Mittwoch, 1. Juni 2022

"Der Tankrabatt ist ein deutscher Selbstbetrug"

Subventionen für Benzin und Diesel  01.06.2022  hier

Ein Kommentar von Claus Hecking im Spiegel
Getrieben von der FDP senkt die Ampelkoalition für den Sommer die Abgaben auf Benzin und Diesel. Davon profitieren die Ölindustrie und Aggressor Putin. Verlierer: die Umwelt. Und wir Steuerzahler.

Haben Sie sich vorbereitet auf diesen Mittwoch? Den Wagen noch mal ausgefahren, bis fast zum letzten Tropfen im Tank? Oder haben Sie nur gerade so viel nachgefüllt, dass es eben noch so reicht bis zu diesem 1. Juni: dem Tag der Tage, an dem sich der Sprit so schlagartig verbilligen soll wie nie zuvor in der Geschichte der Bundesrepublik?

An diesem Mittwoch dürften sich Fahrzeugkolonnen vor den Tankstellen der Republik stauen. Denn dort wartet, womöglich, Schnäppchensprit auf die Autofahrer: Diesel soll drei Monate lang knapp 17 Cent weniger und Super sogar gut 35 Cent weniger kosten als bislang.

So jedenfalls erhoffen es sich die Macher hinter dem temporären deutschen Tankrabatt: Christian Lindner und seine FDP. Sie haben in der Ampelkoalition durchgesetzt, dass die Mineralölsteuer bis Ende August abgesenkt wird auf die europäischen Mindestsätze. Auch wenn Lindner nun beteuert, er habe ja ursprünglich keine Steuersenkung, sondern eine andere Form des Rabatts vorgeschlagen: Der Effekt bleibt derselbe.

Sicher ist: Hunderttausende werden die Gelegenheit nutzen, die Zapfpistole zücken und volltanken für den Sommer. Teilhaben am kollektiven Selbstbetrug.
Denn nicht Lindner oder seine Liberalen bezahlen den Spaß, sondern wir alle: jede Steuerzahlerin, jeder Steuerzahler.

In unsere Staatskasse wird nun drei Monate lang weniger Geld fließen. Gut drei Milliarden Euro dürfte der Tankrabatt kosten. Geld, das man etwa für umfassendere Kitabetreuung, den Ausbau erneuerbarer Energien oder mehr Bafög für Studierende verwenden könnte. Stattdessen subventioniert die Gemeinschaft diejenigen unter uns, die Autos fahren.

Linke Tasche – rechte Tasche, könnte man meinen. Aber so einfach ist es nicht. Ein Teil unserer Steuersubventionen wird in andere Kassen fließen: etwa die der Mineralölindustrie oder des Kreml.  Die Energiemultis haben schon an den jüngsten Spritpreishochs prächtig verdient. Wie Berechnungen des Münsteraner Ökonomen Johannes Schwanitz zeigen, sind die deutschen Tankstellenpreise seit Russlands Überfall auf die Ukraine überproportional hochgeschnellt – stärker, als es die Rohölpreise hergeben . Und im Laufe des Monats Mai haben sich diese Margen zwischen Kraftstoffverkauf und Rohstoffeinkauf abermals ausgeweitet: Sie liegen derzeit rund 20 Cent pro Liter höher als normal.

Ökonomischer Schwachsinn

Niemand kann die Konzerne zwingen, sofort die volle Steuersenkung an die Kunden weiterzugeben. Schon jetzt ist von Verzögerungen bei der Preisanpassungen die Rede, weil in vielen Erdtanks noch Sprit lagert, der zu alten Steuersätzen eingekauft wurde. Aber selbst wenn sich die Branche keine Extraprofite gönnt, behält sie das zuvor aufgebaute, üppige Margenpolster.

Obendrauf wird sie dank des Rabatts mehr Kraftstoff verkaufen. Denn je weniger Geld Benzin und Diesel kosten, desto mehr werden die Menschen mit dem Auto fahren. Erst recht in der Urlaubszeit.

Davon dürften dann auch die Förderstaaten profitieren. Etwa Wladimir Putins Russland. Das EU-Embargo gegen russische Öltanker gilt erst in einem halben Jahr. Und selbst dann wird der Rohstoff wohl über Umwege – etwa in Form von Raffinerieprodukten aus anderen Weltregionen – nach Deutschland kommen. Der Bedarf ist ja hoch.

Während die Internationale Energieagentur vor einer Knappheit bei Benzin und Diesel in diesem Sommer warnt , heizt die Ampelkoalition ausgerechnet jetzt die Nachfrage an, indem sie den Sprit künstlich verbilligt.

Das ist ökonomischer Schwachsinn. Das genaue Gegenteil von Energiesparen. Und ökologisch kontraproduktiv.

Einladung für Tanktouristen

Denn solange Autofahrer darauf setzen können, dass der Staat sie vor teurem Kraftstoff beschützt, werden sie kaum auf umweltfreundlichere Verkehrsmittel umsteigen. Und obendrauf wird der Billigsprit auch noch Tanktouristen anlocken: etwa aus Dänemark, Belgien, der Schweiz oder den Niederlanden.

Es gäbe andere Wege, diejenigen Bürgerinnen und Bürger zu entlasten, die von den hohen Energiepreisen wirklich hart getroffen werden. Etwa eine höhere Energiepauschale für alle. Oder ein Klimageld für Geringverdiener, wie es Arbeitsminister Hubertus Heil (SPD) fordert. Oder höhere Sätze für Hartz-IV-Empfänger. Keine dieser Maßnahmen würde den Kraftstoffverbrauch entscheidend hochtreiben.

Selbst eine weitere Anhebung der Pendlerpauschale wäre ökonomisch und ökologisch sinnvoller als der Tankrabatt. Schließlich würde sie unabhängig vom genutzten Verkehrsmittel gezahlt; Autofahren bliebe vergleichsweise teuer gegenüber Bus, Bahn oder Fahrrad.

Doch all diese Hilfen haben ein entscheidendes Manko. Sie sind in unserem Lebensalltag nicht so präsent wie die Anzeigetafeln der Tankstellen. Und wenn dort nun womöglich die Zwei vor dem Komma verschwindet, kommt das gut an bei einem Teil der Wählerschaft. Das weiß die FDP.
Ihr Energiepopulismus, den Grüne und SPD mitmachen, kommt uns alle teuer zu stehen.

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