Freitag, 10. Juni 2022

"EU UND KLIMASCHUTZ: Wertvolle Zeit verloren"

Diesen Artikel im Südkurier finde ich sehr lesenswert und erstaunlich klar in der Aussage. Ich glaube für die Wirtschaft ist es tatsächlich wesentlich schlechter, wenn keine klaren Vorgaben gemacht werden, auf die sie sich verlassen kann. Wie viele Jahre hing in  Deutschland alles in der Luft, viel Dampf ohne Lenkwirkung - und viel zu wenig hat sich getan in Richtung Klimaschutz. Wir könnten schon viel weiter sein im Verkehrssektor, ebenso wie bei den erneuerbaren Energien, wenn klare Vorgaben gesetzt worden wären. Das ist schlecht für Wirtschaft und Bürger, denn nun ist die Zeit knapp.

09.06.2022  |  VON KATRIN PRIBYL, BRÜSSEL  hier im Südkurier

Es ist drei Jahre her, als EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen von ihrem Green Deal als Europas „Mann-auf-dem-Mond-Moment“ schwärmte. Im vergangenen Sommer dann stellte sie das „Fit for 55“-Paket vor, mit dem die EU ihren Treibhausgasausstoß bis 2030 um 55 Prozent im Vergleich zu 1990 senken und bis 2050 klimaneutral werden will. Es war, um im Bild zu bleiben, die Zündung der Rakete.

Doch seit die Vorschläge im EU-Parlament gelandet sind, hat die Rakete an Tempo eingebüßt. Monatelang wurde verhandelt, doch insbesondere beim Kernstück des Klimapakets gab es keine Einigung. So lehnte die Mehrheit der Abgeordneten den Entwurf zur Reform des europäischen Emissionshandels (ETS) ab. Bei der Abstimmung ging es darum, ob der Handel mit CO2-Zertifikaten auf die Bereiche Straßenverkehr und Gebäude ausgeweitet werden soll. Zwar ist das Instrument nicht vollends gescheitert, muss aber zurück in den zuständigen Ausschuss.

Die Verabschiedung des gesamten Pakets wird sich somit verzögern, was auch Auswirkungen auf andere Gesetze hat. Alles hänge mit allem zusammen, hieß es von der Kommission. Die Verknüpfungen stellen sich spätestens jetzt als Problem heraus. Denn die Überarbeitung kostet Zeit – Zeit, die der Planet eigentlich nicht hat. Gleichwohl ist es richtig, sich auf eine ehrgeizige ETS-Reform zu einigen. Jetzt ist der Moment, Mut zu zeigen anstatt Symbolpolitik zu betreiben und Ambitionen auf Kosten des Klimas abzuschwächen.

Vor zweieinhalb Jahren rief das EU-Parlament den Klima-Notstand in Europa aus. In diesem Sinne muss es nun auch liefern und nicht dem Druck der Wirtschaft nachgeben.
Seit Monaten malen Lobbyisten – ob Autobauer, Stahlproduzenten oder Industrieverbände – die wirtschaftliche Apokalypse an die Wand und peitschen Parlamentarier gegen die ambitionierten Ziele auf. Ganz nach dem Motto: Klimaschutz ja, aber bitte vor allem für die anderen.

Fast schon erleichtert nahmen hingegen viele Abgeordnete das Ergebnis einer anderen Schlüsselabstimmung auf: Das Aus des klassischen Verbrennungsmotors ist jetzt im Grunde besiegelt. Ab 2035 dürfen Hersteller nur noch Elektrofahrzeuge auf den Markt bringen. Bedeutet das nun wirklich die Katastrophe für die Automobilindustrie, wie einige Gegner lautstark warnen? Mitnichten. Autos und leichte Nutzfahrzeuge machen in der EU die Hälfte der Verkehrsemissionen und 15 Prozent der gesamten Treibhausgas-Emissionen aus – Verschmutzungen, die von einer aus der Zeit gefallenen Technologie stammen. Zudem erhält die Wirtschaft bis 2035 mehr als ausreichend Zeit, um sich vorzubereiten.

In all dem Getöse geht es fast unter, dass die Politik der Wirtschaft ohnehin hinterherhinkt. Autohersteller haben ihre Strategien längst auf den Elektroantrieb ausgerichtet. Deshalb ist der Aufruhr angesichts des Verbrenner-Verbots überspannt, auch wenn einzelne Sektoren leiden werden, etwa wenn Firmen auf Getriebe spezialisiert sind und sich nun neu erfinden müssen.

Immerhin herrscht bei den Autos jetzt Klarheit. Anders sieht es bei Spritpreisen, Heizkosten oder CO2-Abgaben aus. Hier wird weiter gestritten. Und einige Pfeiler des Grünen Deals könnten gefährlich wackeln angesichts des Ukraine-Kriegs und der hohen Energiepreise. Ausgerechnet in dieser unsicheren Lage muss die EU das größte Klimapaket in ihrer Geschichte festzurren.
Dabei geht in den Hauptstädten längst die Sorge vor Massenprotesten um. Wie lange akzeptieren es die Autofahrer, tiefer in die Tasche greifen zu müssen? Reicht der 72 Milliarden Euro schwere Sozial-Klimafonds aus, um einkommensschwache Haushalte zu unterstützen, wenn sie ihre Häuser renovieren oder den Umstieg aufs E-Auto planen? Es besteht die Gefahr, dass die Mitgliedstaaten bei den Klimazielen einknicken, wenn der Volkszorn angesichts hoher Inflation oder mehr Arbeitslosigkeit überkocht.

politik@suedkurier.de 

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