FAZ hier Von Manfred Lindinger und Ulf von Rauchhaupt
Mit Blick auf den nächsten Winter sagte Habeck, seien weitere Maßnahmen auf dem Weg. So sollten die Eigentümer der Gasspeicher künftig dazu verpflichtet werden, die Speicher vollständig zu füllen, bevor die kalte Jahreszeit anfange. Ein entsprechendes Gesetz werde auf den Weg gebracht. Zudem sollen Terminals für Flüssiggas in Deutschland aufgebaut werden.
Deutschland habe zudem eine Importabhängigkeit von fünfzig Prozent für von russischer Kohle. Habeck kündigte an, sein Ministerium werde sich um eine „Kohlereserve" kümmern. Damit will man wie beim Gas erreichen, dass die Versorgungssicherheit auch im Falle von Rohstoffeinschränkungen immer gewahrt bleibe. Darüber hinaus gelte es, sagte Habeck, die Unabhängigkeit von Kohle Gas du Öl möglich schnell voranzubringen, und zwar mit einem beschleunigten Ausbau der erneuerbaren Energien. Dadurch erhalte die Energiewende neben dem Klimaschutzaspekt auch eine geopolitische Dimension.
Für Ostern hat die Bundesregierung ein Gesetzespaket angekündigt, mit dem die Energiewende endlich wieder Fahrt aufnehmen soll. Aber sollte die Politik angesichts der Ukraine-Krise den Fahrplan und die Planungen etwa für den Kohleausstieg nicht korrigieren? Zahlreiche Forscher und Energieexperten haben sich gegenüber dem „Science Media Center“ in Köln dazu geäußert, welche Prioritäten die Politik trotz oder gerade wegen des russischen Überfalls auf die Ukraine setzen sollte.
Laut Bruno Burger vom Fraunhofer-Institut für Solare Energiesysteme in Freiburg geht es jetzt vor allem darum Erdgas einzusparen, und zwar dort, wo es als eine „Second Source“ für die Stromerzeugung genutzt wird. Zudem sollten die Speicher möglichst schnell wieder gefüllt werden, damit wir zumindest für den nächsten Winter gut vorbereitet sind. Künftig müssten die deutschen Erdgasreserven von Deutschland selbst verwaltet werden, „damit auch sichergestellt ist, dass sie für die nationalen Bedürfnisse verfügbar sind“.
Bei der Wärmeerzeugung sei eine schnelle Umstellung weg vom Erdgas auf andere Energieträger allerdings nicht so einfach möglich wie bei der Stromerzeugung. „Wir sollten der Bevölkerung aber heute klar sagen, dass Öl- und Gasheizungen keine Zukunft haben.“ Neue Heizungen sollten mit Wärmepumpen gebaut werden. Auch in Diesel- und Benzinautos sieht er keine Zukunft. „Jeder, der sich heute noch ein Auto mit Verbrenner kauft, sollte sich darüber im Klaren sein, dass dieses Auto in ein paar Jahren keinen Wiederverkaufswert mehr hat.“
Wir dürfen mit unserem Geld für Öl und Erdgas das russische Militär nicht unterstützen
Aber wäre es nicht sinnvoll, den geplanten Kohleausstieg vorübergehend zu verlangsamen, um den Bedarf an Erdgas für den kommenden Winter zu reduzieren? „Steinkohlekraftwerke sind sehr flexibel einsetzbar“, sagt Burger. „Wir sollten sie in Krisenzeiten nicht abschalten, sondern in der Reserve lassen.“ Der nächste Winter könnte kälter werden als der aktuelle, und es könne auch weniger Windstrom erzeugt werden. „Solange Steinkohlekraftwerke nicht in Betrieb sind, erzeugen sie auch keine Emissionen und schaden damit auch nicht der Umwelt.“ Zudem würden neue Zahlen nahelegen, dass sich die Klimaschädlichkeit von Steinkohle und Methan nicht drastisch unterscheiden. „Deshalb ist es für das Klima fast egal, ob wir Steinkohle oder Erdgas verbrennen“, sagt Burger. „Nur Braunkohle hat nochmal deutlich höhere Emissionen, nicht nur an CO2, sondern auch anderen giftigen Stoffen.“
Dass der vielgepriesene Wasserstoff die Rolle von Erdgas übernehmen kann, bezweifelt Burger: „Wasserstoff ist keine Energiequelle, sondern ein Energieträger, der umständlich aus erneuerbaren Energien oder aus Erdgas hergestellt werden muss.“ Doch aktuell gebe es weltweit keine Lieferanten, die nennenswerte Mengen eines grünen Wasserstoffs liefern könnten.
Hinsichtlich der tatsächlichen Energiequellen, empfiehlt Burger die erneuerbaren, so schnell wie möglich auszubauen – auch und gerade, um sich so aus der Abhängigkeit von importierten fossilen Brennstoffen zu befreien. „Dadurch gewinnen wir an Souveränität“, sagt er und sieht angesichts der aktuellen Lage hier auch eine moralische Dimension: „Es darf es nicht sein, dass wir Russland mit unserem Geld für Öl und Erdgas dabei unterstützen, sein Militär weiter auszubauen und damit in friedliche Staaten einzumarschieren.“
Wasserkraft wäre eine solche erneuerbare Energiequelle. Aber sie könne kaum dabei helfen, die Lücke in der Versorgungssicherheit zu schließen, sagt Burger. In Deutschland und auch in den Nachbarländern sei sie fast komplett ausgebaut. „Speicherkraftwerke könnten aber flexibler eingesetzt werden und bei geringer erneuerbarer Erzeugung die Stromversorgung unterstützen.“ Solche Anlagen gebe es in der Schweiz, Österreich, Schweden und Norwegen.
Von allen erneuerbaren Energiequellen ließe sich die Photovoltaik am schnellsten ausbauen, nimmt Burger an. Dazu müsste das EEG schnellstmöglich geändert und die in den letzten Jahren aufgebauten Hürden beseitigt werden. „Mit dem Solarstrom in Verbindung mit Wärmepumpen könnte auch Erdgas zu Heizzwecken eingespart werden.“
Der Ausbau der Windenergie dagegen werde bei landgestützten Anlagen durch die langen Genehmigungszeiten behindert. Durch entsprechende rechtliche Vorgaben könnte diese verkürzt werden. Der Ausbau von Offshore-Kapazitäten ist sogar ganz zum Erliegen gekommen, da es keine Ausschreibungen der Bundesnetzagentur mehr dazu gegeben hat. „Aufgrund der großen logistischen Herausforderungen dauert Wind Offshore am längsten.“
Wie gut ist Deutschland vorbereitet für den Fall eines russischen Lieferstopps?
Über allem dürfe man aber auch den Ausbau der Energiespeicher nicht vergessen. Sie würden zur Anpassung einer variablen Erzeugung an einen variablen Verbrauch dringend benötigt, erklärt Burger und schlägt vor, Batterien den Pumpspeichern rechtlich gleich zu stellen und spezielle Geschäftsmodelle für Batterien zu schaffen, um ihren Betrieb attraktiv zu machen. „Zukünftig werden Batterien auch aktiv an der Frequenzregelung im Netz und an der Sicherstellung der Versorgungssicherheit beteiligt sein.“
Dies ist – mit Glück und gutem Willen – die langfristige Zukunft. Kurz- bis mittelfristig aber hängen insbesondere Teile der Industrie und die Wärmeversorgung an russischem Erdgas. Für Claudia Kemfert vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung in Berlin ist es trotzdem richtig, die Zertifizierung der Gaspipeline „North Stream 2“ zu stoppen. „Wir benötigen diese Pipeline nicht“, erklärt sie. „Wir können Gas aus ausreichenden anderen Quellen beziehen.“ North Stream 2 würde die Abhängigkeit von Russland nur noch weiter steigern, auf deutlich über sechzig Prozent. „Wir sollten besser auf eine Diversifikation der Gasbezüge setzen und können auch auf Flüssiggas ausweichen.“ Es gebe ausreichend Flüssiggas-Terminals in Europa, auf die auch Deutschland zugreifen könne. Wenn es zu einem generellen Lieferstopp von Gas aus Russland komme, könnte Deutschland dies überbrücken, zumindest für einen gewissen Zeitraum.Kemfert sieht Deutschland indes schlecht vorbereitet für den Fall eines russischen Lieferstopps: „Wir brauchen eine strategische Gasreserve, die uns wie beim Öl für neunzig Tage im Ernstfall mit Gas versorgt.“ Kurzfristig rechnet die Wirtschaftswissenschaftlerin mit weiteren Preissteigerungen. „Aber nicht, weil Nord Stream 2 gestoppt wird, sondern weil es sich generell um eine sehr ernste geopolitische Krise handelt.“ Inmitten dieses „fossilen Krieges“ könne das Land zwar einen Teil des benötigten Gases aus anderen Quellen beziehen und der Winter sei bald vorbei. Doch „im allerschlimmsten Fall kann es dazu kommen, dass die Industrie den Verbrauch drosseln muss. “Mittelfristig führt, so Kemfert, an einem Ausstieg aus Kohle, Öl und Gas kein Weg vorbei. Auch die Industrie müsse von fossiler Energie wegkommen, fordert sie im Bewusstsein allerdings, dass man nicht sofort alles haben könne: „Der Ausbau erneuerbarer Energien muss Priorität haben und Versorgungssicherheit erste Priorität.“
Abgesehen von einem Mangel an Öl und Gas können bereits sehr stark steigende Preise die Wirtschaft belasten. Daher müsse die Regierung alles dafür tun, die Investitionen in das Energiesparen voranzubringen und der Industrie bei der Dekarbonisierung zu helfen. „Erneuerbare Energien und Energiesparen senken die Energiekosten.“
Im europäischen Verbund ließen sich Schwankungen von erneuerbaren Energieerträgen besser ausgleichen
„Grundsätzlich lernen wir aus der aktuellen Krise, dass wir ein erhöhtes Maß an Sensibilität gegenüber potentiellen Risiken brauchen, und da, wo notwendig, Vorsorge treffen müssen“, meint Manfred Fischedick vom Wuppertal Institut für Klima, Umwelt, Energie. Während in der Industrie und bei der Wärmeversorgung Erdgas kurzfristig nur schwer zu ersetzen sei, bestehe bei der Stromerzeugung die Möglichkeit – verbunden mit dem Nachteil deutlich höherer CO2-Emissionen – auf Kohlekraftwerke auszuweichen. Zumindest dort, wo Erdgaskraftwerke nicht zur Versorgung von Fernwärmesystemen notwendig sind. „Sollte es in der Stromversorgung Lücken aufgrund von fehlendem Erdgas geben, dann wird es zwangsläufig zu einem verstärkten Einsatz von Kohlekraftwerken kommen.“
Weitere massive Preissteigerungen und selbst Versorgungsengpässe befürchtet auch die Bauphysikerin Lamia Messari-Becker von der Universität Siegen, ein ehemaliges Mitglied im Sachverständigenrat für Umweltfragen. Die Bundesregierung sollte ihrer Meinung nach dringend einen Energiegipfel berufen und ein Moratorium zur bisherigen Energiewende, dem geplanten Ausbau erneuerbarer Energien sowie den geplanten Ausstiegen halten, um eine Gesamtstrategie sowie regional differenzierte Pläne für die Energiewende schnell zu entwickeln. „Bund und Länder sollten schnell Blockaden überwinden, um die Transformation des Energiesystems gemeinsam zu schaffen.“
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