Montag, 2. Mai 2022

"Darf Getreide trotz Ukraine-Krieg im Tank statt auf Tellern landen?"

Deutschlandfunk     hier   29.04.2022

Bundesumweltministerium will landwirtschaftliche Erzeugnisse im Biosprit reduzieren

Wegen des Kriegs in der Ukraine erwägt die Bundesregierung offenbar, die Nutzung landwirtschaftlicher Erzeugnisse in Benzin und Diesel einzuschränken.

Bundesumweltministerin Lemke sagte der „Augsburger Allgemeinen“, sie arbeite mit dem Landwirtschaftsministerium daran, den Einsatz sogenannter Biokraftstoffe aus Nahrungs- und Futtermittelpflanzen zu reduzieren. Agrarflächen seien weltweit begrenzt, man brauche sie dringend für die Ernährung. Deshalb sollten landwirtschaftliche Flächen für die Produktion von Nahrungsmitteln und nicht für den Tank genutzt werden, betonte die Grünen-Politikerin.

Momentan werden Diesel meist sieben Prozent Pflanzenölerzeugnisse zugesetzt, um die CO2-Bilanz zu verbessern. Bei Benzin sind es bis zu zehn Prozent Bioethanol, der aus Getreide und Rüben gewonnen wird. Der Bundesgeschäftsführer der Deutschen Umwelthilfe, Resch, sagte, allein für die in Deutschland getankten Biokraftstoffe würden weltweit etwa 1,9 Millionen Hektar Agrarland genutzt.

 

STREIT UM BIOSPRIT  HIER    29.04.2022    VON

Fast jeder Autofahrer tankt mit Benzin und Diesel einen Anteil Biosprit aus Nahrungsmitteln. Der Ukraine-Krieg könnte der umstrittenen Praxis ein Ende bereiten.

Es gibt nicht wenige Menschen in Deutschland, die um Produkte mit Palmöl im Supermarktregal am liebsten einen Bogen machen. Das flüssige Fett aus den Fruchtkernen der Ölpalme genießt vor allem aus Klimaschutzgründen keinen guten Ruf, nachdem laut Umweltschützern noch immer wertvolle Regenwaldflächen für neue Plantagen gerodet werden. Die wenigsten Diesel-Autofahrer wissen aber, dass sie mit dem normalen Treibstoff an der Tankstelle meist auch einen guten Schuss Palmöl pro Liter Sprit tanken. Und das ausgerechnet aus Klimaschutzgründen.

Laut Gesetzesvorgaben müssen sieben Prozent pro Liter Diesel aus sogenanntem Biokraftstoff bestehen. Beim Diesel gilt Palmöl neben Rapsöl und altem Frittieröl als wichtigste Quelle. Auch Besitzer von Benzinern tanken fünf bis zehn Prozent beigemischten Biosprit, wie die Bezeichnungen E5 und E10 am Tankrüssel verraten. Hergestellt wird der Benzin-Zusatz vor allem aus Getreide und Zuckerrüben.

Der Sinn von Biosprit ist seit Jahren umstritten

Über den Umwelt-Nutzen des Auto- und Lkw-Sprits aus nachwachsenden Rohstoffen herrscht seit vielen Jahren ein erbitterter Expertenstreit. Doch seit dem Angriffskrieg Russlands gegen die Weltkornkammer Ukraine wird nicht nur das moralische Dilemma, wenn Nahrungsmittel im Tank statt auf dem Teller landen, noch größer. Auch die Kosten der Kraftstoffzusätze könnten explodieren und den Sprit weiter verteuern. Getreide aus der Ukraine ist laut einer Studie der Deutschen Umwelthilfe Grundlage für fast 40 Prozent des in Deutschland eingesetzten Bioethanols.

„Pflanzen anzubauen, um sie in Autos zu verbrennen, ist ein massives Problem“
, kritisiert Umwelthilfe-Chef Jürgen Resch. Der Umweltschützer will angesichts ökologisch wie sozial fragwürdiger Aspekte beim landwirtschaftlich erzeugten Sprit auch nicht von „Bio“ sprechen, redet lieber von Agrokraftstoff.

„Allein für die in Deutschland getankten Agrokraftstoffe sind weltweit etwa 1,9 Millionen Hektar Agrarland belegt – eine Fläche größer als Sachsen“, sagt Resch. Dieses Land stehe der Landwirtschaft nicht mehr für die Nahrungsmittelproduktion oder andere Zwecke zur Verfügung. „Unterbrochene Lieferketten aufgrund des Ukrainekriegs führen zu steigenden Preisen von Rohstoffen wie Weizen, Mais oder Speiseölen – ein Problem vor allem für Länder in Westafrika und dem Nahen Osten“, warnt Resch.

Der Krieg in der Ukraine verschärft das Biosprit-Dilemma

Laut den Vereinten Nationen treibt der Krieg in der wichtigen Kornkammer Ukraine durch wegbrechende Lieferungen bereits jetzt Millionen Menschen in den Hunger. Und der Krieg setzt eine verhängnisvolle weltweite Kettenreaktion in Gang, die längst auch Staaten wie Indonesien und Malaysia erreicht hat. Die beiden Staaten zählen zu den weltweit größten Produzenten von Palmöl. Nachdem die Ukraine als wichtiger Produzent von Raps- und Sonnenblumenölsaaten ausfällt, stoppte jetzt Indonesiens Präsident Joko Widodo den Export von Palmöl ins Ausland und reagierte damit auf Proteste der Bevölkerung gegen stark steigende Lebensmittelpreise. Die Regierung von Malaysia verbot im eigenen Land, Palmöl in Dieselkraftstoffen beizumischen.

Umwelthilfe-Chef Resch warnt vor negativen Folgen, die wiederum der Einbruch der Palmölexporte in anderen Staaten auslösen könnte, wenn der Verbrauch weiter so hoch bleibe: „Sollte Palmöl auf dem globalen Markt in großem Stil durch andere Speiseöle ersetzt werden, hat das gravierende Auswirkungen auf den Flächenverbrauch“, erklärt der Experte. „Denn Palmöl erzeugt pro Fläche fünf- bis achtmal mehr Öl als andere Ölpflanzen.“ Deshalb müsse nun der Verbrauch an geeigneten Stellen reduziert werden. „Die bisherige Verschwendung von Speiseölen als Agrokraftstoff bietet hierfür einen guten Ansatzpunkt“, betont Resch. „Die Deutsche Umwelthilfe fordert die Bundesregierung auf, Agrokraftstoffe mit sofortiger Wirkung vollständig und dauerhaft aus der Förderung zu nehmen“, erklärt er.

Bundesregierung will Produktion von Biosprit einschränken

Tatsächlich steht das Thema in Berlin auf der Tagesordnung: Bundesumweltministerin Steffi Lemke spricht sich dafür aus, weniger Getreide und Pflanzenöl für Biosprit zu verwenden. „Agrokraftstoffe aus Nahrungs- und Futtermittelpflanzen sind keine sinnvolle Option“, sagt die Ministerin im Gespräch mit unserer Redaktion. „Agrarflächen sind weltweit begrenzt, wir brauchen sie dringend für die Ernährung, das führt uns der Krieg in der Ukraine dramatisch vor Augen“, betont die Grünen-Politikerin.

Umweltministerin Steffi Lemke. will den Verbrauch von Lebensmittelpflanzen für Biosprit reduzieren

Gerade die Menschen im globalen Süden litten besonders unter den Folgen der Krise und der fehlenden Verfügbarkeit von Getreide und weiteren Grundnahrungsmitteln. „Daher liegt es in unserer Verantwortung als großer Industriestaat, dass Agrarflächen für die Produktion von Nahrungsmitteln und nicht für den Tank genutzt werden“, sagt Lemke. „Bereits ab 2023 gibt es ein Aus für Palmöl im Tank“, verweist sie auf das bereits von der Großen Koalition beschlossene Ende der Förderung des umstrittenen Spritzusatzes, der in EU bis 2030 erlaubt bleibt. „Ich will jetzt den nächsten Schritt gehen und auch den Einsatz von Agrokraftstoffen aus Nahrungs- und Futtermittelpflanzen weiter reduzieren“, kündigte sie an. Die Details würden derzeit zwischen ihrem Ressort und dem Bundeslandwirtschaftsministerium besprochen.

Streit um Beimischungs-Quoten von Biokraftstoff

Offen ist, ob die Mindestquoten zur gesamten Biospritbeimischung für die Mineralölbranche bei Benzin und Diesel gesenkt oder gar ausgesetzt werden. Landwirtschaftsverbände und die Opposition warnen vor radikalen Einschnitten. Der Verband der Biokraftstoffindustrie betont, dass die Produktion von pflanzlichen Sprits wegen der hohen Erzeugerpreise bereits gesunken sei. „Der Markt reagiert und mehr Agrarrohstoffe gehen in den Nahrungsmittelmarkt“, sagt Geschäftsführer Elmar Baumann. „Deshalb gibt es aktuell keinen Grund, weshalb die Biokraftstoffquoten abgesenkt werden sollten.“......

Seit Beginn des Jahres versucht die Mineralölwirtschaft nun mit unkonventionellen Methoden, ihre gesetzlich vorgeschriebene „Treibhausgasminderungsquote“ auch anders als vor allem mit der Beimischung von Biokraftstoffen zu erfüllen: Im Internet ist ein regelrechter Boom von Maklerfirmen entstanden, die Besitzern von reinen Elektroautos Prämien von über 300 Euro pro Jahr anbieten, wenn sie ihre rechnerische CO2-Einsparung gegenüber Verbrennerfahrzeugen der Wirtschaft überschreiben.

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