Süddeutsche Zeitung hier Von Benjamin von Brackel und Christoph von Eichhorn
In einem umfassenden Report warnt der IPCC vor höheren Klima-Risiken als bislang angenommen. Schon jetzt wirke sich die Erderwärmung auf Milliarden Menschen aus.
Vom Meeresgrund bis zur Spitze der höchsten Berge, auf dem Dorf oder in der Großstadt, ob arm oder reich: Der Klimawandel beeinträchtigt bereits jetzt Ökosysteme überall auf der Erde und das Leben von Milliarden Menschen. Das ist die Botschaft des neuen Berichts des Weltklimarats IPCC.
Das Ausmaß und die Folgen der Erderwärmung sind demnach größer als
bislang angenommen. Bestimmte Risiken - etwa aufgrund von Extremwetter -
lassen sich nicht mehr gänzlich vermeiden, die Erde hat sich einfach
schon zu sehr erwärmt. Aber es gibt auch Hoffnung: Gegen manche Risiken
kann der Mensch sich wappnen.
Worum geht es im neuen Klimabericht genau?
In einer Reihe von Studien fasst der Weltklimarat IPCC den aktuellen Sachstand zusammen. Während es zum Auftakt im vergangenen August um die physikalischen Grundlagen des Klimasystems ging, sind nun im zweiten Teil die Folgen und die Anpassung an den Klimawandel dran: Was bedeutet es für das Wohlergehen der Menschen, wenn die Temperaturen weiter steigen? Wie entwickeln sich die Ernten, wo kann man künftig möglichst sicher leben? Aber auch: Welche Tiere und Pflanzen bedroht der Klimawandel und wie wirkt sich der Verlust von Ökosystemen auf den Menschen aus?
Normalerweise baut ein Weltklimabericht auf den anderen auf, ohne seine Grundausrichtung zu ändern. Diesmal aber findet sich schon im ersten Satz der Zusammenfassung eine kleine Revolution: Der Bericht erkenne die "gegenseitige Abhängigkeit" von Klima, Ökosystemen und der menschlichen Gesellschaften an. Lange wurde das Thema Ökosysteme und Artenvielfalt aus den Weltklimaberichten mehr oder weniger ausgeklammert - diesmal zieht es sich wie ein roter Faden durch den Report. "Dieses ganzheitliche Bild ist neu", sagt Hans-Otto Pörtner vom Alfred-Wegener-Institut (AWI) in Bremerhaven, der den neuen Bericht maßgeblich koordiniert hat. Der Grund: Mehr und mehr setzt sich die Erkenntnis durch, dass der Mensch im Kampf gegen den Klimawandel auf gesunde Ökosysteme angewiesen ist, welche nicht nur CO₂ speichern können, sondern auch helfen, Klimafolgen abzupuffern.
Welche Risiken kommen auf den Menschen zu?
Etwa dreieinhalb Milliarden Menschen leben laut IPCC in Verhältnissen, die "hoch verwundbar gegenüber dem Klimawandel" sind - dazu zählen vor allem Entwicklungsländer, aber auch marginalisierte Gruppen in reichen Staaten. Die Risiken seien dort am größten, wo Menschen, Tiere und Pflanzen schon heute nahe an ihren natürlichen Temperaturgrenzen leben, aber auch entlang von Küsten oder Flüssen mit starken saisonalen Veränderungen.
Hitzewellen führen mittlerweile in allen Weltregionen zu mehr Todesfällen und Krankheiten. Zudem begünstige die Erderwärmung die Ausbreitung von Krankheitserregern, die Menschen über Nahrungsmittel oder Wasser infizieren. In den Blick nehmen die Autoren nun auch verstärkt die psychischen Folgen des Klimawandels. Mit sehr hoher Sicherheit führten beispielsweise Extremwetter-Ereignisse verstärkt zu Traumata und anderen psychischen Problemen, so die Autoren.
Besondere Herausforderungen kommen auf Menschen in den Städten zu, wo Hitzewellen sich intensiviert haben, was mancherorts auch die Luftverschmutzung verstärkt - ein Beispiel für eine negative Rückkopplung der Erderwärmung auf einen anderen Bereich. In Städten sind zudem Infrastrukturen wie die Wasser- und Stromversorgung, die Abwasserkanäle und der Öffentliche Nahverkehr vom Klimawandel betroffen.
Insgesamt zählt das IPCC mittlerweile 127 "Schlüsselrisiken" infolge des Klimawandels auf. Der Schaden, den sie anrichten, könnte langfristig, also etwa ab Mitte des Jahrhunderts, um ein Vielfaches höher liegen als heute beobachtet, warnen die Autoren. Wie hoch genau, hängt wesentlich davon ab, wie effektiv das Klima geschützt wird. Sicher sei aber, dass zumindest einige Risiken in nächster Zeit noch ansteigen, egal wie schnell die Treibhausgasemissionen fallen. Insgesamt verläuft die Risikoentwicklung wohl ungünstiger als vor acht Jahren im damaligen Sachstandsbericht angegeben.
Wie beeinflusst der Klimawandel Ökosysteme?
Seit der Veröffentlichung des Weltklimaberichts im Jahr 2014 zeigen sich immer stärker die Folgen des Klimawandels auf Ökosysteme. Korallenriffe sterben aufgrund von marinen Hitzewellen ab, Bäume aufgrund von Dürren, Bränden und Insektenbefall. Und das überall auf der Welt und zwar plötzlich und massenhaft. Der Bericht spricht von "substantiellen Schäden" und "zunehmend unumkehrbaren Verlusten". Hunderte von Populationen seien von bestimmten Orten verschwunden, erste Arten sogar komplett ausgestorben.
In Zukunft sei damit zu rechnen, dass der Klimawandels zusammen mit anderen Einflussfaktoren einen Großteil der Wälder, Korallenriffe und tiefliegenden Feuchtgebiete auf der Erde beschädigt und schwächt. Sollte sich die Welt auch nur zeitweise über die Marke von 1,5 Grad Celsius erwärmen, rechnen die Autoren mit "irreversiblen" Auswirkungen auf bestimmte Ökosysteme - etwa in den Polar-, Berg- und Küstenregionen. Auch in Europa sei mit gravierenden Folgen zu rechnen: Ab zwei Grad Erwärmung würden Lebensräume für Land- und Meeresökosysteme schrumpfen. Das Risiko für Waldbrände würde steigen, was wiederum die Artenvielfalt bedroht.
Wie wirkt sich die Erderwärmung konkret in Deutschland und Europa aus?
Der Klimabericht listet vier Schlüsselrisiken auf: Er warnt etwa vor zunehmender Hitze in Europa. Würde sich die Welt um drei Grad Celsius erwärmen, erhöhe sich die Zahl der hitzebedingten Todesfälle um das zwei- bis dreifache. "Lange schon ist bekannt, dass es hitzebedingte Sterblichkeit gibt", sagt Katja Frieler, Mitautorin des Berichts und Co-Leiterin der Abteilung Transformationspfade am Potsdam-Institut für Klimaforschung (PIK). "Jetzt ordnen eine Reihe von Studien das auch den Treibhausgas-Emissionen zu." So konnten Forscher zeigen, dass der Klimawandel die Hitzewellen in Europa von 2003 und 2018 deutlich intensiviert hat.
Außerdem erwartet der IPCC für die meisten Gebiete im Laufe des Jahrhunderts bedeutende Verluste in der landwirtschaftlichen Produktion. In Südeuropa wäre schon bei einer Erderwärmung von zwei Grad Celsius ein Drittel der Bevölkerung von Wasserknappheit betroffen, bei drei Grad Celsius könnten es - mit mittlerer Sicherheit - doppelt so viele sein. Bei einer Erwärmung über drei Grad Celsius würden sich die Schäden durch Küstenüberflutungen bis zum Ende des Jahrhunderts mindestens verzehnfachen und der Meeresspiegelanstieg zur "existenziellen Bedrohung" für die Küstengemeinden werden.
Wie bedroht die Erderwärmung die Versorgung mit Nahrungsmitteln und Wasser?
Bereits jetzt leidet die Hälfte der Weltbevölkerung mindestens einmal im Jahr unter Wasserknappheit - die etwa Überschwemmungen und Dürren geschuldet ist. Solche Extremereignisse reduzieren laut IPCC auch die Nahrungsmittelsicherheit. Jedoch ist der Einfluss des Klimawandels auf die Landwirtschaft schwierig zu messen. Denn zugleich gab es in den vergangenen Jahrzehnten aufgrund technischer Fortschritte und besserer Anbaumethoden auch große Ertragszuwächse. Die Autoren gehen jedoch - mit mittlerer Sicherheit - davon aus, dass der Klimawandel dieses Wachstum global gesehen verlangsamt hat. Vor allem in tropischen und subtropischen Regionen mindert die Erderwärmung demnach die Ernten. Die Erwärmung sowie die Versauerung der Ozeane bedrohen vielerorts die Fischbestände und selbst manche Aquakulturen, etwa bei der Zucht von Schalentieren.
Welche wirtschaftlichen Schäden drohen?
Mehr und mehr wirtschaftliche Schäden werden dem Klimawandel zugeordnet, in der Landwirtschaft, in der Forstwirtschaft, in der Fischerei, dem Energiesektor und dem Tourismus, insbesondere bei der Arbeit im Freien. Das lässt sich vor allem für Extremwetter-Ereignisse mittlerweile belegen, und zwar "nicht nur kurzfristig, sondern teilweise mehr als zehn Jahre lang", sagt Katja Frieler vom PIK. So sei im Fall von Hurrikan Sandy in den USA nachgewiesen worden, dass infolge des Meeresspiegel-Anstiegs eine deutlich größere Fläche betroffen war, als in einer Welt ohne den Klimawandel zu erwarten gewesen wäre. Bei Hurrikan Harvey konnten Forscher zeigen, dass der Klimawandel für mindestens sieben Prozent mehr Niederschläge sorgte, was zu entsprechend gravierenderen Überschwemmungen führte. Dieser Niederschlagseffekt sei mittlerweile bei vielen Stürmen nachgewiesen worden. "Hier übersetzt sich das Klimawandel-Signal am deutlichsten in Schäden", sagt Frieler.
Wie gut hat sich die Welt schon an den Klimawandel angepasst?
Es tut sich etwas. Mehr und mehr würden Politik und Gesellschaft die Notwendigkeit erkennen, sich auf den Klimawandel einstellen zu müssen, konstatiert der Klimabericht. Allerdings klaffe eine Lücke zwischen der tatsächlichen Umsetzung und dem, was eigentlich nötig wäre. Die meisten Maßnahmen zur Anpassungen seien bislang fragmentiert, kleinteilig und reaktiv. In den meisten Fällen sei man noch nicht mal über die Planung hinaus gekommen. Am weitesten zurück lägen arme Länder. Aber auch arme Menschen innerhalb von reichen Ländern sind häufig besonders verwundbar gegenüber Klima-Risiken.
Dabei gebe es ein großes Potenzial, sich an die Erderwärmung anzupassen, insbesondere unter Einbezug sogenannter "natur-basierter Lösungen". Stadtverwaltungen können etwa Bäume pflanzen oder Flüsse renaturieren. Am meisten passiert sei bislang beim Thema Wasser: So wurden etwa Warnsysteme für Überschwemmungen eingerichtet, die Bebauung in manchen Überschwemmungsgebieten beschränkt und Felder bei Trockenheit bewässert. Allerdings können sich Mensch und Natur mit fortschreitender Erwärmung immer schlechter an den Klimawandel anpassen, da die Klimafolgen irgendwann zu groß werden.
Wie viel Zeit bleibt, um zu reagieren?
"Es ist ganz klar, dass sich das Zeitfenster für eine klimaresiliente Welt schließt", betont Pörtner. In diesem Jahrzehnt müsse gehandelt werden: Neben einer Einsparung von Treibhausgasen müssten auch die Maßnahmen zur Anpassung deutlich beschleunigt werden. Zugleich müssten die verbliebenen Ökosystemleistungen der Natur erhalten werden. "Wenn wir nicht anfangen die Möglichkeiten zu nutzen, werden wir immer weniger Spielraum haben, die Risiken zu reduzieren", warnt Daniela Schmidt, Professorin für Paläobiologie an der University of Bristol.
Könnte der Krieg in der Ukraine wirksamen Klimaschutz verzögern?
Mitten in die Schlussverhandlungen zum etwa 4000 Seiten starken Bericht platzte die Nachricht vom Einmarsch russischer Truppen in der Ukraine. Für Aufsehen sorgte der Leiter der russischen IPCC-Delegation, Oleg Anisimow, der sich laut Washington Post in einer Videokonferenz am Sonntag überraschend für den Angriff entschuldigte: "Lassen sie mich im Namen aller Russen, die diesen Konflikt nicht verhindern konnten, eine Entschuldigung aussprechen." Die Russen, die wissen, was passiere, könnten keine Rechtfertigung für diesen Angriff finden. Später erklärte Anisimow, diese Worte drückten seine persönliche Haltung aus, sie seien keine offizielle Erklärung der russischen Delegation.
Angesichts der Dimension der Krise ist es einigermaßen überraschend, dass es den 195 Mitgliedsstaaten des IPCC gelang, den Bericht relativ pünktlich zu verabschieden. Doch der Krieg dürfte auch die Klimapolitik belasten. "Ganz klar fühlt sich dieser Konflikt an wie aus der Zeit gefallen, wenn man sich vor Augen führt, welche existenziellen Nöte die Menschheit eigentlich hat: Klimawandel, Biodiversitätsverlust, soziale Auswirkungen", sagt Pörtner. Nun finanzielle Mittel für das Militär aufzustocken, könne auch als Konkurrenz zur Finanzierung von Klimaschutz-Maßnahmen gesehen werden. Es könnte daher zu Verzögerungen im Kampf gegen den Klimawandel kommen, befürchtet Pörtner. "Kein Land existiert isoliert auf der Erde, wir sind alle vom globalen Klimageschehen betroffen. Und das tritt momentan in den Hintergrund."
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