Freitag, 3. Juni 2022

Baden-Württemberg: Kompromiss bei Solarausbau

Dieser Artikel scheint recht verwirrend wenn man sich bisher nicht mit der Materie beschäftigt hat. Eine etwas bessere Übersicht kann man sich mit den beiden Artikeln darunter verschaffen.
Wichtig scheint mir: Der Deckel gilt nur für Großanlagen, was in unserer kleinräumig strukturierten Landschaft vermutlich schwieriger ist als anderswo. Dennoch: bei der Windkraft ist Baden-Württemberg weit  abgeschlagen, hier offensichtlich auch? Schaffen wir es genug Strom von den Dächern und Fassaden zu bekommen?


31.05.2022  |  VON HENNING OTTE, DPA  hier

Grüne und CDU in Baden-Württemberg haben sich auf einen Kompromiss beim Ausbau der Solarenergie auf landwirtschaftlichen Flächen geeinigt. Der Deckel werde von 100 Megawatt auf 500 Megawatt an Zubau pro Jahr erhöht, kündigte Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) an.

In der Grünen-Fraktion und im Umweltministerium gibt es Unmut über die Lösung. Sie wollten den Deckel abschaffen, um den Ausbau noch viel stärker vorantreiben zu können. Dagegen hatte sich aber Agrarminister Peter Hauk (CDU) gesperrt, weil er eine zu starke Umwandlung von Äckern und Grünland-Flächen befürchtete. Bei den Flächen handelt es sich um weniger ertragreiche Flächen. Wenn Anlagen mit 100 Megawatt gebaut werden, braucht man dafür etwas mehr als einen Hektar Fläche.

Umwelt-Staatssekretär Andre Baumann (Grüne) sagte in Bebenhausen, er sei zwar froh darüber, dass man den Deckel nun verfünffache. „Ich will aber nicht verhehlen, dass ich mir ein höheres Lupfen gewünscht hätte.“ Um die Klimaziele zu schaffen und bei der Stromproduktion unabhängiger zu werden, brauche man eigentlich viel größere Schritte. Dem Vernehmen nach hatte die CDU kurzfristig in die Verhandlungen eingebracht, dass der Anteil der geförderten, einjährigen Blühflächen in der Landwirtschaft erhöht werden müsse. Das lehnten die Grünen aber ab. „So ein Trara“ von der CDU sei wirklich ärgerlich.

„Meiner Ansicht nach ist das kein wirklicher Konflikt“, sagte Kretschmann. Der Deckel von 500 Megawatt sei erst mal auskömmlich. In einem Jahr oder in zwei Jahren sei man in der Lage, das noch besser zu lösen. „Es steht niemand auf der Bremse“, versicherte er. „Der Landwirtschaftsminister will jetzt natürlich keine Konflikte haben, zum Beispiel, dass wertvoller Ackerboden verloren geht und die Pachtpreise außer Rand und Band geraten.“

Es hatte bis zuletzt Verhandlungen über einen Kompromiss gegeben. Dem Vernehmen nach war ein Stufenplan im Gespräch. Zuerst sollte der Deckel auf 500 Megawatt im Jahr angehoben werden, nach zwei Jahren dann auf 750 und dann sollte es eine Gesprächsklausel über eine weitere Erhöhung geben. In dem Paket sollte auch der Ausbau der Solarenergie auf landeseigenen Gebäuden genauer geregelt werden. Am Montag habe Hauk dann die Blühflächen eingebracht. 


NABU  hier

Aufhebung der Obergrenze für den Ausbau von Freiflächen-Photovoltaik gefordert

Naturschutzverbände appellieren an Hauk

Mit einer kreativen Aktion haben Klimaschützende Landwirtschaftsminister Hauk aufgerufen, seinen Widerstand gegen den Ausbau der Solarenergie zu beenden. Mehrere Verbände haben zudem einen entsprechenden Appell unterzeichnet.

13. April 2022 - Die Landesverbände von BUND, NABU, NAJU, Fridays-For-Future sowie die Bodensee-Stiftung, das Solar-Cluster, die Plattform Erneuerbare Energie BW und das Umweltinstitut München fordern die baden-württembergische Landesregierung auf, den Ausbau der Freiflächen-Photovoltaik nicht länger durch einen Deckel zu begrenzen. Ursprünglich war geplant, den Appell persönlich an Landwirtschaftsminister Hauk zu übergeben, doch dieser stand für ein Gespräch unter Verweis auf einen vollen Terminkalender nicht zur Verfügung.  

Um ihrer Forderung Nachdruck zu verleihen, protestierten Umweltschützerinnen und Umweltschützer von BUND und NABU heute (13.4.) in einer bunten Aktion vor dem Ministerium für Ernährung, Ländlichen Raum und Verbraucherschutz in Stuttgart.

„Die künstliche Begrenzung ist völlig aus der Zeit gefallen“

Baden-Württemberg hatte 2017 die Möglichkeit genutzt, über die Freiflächenöffnungsverordnung eine Förderung von Photovoltaik-Freiflächenanlagen nicht nur an Straßen und Gleisen oder auf Deponien, sondern auch auf landwirtschaftlich benachteiligten Flächen zu ermöglichen. Aus Sicht der Natur- und Umweltverbände und der Umweltbewegungen war dies ein wichtiger Schritt in die richtige Richtung. Durch die anstehende Änderung der Freiflächenöffnungsverordnung soll nun der Ausbaudeckel nicht abgeschafft werden, sondern lediglich von 100 auf 500 Megawatt angehoben werden.

„Die Klimakrise schreitet unerbittlich voran. Der Ausbau der Erneuerbaren Energien muss maximal beschleunigt werden. Es ist nicht nachvollziehbar, dass weiterhin das jährliche Ausschreibungsvolumen für den Zubau von Solaranlagen begrenzt werden soll. Die künstliche Begrenzung ist völlig aus der Zeit gefallen“, beschreibt Sylvia Pilarsky-Grosch, Landesvorsitzende des BUND Baden-Württemberg.

Wie dringend der Ausbau der Erneuerbaren ist, um unabhängig vom Import fossiler Energien zu werden, wird uns auch mit jedem Bild vom Ukraine-Krieg bitter bewusst.

„Biodiversität und Klimaschutz voranbringen“

Auf dem Weg zu einem klimaneutralen Baden-Württemberg spielt die Photovoltaik eine der tragenden Rollen – besonders auch vor dem Hintergrund, dass auf gleicher Fläche ein Vielfaches an Strom gewonnen werden kann als durch den Anbau von Energiepflanzen. Die Verbände sehen ein großes Problem darin, dass momentan sehr viel Fläche nicht für die Produktion von direkter menschlicher Ernährung verwendet wird, sondern 74 Prozent dem Anbau von Futtermittel und Energiepflanzen dienen. Wenn die Menschen endlich dazu kommen, weniger Fleisch produzieren zu wollen und mehr direkte Lebensmittel, gibt es viel weniger Flächennutzungskonflikte.

Die Nutzung von Freiflächen-PV bietet darüber hinaus die Chance, Biodiversität und Klimaschutz auf der gleichen Fläche voranzubringen, sofern sich die Gestaltung und Pflege an ökologischen Kriterien orientiert“, fügt Johannes Enssle, Landesvorsitzender des NABU Baden-Württemberg hinzu.

„Ziel muss sein, den künstlichen Gegensatz zwischen Landwirtschaft und Photovoltaik aufzuheben“, sagt Jörg Dürr-Pucher, Präsident der Bodensee-Stiftung. „Das ist möglich, wenn Solarparks einen Mehrwert für die landwirtschaftlichen Betriebe bedeuten und in Bauernhand liegen.

Die Landesverbände von BUND, NABU, NAJU, Fridays-For-Future sowie die Bodensee-Stiftung, das Solar-Cluster, die Plattform Erneuerbare Energie BW und das Umweltinstitut München fordern von der Landesregierung deshalb die ersatzlose Streichung der Ausbau-Deckelung.


Baden-Württemberg braucht mehr Solarparks

100-Megawatt-Grenze des Landes bremst Erreichung der Klimaschutzziele

Solar Cluster Baden-Württemberg: Begrenzung aufheben


links: Das Land braucht mehr Solarparks. Solarpark bei Denkingen
Foto: Plattform EE BW / Kuhnle & Knödler

Baden-Württemberg braucht mehr Photovoltaikanlagen, um seine Klimaschutzziele zu erreichen. Ein wichtiger Teil sind Solarparks auf landwirtschaftlich benachteiligten Gebieten. Jedes Jahr sind dort 60 neue solare Freiflächenanlagen in einer Größe von jeweils zehn Megawatt installierter Leistung nötig, hat das Solar Cluster Baden-Württemberg kürzlich berechnet.
Das Problem: Eine Regelung der Landesregierung behindert derzeit noch den dringend nötigen Solarstromausbau. In der für Solarparks geltenden Freiflächenöffnungsverordnung ist eine Grenze von maximal 100 Megawatt pro Jahr festgelegt – ein Sechstel der erforderlichen Leistung. Franz Pöter, Geschäftsführer des Solar Cluster BW, fordert daher eine Aufhebung der Begrenzung. Auch dann wird nur ein geringer Teil der landwirtschaftlich benachteiligten Gebiete für die solare Stromerzeugung erschlossen. Auf den Flächen entsteht zudem neben Ökostrom mehr Artenvielfalt, da unter anderem auf Dünger und Pflanzenschutzmittel verzichtet wird. 

Damit der aus Klimaschutzgründen dringend erforderliche Photovoltaik-Ausbau schnell erfolgt, müssen bundesweit 50 Prozent der erforderlichen Photovoltaikleistung auf Freiflächen errichtet werden, rechnen Experten vor. Im Südwesten wird es aufgrund der dichten Besiedelung, der kleinteiligen landwirtschaftlichen Strukturen und der hohen Flächenkonkurrenz weniger sein. Rund ein Drittel der installierten Leistung sollte trotzdem auf Äckern und Wiesen Platz finden. Für Solarparks braucht es daher jedes Jahr rund 600 Megawatt, für Agri-PV-Anlagen etwa 60 Megawatt. Insgesamt müssen im Südwesten – zusammen mit Dach- und Fassadenanlagen – jährlich insgesamt 2.000 Megawatt Photovoltaik errichtet werden, um deren erforderlichen Anteil an den Klimazielen zu erreichen.

Die Landesregierung müsse daher dringend die bestehende jährliche Begrenzung von neuen Solarparks auf insgesamt 100 Megawatt in benachteiligten Gebieten aufheben, fordert Franz Pöter. In einem ersten Schritt sei zumindest eine Anhebung auf 500 Megawatt pro Jahr erforderlich. Sonst gebe es ein Nadelöhr, das Projekte verhindere. Im vergangenen Jahr war dies bereits der Fall: 2021 hat ein Solarpark aufgrund der in Baden-Württemberg geltenden Regelung bei den Ausschreibungen keinen Zuschlag erhalten und kann damit bislang nicht realisiert werden.

Vorbild Bayern: 20 mal so viele Solarparks

Im Südwesten braucht es deutlich mehr Ökostrom. Dafür müssen die Regelungen auch auf Landesebene angepasst werden. „Baden-Württemberg könnte wie Bayern von Solarparks profitieren. Dort wurden in den letzten fünf Jahren rund 20-mal so viel Solarparks wie im Südwesten errichtet und eine großzügige Begrenzung auf 200 Projekte pro Jahr festgelegt“, so Pöter. „Damit es bei Freiflächensolaranlagen vorangeht, brauchen wir dringend eine Überarbeitung der hiesigen Freiflächenverordnung.“

Mit Solarparks findet eine Umnutzung landwirtschaftlich wenig ertragreicher Flächen statt. In der Regel ist kein Ackerbau möglich, aber die Flächen können weiterhin durch Schafbeweidung bäuerlich genutzt werden. Durch die Extensivierung und die Einsaat von regionalen Saaten wird zudem die Artenvielfalt gefördert. Das schafft auch Lebensräume für Insekten, Reptilien, Vögel und Fledermäuse. Für viele Tiere und Pflanzen sind Solarparks Schutz- und Rückzugsräume, die es ansonsten in der Agrarlandschaft kaum noch gibt. Ein weiterer Vorteil – es gibt lediglich eine minimale Flächenversiegelung. Da die Unterkonstruktion für die Module auf Pfählen befestigt wird, können Solarparks nach Ende der Nutzungsdauer ohne großen Aufwand entfernt und die Flächen wieder vollständig landwirtschaftlich genutzt werden.

Freiflächenöffnungsverordnung 2017 erlassen

In Baden-Württemberg werden trotz der sehr guten solaren Einstrahlungswerte zu wenige Solarparks errichtet, um den Photovoltaikanteil im Stromnetz auf das gewünschte Niveau zu heben. Vor 2017 bremste das Erneuerbare-Energien-Gesetz (EEG) das Vorhaben aus. Das Gesetz sah für Photovoltaik-Freiflächenanlagen vor allem Konversionsflächen und Seitenrandstreifen entlang von Autobahnen und Schienenwegen als zulässige Flächen vor. 2017 ermöglichte die EEG-Novelle den Ländern, Öffnungsverordnungen zu erlassen, um die Flächenkulisse zu erweitern. Die Landesregierung hat dies umgehend genutzt und im selben Jahr die Freiflächenöffnungsverordnung verabschiedet. Damit dürfen nun große Solaranlagen in engem Rahmen auch auf weniger ertragreichen Äckern und Grünflächen errichtet werden. Solche sogenannten „benachteiligten Gebiete“ machen zwei Drittel der Acker und Grünlandfläche des Landes aus mit 900.000 Hektor und sind grundsätzlich für Photovoltaik geöffnet.

Die Freiflächenöffnungsverordnung gilt nur für Solaranlagen, die eine installierte Leistung von 750 Kilowatt bis 20 Megawatt haben. Solche Großanlagen müssen an einer bundesweiten Ausschreibung teilnehmen, wenn sie eine Förderung erhalten wollen. Davon profitieren viele – die regionale Wertschöpfung erhöht sich, Bürgerinnen und Bürger können sich finanziell beteiligen und neue Lebensräume für die Tier- und Pflanzenwelt entstehen. Die Kommunen erhöhen ihren Ökostromanteil und leisten einen Beitrag zum Klimaschutz. Städte und Gemeinden profitieren auch finanziell von Solarparks über die Gewerbesteuer und die marktübliche Kommunalabgabe. Darüber hinaus können sich Kommunen auch direkt an den Solarparks beteiligen.

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