FAZ hier VON KATJA GELINSKY-AKTUALISIERT AM 04.05.2023
Die EU hat ehrgeizige Pläne zur Gesundung geschädigter Ökosysteme. Die Wirtschaft und die Kommunen sind nicht begeistert. Sie sehen Zielkonflikte und fürchten Eingriffe in ihre Rechte.
Groß war der Jubel, als sich die Staatengemeinschaft im Dezember in Montreal auf das „Weltnaturabkommen“ einigte, das den Verlust der Artenvielfalt und die Zerstörung der Natur stoppen und eine Trendwende für ein Leben im Einklang mit der Natur einleiten soll. Die EU schrieb sich stolz auf die Fahnen, man habe sich in den Verhandlungen erfolgreich für ein ehrgeiziges Abkommen eingesetzt.
Nun müssen die hehren Ziele, die zum Schutz und zur Wiederherstellung der Natur vereinbart wurden, aber auch umgesetzt werden. Wie schwierig das ist, zeigt die aktuelle Debatte über die geplante EU-Verordnung zur Wiederherstellung der Natur („Nature Restoration Law“). Bis zum Jahr 2030 sollen nach den Brüsseler Plänen auf mindestens 20 Prozent der Land- und Meeresgebiete in der EU Maßnahmen zur Wiederherstellung der Natur ergriffen werden; bis 2050 sollen sich die Reparaturen auf alle Ökosysteme erstrecken, die aktuell geschwächt oder gestört sind.
Aber wenn Wälder, landwirtschaftliche und kommunale Flächen, Flüsse, Seen und Küstengewässer mithilfe verpflichtender EU-Zielvorgaben ökologisch gesunden sollen, führt das unweigerlich zu Nutzungskonflikten, wie neulich in einer Anhörung des Umweltausschusses des Bundestages deutlich wurde. Von einem „sich zuspitzenden Verteilungskampf um Flächen“ sprach der Vertreter der Deutschen Industrie- und Handelskammer (DIHK), Sebastian Bolay. Das sehen die Umweltverbände genauso.
Bisher wurden weniger ehrgeizige Ziele verfehlt
Dass Klimawandel und Artensterben als gleichrangige Krisen angegangen werden müssten, ist bislang kaum mehr als ein Lippenbekenntnis der Politik. Der Schutz der Biodiversität ist klare Verliererin der zahlreichen Beschleunigungsinitiativen zum Ausbau der erneuerbaren Energien. Umweltverbände widersprechen deswegen energisch, wenn CDU und CSU im Bundestag fordern, die EU-Pläne zur Wiederherstellung der Natur zu verschieben und abzuschwächen.
Bislang ist es nicht einmal gelungen, weniger ehrgeizige Ziele zur Gesundung der Natur zu erreichen. Schon an der freiwilligen internationalen Vorgabe, bis 2020 mindestens 15 Prozent der geschädigten Ökosysteme wiederherzustellen, ist die EU gescheitert. Auch ist man weit davon entfernt, die Ziele der EU-Naturschutzrichtlinien zu erreichen. Mehr als 80 Prozent der geschützten Lebensräume befinden sich nach einer Bewertung der Europäischen Umweltagentur von 2020 in einem unzureichenden oder schlechten Zustand – mit der Tendenz zur weiteren Verschlechterung in mehr als einem Drittel der Ökosysteme.
Deshalb will Brüssel den Mitgliedstaaten nun rechtsverbindlich vorschreiben, was sie bis zu welchem Zeitpunkt zum Schutz der Natur erreichen müssen. Zum Beispiel: Bis 2030 sind 30 Prozent der geschädigten Flächen, die bereits unter EU-Naturschutzrichtlinien kategorisiert sind, in einen guten Zustand zu versetzen. Bis 2050 gilt diese Reparaturverpflichtung für mindestens 90 Prozent der Flächen. Für landwirtschaftlich genutzte Moorflächen ist vorgesehen, dass bis 2030 mindestens 30 Prozent wiederhergestellt werden; mindestens ein Viertel davon durch Wiedervernässung. Auch die Kommunen nimmt Brüssel ins Visier. Bis 2030 darf es in allen Städten mitsamt Vororten keinen Nettoverlust an kommunalen Grünflächen mehr geben; sukzessive muss ein Nettogewinn an nationaler städtischer Grünfläche erreicht werden: bis 2040 um mindestens drei Prozent und bis 2050 um mindestens fünf Prozent.
Die Wirtschaft klagt über „europäische Makroperspektive“
Das Bundesumweltministerium unterstützt die Pläne. „Wenn wir die internationalen Ziele schaffen wollen, können wir es uns schlicht nicht leisten, diese Verordnung hinauszuschieben. Daher setzt sich die Bundesregierung für eine ambitionierte Verordnung ein“, sagte der Parlamentarische Staatssekretär Christian Kühn (Grüne) der F.A.Z. Die Wiederherstellung der Natur sei in der Klima- und Biodiversitätskrise „ohne Alternative“.
Vertretern der Kommunen, der Wirtschaft und der Land- und Forstwirtschaft klingt das zu sehr nach hartem Diktat. Die vielfältigen Zielkonflikte – etwa der Flächenbedarf für die klimaneutrale Transformation der Wirtschaft, für Felder und Wälder oder auch für Bauland – würden zu wenig berücksichtigt. Die Kommunen verweisen außerdem auf zusätzlichen bürokratischen Aufwand bei gleichzeitig drohenden Eingriffen in die Stadtplanung. Die kommunalen Spitzenverbände sähen die Gefahr, dass es keine nationale Gesamtschau der Flächenziele geben werde, sondern jede einzelne Kommune die Vorgaben erfüllen müsse, erläuterte Christine Wilcken vom Deutschen Städtetag. „Eine solche Beschränkung der kommunalen Autonomie wird auf keine Akzeptanz vor Ort stoßen und ist daher abzulehnen.“
Auch die Wirtschaft beklagt die „europäische Makroperspektive“. Über Flächennutzung und damit einhergehende Konflikte sollte möglichst auf lokaler oder regionaler Ebene entschieden werden, fordert die DIHK. Am grünen Tisch entworfen sei auch die Vorgabe, dass der Zustand geschädigter Ökosysteme kontinuierlich zu verbessern sei und es auf diesem Weg grundsätzlich keine Rückschritte geben dürfe. Dort, wo das Verschlechterungsverbot bereits gelte, habe es zu Rechtsunsicherheiten und Rechtsstreitigkeiten geführt. Die ohnehin geringen Anreize, in betrieblichen Naturschutz zu investieren, würden weiter reduziert.
Die EU-Kommission versucht damit zu locken, dass jeder Euro, der in die Wiederherstellung der Natur investiert werde, eine Rendite von acht bis 38 Euro in Form von Leistungen der Ökosysteme bringe, die für viele Wirtschaftstätigkeiten unverzichtbar seien. Zunächst aber müssen Maßnahmen zur Wiederherstellung der Natur finanziert werden. Wie und von wem diese kostspielige Aufgabe geschultert werden soll, darüber ist bislang wenig aus Brüssel zu hören.
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