Samstag, 11. Juni 2022

KRISENPOLITIK - Schluss mit der Gießkanne

 10.06.2022  |  VON STEFAN LUTZ hier im Südkurier

Gut gemeint ist nicht schlecht. Aber allzu häufig doch das Gegenteil von gut gemacht. Diese im Volksmund flott geführte Redewendung kommt einem in den Sinn, wenn man sich aktuell in die Lenkbewegungen der Berliner Politik vertieft. ....

Beispiel Neun-Euro-Ticket. Dahinter stecken zwei Ideen: zum einen der Gedanke, Menschen in Zeiten des Klimawandels zum Umstieg auf die Bahn und andere öffentliche Verkehrsmittel zu bewegen. Und zum anderen der Gedanke, Berufspendler beim Monatsticketpreis zu entlasten. Schon vor dem Start am 1. Juni waren mehr als sieben Millionen dieser Billig-Karten verkauft.

.... Ganz sicher ist aber jetzt schon richtig: Dass Menschen heute insbesondere in ländlichen Regionen im Alltag auf öffentliche Verkehrsmittel verzichten, liegt weniger am Ticketpreis als vielmehr an schlechten Anbindungen und Taktungen. Neun Euro im Monat werden daran nichts ändern.

Hinzu kommt, dass das Prinzip Gießkanne auch denjenigen Pendlern nutzt, die sich ein normales Monatsticket locker leisten können. Wären die 2,5 Milliarden Euro, die der Staat ins Neun-Euro-Ticket für alle investiert, ausschließlich Bedürftigen vorbehalten gewesen, könnte die Hilfe länger als nur die drei beschlossenen Monate wirken. Sinn hätte das gemacht.

Noch dramatischer wird die Fehlwirkung des Prinzips Gießkanne sichtbar bei der von der FDP durchgesetzten Steuersenkung auf Benzin und Diesel. Auch hier gedacht, um die Menschen von den Folgen der steigenden Öl- und Energiekosten zu entlasten. Von den Rabatten aber profitieren diejenigen überproportional, die viel fahren, meist Haushalte mit zwei Wagen. Und das sind typischerweise die Besserverdienenden, wie die Wirtschaftsweise Veronika Grimm sagt. Abgesehen davon, dass der Tankrabatt an der Zapfsäule bereits verpuffte und sich die Mineralölkonzerne mit Milliardengewinnen die Taschen vollmachen, nannte Wirtschaftsminister Robert Habeck die Maßnahme diplomatisch „nicht das zielgenaueste Mittel“. In Zeiten, in denen er noch in der Opposition saß, hätte er in seiner norddeutsch-direkten Art vermutlich „Riesenmist“ gesagt.

Die Grünen und die SPD aber schluckten die Kröte des Spritrabatts, weil sie im Gegenzug das Neun-Euro-Ticket bekamen. Und so opfert die Regierungskoalition in Berlin auf dem Altar ihrer Klientelpolitik das größere Ziel: nämlich für Gerechtigkeit zu sorgen. Denn es ist nicht gerecht, dass Besserverdienende die gleichen Vergünstigungen in Anspruch nehmen können wie diejenigen, die von der Hand in den Mund leben müssen. Mit der Gießkanne muss Schluss sein!

Hinter den Kulissen knirscht es in der Regierungskoalition deshalb gewaltig, denn langsam dämmert es allen Verantwortlichen, dass das Geld für die Wohltaten irgendwo herkommen muss. SPD und Grüne wollen dafür Steuererhöhungen durchsetzen, die FDP genau das verhindern. Finanzminister Christian Lindner hat das gerade noch einmal laut wiederholt. Über diese Finanzierungsfragen kann die Koalition ins Wanken kommen. Eine Nagelprobe wird die Diskussion über die sogenannte Übergewinnsteuer werden – eine Steuer also für diejenigen Unternehmen, die von den Kriegsfolgen überproportional profitieren, Mineralölkonzerne zum Beispiel. Sich gegen solch eine Steuer zu wehren, ist vielen Menschen nur schwer vermittelbar.

stefan.lutz@suedkurier.de 


10.06.2022  hier

Weiter Ärger wegen hoher Spritpreise

In der Debatte um die anhaltend hohen Spritpreise reißt die Kritik an den Mineralölkonzernen nicht ab. Bremen brachte im Bundesrat einen Entschließungsantrag zur Einführung einer Sondersteuer auf übermäßig hohe Unternehmensgewinne in Krisenzeiten ein.

Damit soll der Bund aufgefordert werden, einen Vorschlag für die befristete Erhebung einer sogenannten Übergewinnsteuer vorzulegen. Der Forderung Bremens schlossen sich Berlin und Thüringen in der Länderkammer an. In dem Antrag heißt es, dass es teils Gewinnsteigerungen gebe, die „nicht Resultat verstärkten wirtschaftlichen Handelns oder von Investitionen“ seien, sondern „allein aus den marktlichen Verwerfungen infolge der Krisen“ resultierten. Gleichzeitig gebe es hohe Kosten für die öffentliche Hand, heißt es weiter. Bremens Bürgermeister Andreas Bovenschulte (SPD) verwies in der Begründung auf Milliardengewinne von Ölkonzernen angesichts gestiegener Energiepreise...

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen