Dienstag, 5. Juli 2022

"Schafft Baden-Württemberg den Weg zur Klimaneutralität 2040?"

Nun hat das Land wohl ernst gemacht, wenigstens auf der Ankündigungs-Ebene. 
Die Umweltverbände fragen zurecht: Wie geht`s jetzt konkret weiter?
Die Opposition bemängelt die "Klimapolitischen Vorstellungen der Regierung" und zeigt dadurch in schwierigen Zeiten vor allem fehlendes Problembewusstsein. Es ist nicht einfach, wenn viele Krisen parallel stattfinden. Einfache Lösungen können dann im Ergebnis mehr schaden als nützen.


 SWR3  hier  24.6.2022

Gutachten zum Klimaschutz

Baden-Württemberg wird seine neuen Klimaziele nur mit großen Anstrengungen erreichen. Das erklärte BW-Umweltministerin Walker bei der Vorstellung einer Experteneinschätzung.

Umweltministerin Thekla Walker stellte das Gutachten am Freitag in Stuttgart vor:

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Baden-Württemberg hat große Ziele in Sachen Klimaschutz und es sieht danach aus, als könnten diese auch erreicht werden - allerdings nur unter großer Anstrengung. Das zeigt ein Gutachten, das das Landesumweltministerium in Auftrag gegeben hat. Baden-Württembergs Umweltministerin Thekla Walker (Grüne) stellte es am Freitag in Stuttgart vor. Sie mahnte, es sei nicht nur Aufgabe für Verkehr und Landwirtschaft, sondern auch eine gesamtgesellschaftliche Herausforderung.

Das sind die Ziele bis 2030
So viel Treibhausgas muss bis 2030 reduziert werden*
Verringerung des Ausstoßes gegenüber 1990.

in der Landwirtschaft: 39 Prozent
in der Energiewirtschaft: 75 Prozent
in der Industrie: 62 Prozent
im Verkehr: 55 Prozent
im Gebäudesektor: 49 Prozent

Baden-Württemberg will als erstes Bundesland Ziele zur Verminderung der Treibhausgasemissionen für sämtliche Bereiche in das Klimaschutzgesetz aufnehmen. So soll das Land bis 2040 klimaneutral werden. Bisher waren 90 Prozent bis 2050 das Ziel. Klimaneutralität bedeutet, dass nur noch so viel Treibhausgas ausgestoßen werden darf wie wieder gebunden werden kann.

"Diese Ziele sind sehr ehrgeizig, besonders das Zwischenziel bis 2030", erklärte Walker. Es bräuchte Anstrengungen in vielen Bereichen. Darüber hinaus seien viele CO2-Reduzierungen nicht alleine durch neue Technologien umsetzbar, es brauche auch Verhaltensänderungen. Nächstes Jahr will die Umweltministerin eine Kampagne vorstellen, die zeigen soll, welchen Beitrag jeder einzelne leisten kann.

Ein erster wichtiger Meilenstein ist das Jahr 2030: Bis dahin soll der Ausstoß von Treibhausgasen in Baden Württemberg gegenüber dem Jahr 1990 um mindestens 65 Prozent sinken. Das Ziel werde zwar nur knapp erreicht, aber es sei machbar, so die Expertinnen und Experten im Gutachten. Die Ziele seien realistisch, weil Baden-Württemberg nicht nur hohe Ambitionen habe, sondern sich auch in vielen Bereichen Ziele gesteckt habe.

Um die Vorgaben für 2030 zu erreichen, muss es nach Aussagen der Gutachter bei dem Datum für den Kohleausstieg im selben Jahr bleiben. Walker sagte, die Erneuerbaren Energien müssten weiter stark ausgebaut werden. Die Stromnachfrage werde stark steigen - von 72 Terrawattstunden (TWh) im Jahr 2019 auf 88 TWh 2030. Mehr Strom wird der Studie zufolge im Gebäudebereich, beim Verkehr und in der Industrie benötigt.

Die Fachleute gehen weiter davon aus, dass ab 2030 nur noch Elektroautos zugelassen werden und bis dahin 34 Prozent der Fahrleistung damit erbracht werden. Und im Bereich der Landwirtschaft sei unter anderem eine Verringerung des Tierbestands und der Konsum von Fleisch ein zentraler Hebel zur Senkung der Emissionen.

BUND: Grüne und CDU müssen Gutachten umsetzen

Die Umweltorganisation BUND erklärte: Grüne und CDU seien nun gefordert, sich die Vorschläge eins zu eins zu eigen zu machen. Und nicht wie schon häufig, sie zu zerreden. 

BUND-Landeschefin Sylvia Pilarsky-Grosch sagte, Politik und Gesellschaft blieben wenig Handlungsspielraum. Nabu-Landeschef Johannes Enssle bemerkte, es sei höchste Zeit, dass nun für alle Sektoren von der Landwirtschaft über den Verkehr bis hin zur Energie der Fahrplan zur Klimaneutralität mit konkreten Zielen und Maßnahmen verabschiedet werde.

Opposition kritisiert klimapolitische Vorstellungen der Landesregierung

Der FDP-Politiker Daniel Karrais bemängelte, dass die klimapolitischen Wunschvorstellungen der Landesregierung nicht zur neuen Realität passten. "Sie kommen sogar zur Unzeit. Eine Umsetzung der Ziele ist durch die jetzige Krise alles andere als wahrscheinlich." Mit den gedrosselten Gaslieferungen aus Russland und der Gasalarmstufe werde Energie so teuer, dass kaum Chancen für Investitionen in klimafreundliche Technologien blieben.

Kritik kam auch von den Sozialdemokraten. "Wir müssen jetzt endlich den Schritt gehen, nicht nur Ziele zu verkünden, sondern Projekte im wirklichen Leben umzusetzen", sagte der SPD-Politiker Gernot Gruber. Dabei hapere es noch gewaltig.

Der umweltpolitische Sprecher der CDU-Fraktion, Raimund Haser, wies daraufhin, dass die Studie ein theoretisches Konstrukt sei, das auf sehr ambitionierten Annahmen basiere. Die Studie ersetze aber nicht das konkrete Handeln. Wichtig sei, sich auf die Aufgaben zu konzentrieren, die anstünden, unter anderem der Netzausbau, die Erforschung neuer Energiequellen oder der Umbau der energieintensiven Industrie und der Hochlauf der Wasserstoffwirtschaft. 

 FAZ hier  Von Rüdiger Soldt Aktualisiert am 

Ziele für einzelne Sektoren Ohne Zumutungen geht es beim Klimaschutz nicht

Die grün-schwarze Landesgierung in Baden-Württemberg legt sich beim Klimaschutz Fesseln an: Sie definiert per Gesetz bis 2030 Ziele für einzelne Sektoren, die kaum erreichbar erscheinen.

Klimaschutz ist für das Indus­trieland Baden-Württemberg längst zu einem Standortfaktor geworden. Ein Batteriehersteller, der für die Automobilindustrie wichtig gewesen wäre, siedelte sich kürzlich in Norddeutschland an. Dort war Strom aus Windenergie verfügbar. Um bis 2040 klimaneutral zu werden, geht die grün-schwarze Landesregierung einen neuen Weg: Die CO2-Reduktionsziele werden für die wesentlichen Sektoren – Gebäude, Verkehr, Industrie, Landwirtschaft, Energiewirtschaft – bis 2030 künftig gesetzlich festgelegt.

Die Maßnahmen zur Erreichung dieser Ziele werden in einem „Klimamaßnahmenregister“ festgelegt, das ständig angepasst werden kann. Verschiebungen zwischen den Sektoren sind ausgereizt und nicht mehr möglich.

 24.06.2022 Umweltministerium BW  hier

Teilbericht zu Klimaschutzzielen vorgestellt

Klimaschutzministerin Thekla Walker hat den Teilbericht „Sektorziele 2030 und klimaneutrales Baden-Württemberg 2040“ vorgestellt. Die wissenschaftliche Studie zeigt, dass das Land seine Klimaschutzziele erreichen kann – aber nur mit einer Kraftanstrengung auf allen Ebenen.

Als erstes Bundesland wird Baden-Württemberg Sektorziele rechtlich verbindlich in seinem Klimaschutzgesetz festlegen. Dafür hat ein wissenschaftliches Konsortium unter der Führung des Zentrums für Sonnenenergie- und Wasserstoff-Forschung (ZSW) nun in einem Forschungsvorhaben diese Sektorziele errechnet, die die Klimaschutzministerin Thekla Walker am 24. Juni 2022 im Rahmen einer Pressekonferenz vorgestellt hat.

Das Szenario der Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler (PDF) zeigt den Pfad auf, wie Baden-Württemberg innerhalb von weniger als 20 Jahren die Treibhausgas-Neutralität erreichen kann und welche Treibhausgas-Mengen die einzelnen Sektoren von der Industrie über den Verkehr bis hin zur Landwirtschaft bis 2030 einsparen müssen, um die im Klimaschutzgesetz des Landes gesteckten Ziele einhalten zu können.

Ehrgeizige Ziele erlauben keinen Aufschub mehr

„Der Teilbericht legt nüchtern dar, dass wir unsere Klimaschutzziele erreichen können“, sagte Walker heute in Stuttgart. Allerdings sei dafür eine nie dagewesene Kraftanstrengung auf allen Ebenen erforderlich.

„Diese Ziele sind sehr ehrgeizig, besonders das Zwischenziel bis 2030. Wir haben keine Zeit mehr zu verlieren, keinen Spielraum für Verhandlungen. Ganz im Gegenteil: Jede einzelne Maßnahme ist entscheidend und duldet keinen Aufschub mehr.“

Bis 2030 müssen nach dem Klimaschutzgesetz des Landes 65 Prozent der Treibhausgas-Emissionen im Vergleich zu 1990 eingespart werden, das entspricht auf alle Sektoren verteilt einem Emissionsziel von insgesamt rund 32 Millionen Kohlenstoffdioxid(CO2)-Äquivalenten im Jahr 2030. Das sei innerhalb von acht Jahren eine immense Herausforderung, erläuterte Ministerin Walker. „Es ist aber richtig, dass wir uns ehrgeizige Ziele setzen – ohne die kann keine Aufbruchsstimmung entstehen, die wir so dringend brauchen.“

Klima-Sachverständigenrat unterstützt Landesregierung

Das Land habe dafür die Weichen gestellt, hob die Klimaschutzministerin hervor. Auf dem Weg zur Klimaneutralität soll unter anderem das neue Klima-Maßnahmen-Register die Arbeit der Landesregierung unterstützen. „Endlich haben wir kein starres System mehr, sondern können mit gezielten Maßnahmen flexibel auf die jeweiligen Situationen reagieren und kontinuierlich neue Ideen der zuständigen Ressorts in diese Maßnahmensammlung aufnehmen, um die Emissionen zu reduzieren.“

Darüber hinaus begleite ein unabhängiger Klima-Sachverständigenrat die Landesregierung mit seiner Expertise: „Er wird einen Bericht vorlegen, aus dem hervorgehen wird, ob wir mit unseren Maßnahmen auf dem richtigen Pfad sind oder nachsteuern müssen.“

Zentrale Aussagen des Zwischenberichts des Forschungsvorhabens

  • Der Kohleausstieg bis 2030 ist für das 2030-Ziel zwingend erforderlich.
  • Aufgrund der erforderlichen Elektrifizierung im Gebäudesektor, der Industrie und im Verkehrssektor werden wir eine deutliche Erhöhung des Strombedarfs (von 72 Terrawattstunden in 2019 auf 88 Terrawattstunden in 2030 sowie 111 Terrawattstunden in 2040) erwarten können.
  • Wir brauchen weiter einen drastisch steigenden Anteil erneuerbarer Energien an der Bruttostromerzeugung (von 82 Prozent bis 2030 auf 98 Prozent bis 2040).
  • Im Verkehrssektor soll der motorisierte Individualverkehr (MIV) durch Verkehrsverlagerung und Vermeidung bis 2040 um 38 Prozent gegenüber 2019 sinken. Bis 2030 soll der Neuzulassungsanteil von Elektroautos auf 100 Prozent steigen; 34 Prozent der Fahrleistung wird dann elektrisch erbracht; 2040 ist der Verbrenneranteil nur noch marginal.
  • Im Sektor Landwirtschaft sind die Reduktion der Tierbestände sowie eine Verringerung des Konsums tierischer Produkte die zentralen Hebel zur Emissionsreduktion.

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