Mit einer kreativen Aktion haben
Klimaschützende Landwirtschaftsminister Hauk aufgerufen, seinen
Widerstand gegen den Ausbau der Solarenergie zu beenden. Mehrere
Verbände haben zudem einen entsprechenden Appell unterzeichnet.
13. April 2022 - Die Landesverbände von BUND, NABU, NAJU, Fridays-For-Future sowie die Bodensee-Stiftung, das Solar-Cluster, die Plattform Erneuerbare Energie BW und
das Umweltinstitut München fordern die baden-württembergische
Landesregierung auf, den Ausbau der Freiflächen-Photovoltaik nicht
länger durch einen Deckel zu begrenzen. Ursprünglich war geplant, den
Appell persönlich an Landwirtschaftsminister Hauk zu übergeben, doch
dieser stand für ein Gespräch unter Verweis auf einen vollen
Terminkalender nicht zur Verfügung.
Um ihrer Forderung Nachdruck zu verleihen, protestierten
Umweltschützerinnen und Umweltschützer von BUND und NABU heute (13.4.)
in einer bunten Aktion vor dem Ministerium für Ernährung, Ländlichen
Raum und Verbraucherschutz in Stuttgart.
„Die künstliche Begrenzung ist völlig aus der Zeit gefallen“
Baden-Württemberg hatte 2017 die Möglichkeit genutzt, über die
Freiflächenöffnungsverordnung eine Förderung von
Photovoltaik-Freiflächenanlagen nicht nur an Straßen und Gleisen oder
auf Deponien, sondern auch auf landwirtschaftlich benachteiligten
Flächen zu ermöglichen. Aus Sicht der Natur- und Umweltverbände und der
Umweltbewegungen war dies ein wichtiger Schritt in die richtige
Richtung. Durch die anstehende Änderung der
Freiflächenöffnungsverordnung soll nun der Ausbaudeckel nicht
abgeschafft werden, sondern lediglich von 100 auf 500 Megawatt angehoben
werden.
„Die Klimakrise schreitet unerbittlich voran. Der Ausbau der
Erneuerbaren Energien muss maximal beschleunigt werden. Es ist nicht
nachvollziehbar, dass weiterhin das jährliche Ausschreibungsvolumen für
den Zubau von Solaranlagen begrenzt werden soll. Die künstliche
Begrenzung ist völlig aus der Zeit gefallen“, beschreibt Sylvia
Pilarsky-Grosch, Landesvorsitzende des BUND Baden-Württemberg.
Wie dringend der Ausbau der Erneuerbaren ist, um unabhängig vom
Import fossiler Energien zu werden, wird uns auch mit jedem Bild vom
Ukraine-Krieg bitter bewusst.
„Biodiversität und Klimaschutz voranbringen“
Auf dem Weg zu einem klimaneutralen Baden-Württemberg spielt die
Photovoltaik eine der tragenden Rollen – besonders auch vor dem
Hintergrund, dass auf gleicher Fläche ein Vielfaches an Strom gewonnen
werden kann als durch den Anbau von Energiepflanzen. Die Verbände sehen
ein großes Problem darin, dass momentan sehr viel Fläche nicht für die
Produktion von direkter menschlicher Ernährung verwendet wird, sondern 74 Prozent
dem Anbau von Futtermittel und Energiepflanzen dienen. Wenn die
Menschen endlich dazu kommen, weniger Fleisch produzieren zu wollen und
mehr direkte Lebensmittel, gibt es viel weniger
Flächennutzungskonflikte.
„Die Nutzung von Freiflächen-PV bietet darüber hinaus die Chance,
Biodiversität und Klimaschutz auf der gleichen Fläche voranzubringen,
sofern sich die Gestaltung und Pflege an ökologischen Kriterien
orientiert“, fügt Johannes Enssle, Landesvorsitzender des NABU
Baden-Württemberg hinzu.
„Ziel muss sein, den künstlichen Gegensatz zwischen Landwirtschaft
und Photovoltaik aufzuheben“, sagt Jörg Dürr-Pucher, Präsident der
Bodensee-Stiftung. „Das ist möglich, wenn Solarparks einen Mehrwert für
die landwirtschaftlichen Betriebe bedeuten und in Bauernhand liegen.“
Die Landesverbände von BUND, NABU, NAJU, Fridays-For-Future sowie die Bodensee-Stiftung, das Solar-Cluster, die Plattform Erneuerbare Energie BW und das Umweltinstitut München fordern von der Landesregierung deshalb die ersatzlose Streichung der Ausbau-Deckelung.
100-Megawatt-Grenze des Landes bremst Erreichung der Klimaschutzziele
Solar Cluster Baden-Württemberg: Begrenzung aufheben
links: Das Land braucht mehr Solarparks. Solarpark bei Denkingen
Foto: Plattform EE BW / Kuhnle & Knödler
Baden-Württemberg braucht mehr Photovoltaikanlagen, um seine
Klimaschutzziele zu erreichen. Ein wichtiger Teil sind Solarparks auf
landwirtschaftlich benachteiligten Gebieten. Jedes Jahr sind dort 60
neue solare Freiflächenanlagen in einer Größe von jeweils zehn Megawatt
installierter Leistung nötig, hat das Solar Cluster Baden-Württemberg
kürzlich berechnet.
Das Problem: Eine Regelung der Landesregierung
behindert derzeit noch den dringend nötigen Solarstromausbau. In der für
Solarparks geltenden Freiflächenöffnungsverordnung ist eine Grenze von
maximal 100 Megawatt pro Jahr festgelegt – ein Sechstel der
erforderlichen Leistung. Franz Pöter, Geschäftsführer des Solar Cluster
BW, fordert daher eine Aufhebung der Begrenzung. Auch dann wird nur ein
geringer Teil der landwirtschaftlich benachteiligten Gebiete für die
solare Stromerzeugung erschlossen. Auf den Flächen entsteht zudem neben
Ökostrom mehr Artenvielfalt, da unter anderem auf Dünger und
Pflanzenschutzmittel verzichtet wird.
Damit der aus Klimaschutzgründen dringend erforderliche
Photovoltaik-Ausbau schnell erfolgt, müssen bundesweit 50 Prozent der
erforderlichen Photovoltaikleistung auf Freiflächen errichtet werden,
rechnen Experten vor. Im Südwesten wird es aufgrund der dichten
Besiedelung, der kleinteiligen landwirtschaftlichen Strukturen und der
hohen Flächenkonkurrenz weniger sein. Rund ein Drittel der installierten
Leistung sollte trotzdem auf Äckern und Wiesen Platz finden. Für
Solarparks braucht es daher jedes Jahr rund 600 Megawatt, für
Agri-PV-Anlagen etwa 60 Megawatt. Insgesamt müssen im Südwesten –
zusammen mit Dach- und Fassadenanlagen – jährlich insgesamt 2.000
Megawatt Photovoltaik errichtet werden, um deren erforderlichen Anteil
an den Klimazielen zu erreichen.
Die Landesregierung müsse daher dringend die bestehende jährliche
Begrenzung von neuen Solarparks auf insgesamt 100 Megawatt in
benachteiligten Gebieten aufheben, fordert Franz Pöter. In einem ersten
Schritt sei zumindest eine Anhebung auf 500 Megawatt pro Jahr
erforderlich. Sonst gebe es ein Nadelöhr, das Projekte verhindere. Im
vergangenen Jahr war dies bereits der Fall: 2021 hat ein Solarpark
aufgrund der in Baden-Württemberg geltenden Regelung bei den
Ausschreibungen keinen Zuschlag erhalten und kann damit bislang nicht
realisiert werden.
Vorbild Bayern: 20 mal so viele Solarparks
Im Südwesten braucht es deutlich mehr Ökostrom. Dafür müssen die
Regelungen auch auf Landesebene angepasst werden. „Baden-Württemberg
könnte wie Bayern von Solarparks profitieren. Dort wurden in den letzten
fünf Jahren rund 20-mal so viel Solarparks wie im Südwesten errichtet
und eine großzügige Begrenzung auf 200 Projekte pro Jahr festgelegt“, so
Pöter. „Damit es bei Freiflächensolaranlagen vorangeht, brauchen wir
dringend eine Überarbeitung der hiesigen Freiflächenverordnung.“
Mit Solarparks findet eine Umnutzung landwirtschaftlich wenig
ertragreicher Flächen statt. In der Regel ist kein Ackerbau möglich,
aber die Flächen können weiterhin durch Schafbeweidung bäuerlich genutzt
werden. Durch die Extensivierung und die Einsaat von regionalen Saaten
wird zudem die Artenvielfalt gefördert. Das schafft auch Lebensräume für
Insekten, Reptilien, Vögel und Fledermäuse. Für viele Tiere und
Pflanzen sind Solarparks Schutz- und Rückzugsräume, die es ansonsten in
der Agrarlandschaft kaum noch gibt. Ein weiterer Vorteil – es gibt
lediglich eine minimale Flächenversiegelung. Da die Unterkonstruktion
für die Module auf Pfählen befestigt wird, können Solarparks nach Ende
der Nutzungsdauer ohne großen Aufwand entfernt und die Flächen wieder
vollständig landwirtschaftlich genutzt werden.
Freiflächenöffnungsverordnung 2017 erlassen
In Baden-Württemberg werden trotz der sehr guten solaren
Einstrahlungswerte zu wenige Solarparks errichtet, um den
Photovoltaikanteil im Stromnetz auf das gewünschte Niveau zu heben. Vor
2017 bremste das Erneuerbare-Energien-Gesetz (EEG) das Vorhaben aus. Das
Gesetz sah für Photovoltaik-Freiflächenanlagen vor allem
Konversionsflächen und Seitenrandstreifen entlang von Autobahnen und
Schienenwegen als zulässige Flächen vor. 2017 ermöglichte die
EEG-Novelle den Ländern, Öffnungsverordnungen zu erlassen, um die
Flächenkulisse zu erweitern. Die Landesregierung hat dies umgehend
genutzt und im selben Jahr die Freiflächenöffnungsverordnung
verabschiedet. Damit dürfen nun große Solaranlagen in engem Rahmen auch
auf weniger ertragreichen Äckern und Grünflächen errichtet werden.
Solche sogenannten „benachteiligten Gebiete“ machen zwei Drittel der
Acker und Grünlandfläche des Landes aus mit 900.000 Hektor und sind
grundsätzlich für Photovoltaik geöffnet.
Die Freiflächenöffnungsverordnung gilt nur für Solaranlagen, die eine
installierte Leistung von 750 Kilowatt bis 20 Megawatt haben. Solche
Großanlagen müssen an einer bundesweiten Ausschreibung teilnehmen, wenn
sie eine Förderung erhalten wollen. Davon profitieren viele – die
regionale Wertschöpfung erhöht sich, Bürgerinnen und Bürger können sich
finanziell beteiligen und neue Lebensräume für die Tier- und
Pflanzenwelt entstehen. Die Kommunen erhöhen ihren Ökostromanteil und
leisten einen Beitrag zum Klimaschutz. Städte und Gemeinden profitieren
auch finanziell von Solarparks über die Gewerbesteuer und die
marktübliche Kommunalabgabe. Darüber hinaus können sich Kommunen auch
direkt an den Solarparks beteiligen.
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