Frankfurter Rundschau hier
Energieprofessorin Claudia Kemfert über die Möglichkeiten, beim Klimawandel gegenzusteuern, die Verantwortung Deutschlands – und die bestmögliche Regierungskoalition.
Frau
Professorin Kemfert, unter dem Eindruck der Flutkatastrophe fordern nun viele mehr oder
schnelleren Klimaschutz, allen voran Kanzlerin Angela Merkel. Was sagen Sie
dazu?
Es stimmt, wir
müssen viel schneller werden beim Klimaschutz. Ich frage aber auch: Warum haben viele, die heute mehr Tempo
fordern, den Klimaschutz so lange so vehement ausgebremst? Klimaschutz ist
Katastrophenschutz. Klimaschutz spart Geld. Und Klimaschutz nützt der
Wirtschaft. Mehr Win-Win-Win geht doch gar nicht. Wir haben kein Erkenntnis-,
nur ein Umsetzungsproblem.
Bisher
haben viele Politikerinnen und Politiker offenbar geglaubt, Klimaschäden
hinzunehmen sei billiger als ernsthaften Klimaschutz zu betreiben. Hätten sie
früher wissen können, dass diese Rechnung nicht aufgeht?
Klar!
Wissenschaftliche Studien warnen seit Jahrzehnten, dass Nichthandeln fatal ist.
Die fossilen Energien kommen uns teuer zu stehen. Sehr teuer. Der Nutzen des
Klimaschutzes ist viel größer als die Kosten. Klimaschutz vermeidet
Klimaschäden. Und Klimaschutz bringt enorme wirtschaftliche Chancen für viele
Branchen – wie Energie, Immobilien, Mobilität, Finanzen und Digitalisierung.
Klimaschutz:
Deutschland unter den Top-Klimasündern
Was
glauben Sie, werden die Widerstände nun kleiner?
Die Widerstände
werden eher größer, denn jetzt geht es ans Eingemachte. Und die PR-Kampagnen
der Bremser wirken leider, etwa wenn es reflexhaft heißt, Deutschland sei nur
für zwei Prozent der globalen Emissionen verantwortlich und könne das Weltklima
nicht retten.
Fakt ist: Deutschland ist unter den Top Ten der globalen
Emittenten, schleppt einen riesigen Rucksack schon entstandener und Jahrzehnte
wirkender Treibhausgase mit sich herum und hat als starke Exportnation alle
Möglichkeiten, den Klima-Fußabdruck massiv zu senken. Ganz zu schweigen von den
über 190 Ländern, die sich in Paris zum Klimaschutz verpflichtet haben und die
zu großen Teilen schon viel weiter sind als Deutschland.
Das
Umweltbundesamt hat errechnet, eine Tonne CO2 auszustoßen, müsste 195 Euro
kosten, um die dadurch ausgelösten Schäden abzudecken. Ist das umsetzbar? Und
wie?
Im freien Markt
würde der CO2-Emissionsrechtehandel solche Preise durchaus hervorbringen.
Dagegen gibt es berechtigten Widerstand, auch aus der Wirtschaft. Wir hatten
vorgeschlagen, für die Bereiche Verkehr und Gebäude einen nationalen CO2-Preis
einzuführen, der bei 80 Euro pro Tonne CO2 startet und schrittweise bis 2030
auf 180 Euro steigt. Kluger Klimaschutz schafft zudem soziale Gerechtigkeit und
sorgt für sozialem Ausgleich, denn durch eine Rückerstattung der Einnahmen über
eine jährliche Pro-Kopf- Klimaprämie entlastet man vor allem Menschen mit wenig
Einkommen. Und: Wenn man fossile Energien verteuert, müssen die Öko-Energien
verbilligt und finanzielle Hilfen für den Umstieg gewährt werden.
Um das
1,5-Grad-Limit der globalen Erwärmung einzuhalten, müsste Deutschland
Klimaneutralität schon deutlich vor 2045 erreichen, wie es das neue
Klimaschutzgesetz vorsieht. Wäre das denn überhaupt machbar ?
Es ist alles
machbar, man muss es nur anpacken. Heißt: Verdreifachung des jetzigen
Ausbautempos der erneuerbaren Energien und Vollversorgung bis 2035; strengere
CO2-Flottengrenzwerten für die Autoindustrie, eine E-Auto-Quote von 25 Prozent
ab sofort und von 50 Prozent ab 2025, eine streckenbezogene Pkw-Maut, höhere
Diesel- samt CO2-Steuern, eine massive Stärkung des Schienenverkehrs,
schnelleren Ausbau der Ladeinfrastruktur und der Förderung von grünem
Wasserstoff für die Industrie. Wenn wir jetzt den Turbo einlegen, können wir
sogar 2040 emissionsfrei sein!
Klimaschutz: „Das
Klimapaket der EU geht in die richtige Richtung“
Passt das
zum Klimapaket, das die EU vorige Woche vorgelegt hat? Es peilt 2050 an. Oder
müsste das auch geschärft werden? Und ist das überhaupt denkbar, angesichts der
Widerstände von Wirtschaftsverbänden aus Osteuropa?
Das Klimapaket
der EU geht in die richtige Richtung, auch wenn es durchaus ambitionierter
hätte sein können und müssen. Dennoch ist es ein Meilenstein. Die Widerstände
werden massiv werden.
Was muss
die neue Bundesregierung als erstes tun, um in die Spur zu kommen?
Am dringlichsten
ist derzeit der Ausbau erneuerbarer Energien. Auch der Schienenverkehr und
Ladeinfrastruktur muss massiv ausgebaut werden. Und mit fortschreitender
Erderhitzung müssen wir uns stärker auf Extremereignisse vorbereiten. Je länger
wir zögern, desto mehr müssen wir alles auf einmal tun.
Welche
Parteien haben Konzepte, die dahin führen könnten?
Die Grünen haben ein detailliertes und ehrliches Programm für Klimaschutz in
allen Bereichen, auch die Linken setzen hier Schwerpunkte, fokussiert auf den
Aspekt der sozialen Gerechtigkeit. Die SPD hat ebenso viele gute Ansätze, verkennt aber die großen
wirtschaftlichen Chancen beim Ausbau erneuerbarer Energien. Die CDU bekennt sich zum Klimaschutz, bleibt aber vage und ungenau.
Die FDP bekennt sich zum 1,5-Grad-Ziel, verlagert die Klimaschutz-Anstrengungen aber in die weite
Welt, was eine Umsetzung unwahrscheinlich macht und der deutschen Wirtschaft
wenig hilft.
Konkret:
Welche wäre die beste Regierungskonstellation?
Die mit dem
ambitioniertesten Klimaprogramm.
Interview: Joachim Wille
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