Dennoch gab es in
dieser verhärteten Situation, in der beide Seiten so kurz nach dem II. WK
selbst vor Atomwaffen nicht zurückschreckten, dennoch gab es von sowjetischer
Seite unter Gorbatschow und auch unter Yelzin Annäherungsversuche, die alle vom
Westen ignoriert wurden.
1991 / 92
kollabierte die UdSSR - auf die komplexen Gründe gehe ich hier nicht ein; kein
Warschauer Pakt mehr, keine „Satellitenstaaten“ Moskaus, Russland streckte
seine Hand aus unter Yelzin zu - locker formuliert - einer freundschaftlichen
Beziehung zum Westen. Dessen Antwort war die Doktrin, dass die Menschen sich
fürchten müssten vor Russland, der Marshall-Plan, also die wirtschaftliche
„Aufrüstung“ der Bundesrepublik zu einer Wirtschafts-Dependance der USA.
Danach gab es ein
anderes Moskau, einen anderen Putin:
Nach 9/11 bot Russland den USA seine Hilfe im Kampf gegen den islamischen
Terrorismus an; kurz darauf erhielt Putin „standing ovations“ für seine Rede im
Deutschen Bundestag 2011, in der er sich für eine Stärkung der Marktwirtschaft,
für Demokratie und Zusammenarbeit aussprach. Und dies angesichts der
politischen Entwicklung in Russland:
Immer mehr der
ehemaligen COMECON-Staaten erklären ihre
Unabhängigkeit von Russland - darunter Georgien, Nord-Kasachstan, Krim
und die Ukraine im August 1991. Letztere war somit kein Produkt Russlands, wie
es Putin darzustellen versucht, sondern über Jahrhunderte schon ein
selbständiges Gebilde, unter Polen, unter Habsburg und im Russischen Reich.
Was
also geht in Putin vor? Existentielle Bedrohung, weil sich nicht nur die EU
nach Osten erweitert, sondern, von 1999 bis 2020, durch die Osterweiterung der
NATO 14 osteuropäische Staaten nun dem westlichen Militärbündnis angehören, das
seine Manöver immer weiter nach Osten ausdehnt?
Der jetzige, der
völlig gewandelte Vladimir Putin ist furchterregend und bedrohlich und mit keiner
Historie zu rechtfertigen. Um es deutlich klar zu stellen - mir geht es nicht
um die geringste Relativierung, sondern um die Reflektion über mögliche
historische Fehler. Ich versuche das zu tun, was Gabriele Krone-Schmalz, die
beste Ost-Europa-Kennerin und Korrespondentin, die die ARD je hatte, immer
versuchte - zuzuhören und zu verstehen, wie Konfrontationen entstehen. Also
auch lange vor dem Krieg gegen die Ukraine, andere, gewaltsame Invasionen im
Osten wie im Westen.
Beispiele: die
Invasion sowjetischer Truppen in Afghanistan, die nicht weniger brutal war als
die us-amerikanische; die Bevölkerung, insbesondere Frauen, wurden politisch
genauso vergewaltigt und zu ihrer Bildung aus der traditionellen „Finsternis“
gezwungen wie bei den späteren westlichen Invasionen. Aus der sowjetischen sind
die Taliban entstanden. Bei der Krim handelte es sich um eine
völkerrechtswidrige Annektion, in Ossetien im unabhängigen Georgien wurde mit
Hilfe von außen geputscht, wie in Nord-Kasachstan, in Tschetschenien fielen russische
Bomben.
Da wurden und
werden, ganz ähnlich wie in im ehemaligen Yugoslawien, für die Massaker der
Serben, die Sezession der faschistischen Ustascha in Kroatien, Rechtfertigungen
für die Invasionen konstruiert: in den von Putin anerkannten „Volks-Republiken“
Donezk und Luhansk wurde ein angeblicher „Genozid“ verhindert, für den keine
internationale Menschenrechtsorganisation noch die verbotene russische
Menschenrechtsorganisation „Memorial“ den geringsten Beweis fanden. In Kiew
sind angeblich Faschisten an der Macht, Putin will ja nur eine
„Entnazifizierung“.
Ein geradezu
freundschaftliches Verhältnis unterhält Putin mit dem Diktator Lukaschenko, der
auf sein Volk schießen, die Opposition zu Tode foltern lässt. Ausgerechnet in
Minsk offeriert Putin nun Gespräche mit Selinski, der Belarus nie wieder als
freier Mann verlassen würde. Aus Belarus dringen die russischen Truppen nach
Kiew vor, dort werden die Raketen auf Kiew abgeschossen.
Putin hat engste Beziehungen zu den Diktatoren bzw präsidialen Diktaturen in Kasachstan,
Turkmenistan, Tadschikistan. Mit dem autokratischen Machthaber Aserbeidschans,
Hedor Oleyev, verbinden Putin gemeinsame Zeiten im sowjetischen KGB.
Der britische
Historiker Timothy Garton Ash schreibt in der „Süddeutschen Zeitung“ vom
26. Februar:
„Russland wird kommandiert von einem Präsidenten, der - soweit man dies in den hysterischen Tiraden diese Woche beurteilen kann- das Gebiet des rationalen Kalkulierens verlassen hat, wozu isolierte Diktatoren früher oder später immer neigen. Als der Donnerstag früh jedem, „der versucht, uns zu behindern“, mit „Konsequenzen, wie Sie sie noch nie in Ihrer Geschichte erlebt haben“ drohte - da drohte er uns mit einem Atomkrieg.‘
Die ukrainische Schriftstellerin Tanja Maljartschuk schreibt Über Diktatoren und damit über Putin:
„sie manipulieren, kontrollieren, lügen, bluffen, entschuldigen sich niemals, nehmen nie Verantwortung auf sich, zersetzen die Wahrheit, stellen sich als Opfer dar.
Obwohl das Ziel ihrer Aggression die Aggression selbst ist, erfinden sie immer einen plausiblen Grund für ihre Gräueltaten. Sie greifen nur dann an, wenn sie denken, das Opfer sei schwach genug.“
Die Repressionen in Russland gegen Kritiker an diesem Krieg, gegen NGOs, gegen Menschenrechts-Organisationen nehmen täglich zu. Dennoch wagen Russen, denen unsere Solidarität gelten muss, einen Aufschrei. Beispielhaft für viele ein Offener Brief an Präsident Putin:
“Wir, russische Wissenschaftler und Wissenschafts-Journalisten, erklären unseren heftigen Protest gegen die Feinseligkeiten der russischen Streitkräfte auf dem Gebiet der Ukraine. Dieser verhängnisvolle Schritt führt zu einem großen Verlust an Menschenleben und untergräbt die Grundlagen eines internationalen Sicherheitssystems. Die Verantwortung für den Beginn eines neuen Krieges in Europa liegt ausschließlich bei Russland.
Es gibt keine rationale Begründung für diesen Krieg. Es ist unzweifelhaft, dass die Unkraine kein Sicherheitsrisiko für unser Land ist.“
Die Ukraine ist nur ein Beispiel für das Auftreten Russlands und somit Putins in anderen Weltregionen:
Als ständiges Mitglied im Weltsicherheitsrat hält Moskau seit elf Jahren seine schützende Hand über Machthaber Assad, zwischen 2011 und 2020 verhinderte Russland 16 Resolutionen zu Syrien. Dadurch können Völkerrechtverbrechen des syrischen Regimes nicht an den Internationalen Strafgerichtshof in Den Haag überwiesen werden.
Die milliardenschwere, zu 80 Prozent von den USA und Europa finanzierte UN-Hilfe wird vom Regime Assad zum Machterhalt missbraucht.
Ab Sommer 2015 schickte Putin auf Bitten Assads Truppen und
militärisches Gerät – auch in der Hoffnung, mit einem Engagement in Syrien sei
seine im Jahr zuvor durch die Annexion der Krim ausgelöste internationale
Isolation zu beenden. Damaskus gewährt Moskau die kostenlose und unbefristete
Nutzung des Flughafens Hmeimin südöstlich von Latakia, den Putin zu einem
russischen Luftwaffenstützpunkt ausbauen lässt, auf dem inzwischen
nuklearfähige Bomber landen können.
Diesen Flughafen nutzt auch die russische Söldnertruppe Wagner,
die von der Regierung in Mali angefordert worden sein soll, wahrscheinlicher
ist, dass sie sich „angefordert“ hat, um angeblich Rebellen zu bekämpfen.
Den größten Effekt wird Putins Krieg in der Ukraine für die
Waffenindustrie auch in Deutschland haben. Dass nun, mit überwältigender
Befürwortung der Bevölkerung, noch mehr aufgerüstet werden wird, steht fest,
die Ängste sind geschürt. Keine Fragen mehr zur Entwicklung von FCAS, das
Future Combat Air System mit einem New Generation Fighter, unbemannten Tarnkappen-Kampfdrohen
und neuen Waffen- und Kommunikations-systemen. Geschätzte 100 Milliarden
Entwicklungskosten für Airbus Defence and Space, Dassault und Indra Sistemas. Dies schaffe 7000 neue Hightech-Arbeitsplätze, erklärt
das Management von Airbus.
Ja, insbesondere im deutschen Bildungs- und
Sozialsystem, und in der Kultur. Und die Aufrüstung
Sichert auch den sozialen Frieden in Deutschland.
Da sind wir wieder beim Anfang meiner Ausführungen: beim Großen
und beim Kleinen.
Die ehemalige Bundestagspräsidentin Rita Süßmuth schrieb
für ihre Enkel ein Buch mit dem Titel „Überlasst die Welt nicht den
Wahnsinnigen.“
Dies ist auch die Botschaft des zivilen Widerstandes der jungen
Menschen, und ihrer Unterstützer, im Hambacher Forst, im Dennenröder Forst, im
Altdorfer Wald. A
uch wenn sie wie Kriminelle behandelt wurden und werden.
Dazu schrieb der uruquayische Schriftsteller Eduardo Galeano vor
etlichen Jahren einen Text, der aktueller ist denn je. Mit den konkreten
Utopien von unten, deren Teil wir sind
Für ein Wachstum des Kleinen,
für eine Welt, die allen ein Morgen gewährt.
Die Moskitos sind stärker als das Rhinozeros
Das 20 Jahrhundert war geboren unter dem Zeichen der Revolution - und es stirbt, gezeichnet von Verzweiflung. Haltet die Welt an - ich will aussteigen!
Jetzt, in Zeiten des Zusammenbruchs und der Erstarrung wachsen die Reihen derer, die bedauern, voll politischer Leidenschaft gewesen zu sein. / Die einen bedauern, dass sie geglaubt haben, man könne den Himmel herausfordern, die anderen wollen ihre Spuren verwischen und von der Hoffnung absteigen, als handle es sich bei ihr um ein abgehalftertes Pferd. /
Wie viel Luft ist übrig, die nicht vergiftet ist?
Wie viel Land, wie viel Wasser, das man noch nutzen kann?
Wie viel unversehrte Seelen findet man noch? Aber irgendjemand schrieb im Vorübergehen an eine Wand in Bogotá "Lasst uns den Pessimismus für bessere Zeiten aufbewahren".
Wenn wir im Spanischen von Hoffnung sprechen, sagen wir "abrigamos esperanzas" - "wir beherbergen die Hoffnung" /
Zwar sieht der Teppich, der über unserem Alltag liegt, übel mitgenommen aus. Aber hier und da werden neue Fäden sichtbar, in ganz neuen Farben.
Alternative soziale Bewegungen brauchen nicht unbedingt Parteien und Gewerkschaften. Auf lokaler Ebene schaffen sie sich in tausendfacher Form Raum. Sie machen kein großes Aufheben um sich, aber einer ihrer Vertreter sagte
"Ein Schwarm Moskitos ist mächtiger als ein Rhinozeros, denn er wächst an und brummt und dröhnt."
In Lateinamerika gibt es einige Bewegungen, die genau auf diese Weise anwachsen und gefährlich werden - die Bewegung der Landlosen, der Obdachlosen, der Arbeitslosen, all der Habenichts. Die Menschenrechtsbewegungen, die weißen Tücher der Mütter und Großmütter, die dagegen aufstehen, dass staatliche Gewalt ungesühnt bleibt; die Nachbarschaftsbewegungen, die Verbrauchergruppen, die für gerechte Preise und gesunde Produkte sich einsetzen, die gegen sexuelle und rassistische Diffamierung kämpfen / die Umwelt- und die Friedensgruppen, und die, die in Basisgesundheitsdiensten arbeiten, oder in Bildungsprogrammen für die Armen, die ihnen helfen, ihre eigene Geschichte zu entdecken, und Kooperativen zu gründen, Radiostationen vom Volk für das Volk, organischen Landbau und die Armen ermächtigen, mit ihrer Stimme zu sprechen.“
Dies ist der Geist, der die Baumbesetzer und ihre
Unterstützer im Altdorfer Wald beflügelt.
Helfen wir mit, dass sie sich
vermehren wie die Moskitos.
Darf ich Sie um eine Gedenkminute für die Opfer des Krieges
in der Ukraine bitten.
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