Donnerstag, 9. November 2023

Unterschätzte Klimakosten: Zwei von drei geplanten Straßenprojekten könnten sich nicht lohnen

Spiegel hier  08.11.2023,

Die meisten Straßenprojekte in Deutschland würden mehr schaden als nutzen, hat eine NGO ermittelt. Die Gruppe rechnet mit vielfach höheren Klimakosten als die Regierung – die dürfte ihre Kalkulation bald ändern.

Die im Bundesverkehrswegeplan 2030 vorgesehenen Aus- und Neubauten von Straßen und Autobahnen werden der NGO zufolge neunmal mehr CO₂-Emissionen verursachen als angegeben 

Eine Vielzahl der in Deutschland geplanten Straßenprojekte könnte unwirtschaftlich sein, wenn die Klimakosten angemessen berücksichtigt werden: Das jedenfalls zeigen Berechnungen der Umweltorganisation Transport & Environment  (T&E). Die im Bundesverkehrswegeplan (BVWP) 2030 vorgesehenen Aus- und Neubauten von Straßen und Autobahnen werden der NGO zufolge neunmal mehr CO₂-Emissionen verursachen als angegeben.

Damit untermauert die Organisation ihre Kritik an der Ampelkoalition, die für eine Auswahl von 138 Ausbauprojekten zentraler Autobahnen sogar noch eine Beschleunigung der Planung beschlossen hat. Dabei stammen die Pläne aus der Zeit vor dem Pariser Klimaabkommen von 2015 – und auch die Bundesregierung räumt ein, dass sie nach »neuen Kriterien« überprüft werden müssen. Derzeit läuft eine, laut Gesetz seit zwei Jahren überfällige, Überprüfung des Bedarfsplans.

»Zeit Online « zufolge, das zuerst über die T&E-Untersuchung berichtete , wird damit noch in diesem Jahr eine offizielle, ehrlichere Klimarechnung gemacht. Ganz so negativ wie bei der Umweltorganisation würden die Zahlen allerdings wohl nicht ausfallen, deutete Markus Friedrich  an, der den wissenschaftlichen Beirat des Verkehrsministeriums leitet. Die neue Analyse unterschätze den Umstieg auf Elektroautos und mache es sich mit der Verkehrsprognose für einzelne Strecken zu einfach. Die Grundaussage teilte jedoch auch Friedrich: »Straßenneubau und -ausbau erschwert es, die Klimaziele zu erreichen«, sagte der Verkehrsforscher zu »Zeit Online«.

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Dabei hängt viel an den Annahmen. Die Kosten-Nutzen-Analyse für Straßenprojekte im Rahmen des BVWP berücksichtigt laut T&E fast gar nicht den bekannten Effekt des »induzierten Verkehrs«: dass neue und breitere Straßen zu mehr Verkehr und damit zu mehr Emissionen führen. Für die eigene Rechnung habe man nach internationaler Forschung »konservativ« angenommen, dass ein Prozent mehr Straßenfläche 0,6 Prozent mehr Verkehr bewirkt. Allein dadurch würden »drastisch« höhere Emissionen entstehen, als die Bundesregierung bisher einkalkuliert.

Der Weg war das Ziel

Der von diesen Emissionen verursachte Schaden werde außerdem zu niedrig angesetzt, kritisiert die NGO. Während das Umweltbundesamt die Folgekosten einer Tonne CO₂ mit 700 Euro werte, gehe der Bundesverkehrswegeplan nur von 145 Euro aus – eine veraltete Zahl von derselben Behörde, die den Wohlstand der heute lebenden Generationen höher bewertet als den der nachfolgenden.

Die »enormen Summen, die die Bundesregierung trotz allgemeinem Sparkurs für Autobahnen bereitstellen will« stünden »vielerorts nicht im Verhältnis zu dem tatsächlichen Nutzen, den die Bürger davon haben«, wird T&E-Datenanalyst Benedikt Heyl in der Mitteilung zitiert. Zwei von drei geplanten Straßenkilometern wären unwirtschaftlich, folgert die Untersuchung.

Milliardengräber – und ein paar nützliche Straßen

Rund acht Milliarden Euro würde Deutschland demnach etwa verlieren, falls die Küstenautobahn A20  durch Schleswig-Holstein und Niedersachsen gebaut wird. Auch der sechs- bis achtspurige Ausbau der A8 östlich von München, die A39 durch Ostniedersachsen oder mehrere Ausbaupläne auf Brandenburger Autobahnen wären Milliardengräber.

Auf der anderen Seite gibt es auch Vorhaben, die selbst nach der Rechnung der Umweltorganisation noch gut wegkommen – unter der Voraussetzung der im BVWP angegebenen Vorteile wie kürzerer Fahrzeit oder mehr ausgelieferten Waren.

So stehen etwa die umstrittene Bonner Südtangente mit einem Tunnel durch das Siebengebirge oder eine Verlängerung der A553 über den Rhein südlich von Köln mit einem Nettonutzen von jeweils mehr als drei Milliarden Euro auf der Liste. Eine gute Nutzen-Kosten-Bilanz hätten auch die Hafenquerspange der A26 in Hamburg oder der achtspurige Ausbau der A8 südlich von Stuttgart – eines der wenigen Vorhaben, die von der Beschleunigungsliste der Ampel gestrichen wurden. Baden-Württembergs Verkehrsminister Winfried Hermann (Grüne) möchte die zusätzlichen Fahrspuren dort noch kostengünstiger erreichen, durch eine Freigabe der Seitenstreifen.

Analyst Heyl forderte, die deutsche Fernstraßenplanung müsse »neu gedacht und durch wissenschaftlich belastbare Analysen und Annahmen gestützt« werden. »Viele Menschen stehen regelmäßig im Stau, weil sie keine Alternative zum Auto haben. Doch mehr Straßen werden das Problem nicht lösen, weil sie automatisch mehr Verkehr bedeuten.« 

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