Samstag, 3. September 2022

Krisen als Chancen: Und nun die gute Nachricht

 Zeit  hier  Eine Kolumne von   19. August 2022

Fünf vor acht 

Deutschland jammert über Gasknappheit, Inflation und die Kosten durch Putins Krieg. Aber jetzt, in der Krise, entsteht ein gewaltiger Modernisierungsschub

Und das beginnt heute mit einer Kolumne darüber, dass vielleicht nicht alles so schlimm ist, wie es uns scheint. Unverändert furchtbar ist Putins Krieg gegen die Ukraine mit dem Ziel ihrer Vernichtung. Sein Angriff auf Europa mit Gas-Embargo, Hackerangriffen und politischer Bearbeitung von Europas Weichteilen wie europäischen Rechten und Linken soll uns schwächen. Aber kommt er damit durch? Tatsächlich sehe ich derzeit gute Gelegenheiten und Chancen, Deutschland und Europa zu stärken.

Abschied von einer toxischen Energiepolitik

Beginnen wir mit der Energie. Deutschland verabschiedet sich endlich von einer toxischen Energiepolitik, die vor über zwanzig Jahren von der Regierung Schröder-Fischer erfunden und unter Merkel-Gabriel-Scholz bruchlos fortgesetzt wurde. Diese Politik betrachtete Erdgas als zentralen Rohstoff der Energiewende. Für die Heizung, für den Strom, für die Industrie. Der notwendige Umbau unserer Energiesysteme weg von Öl und Gas ist schwer und teuer, aber unausweichlich.

Noch vor Kurzem priesen Heizungsingenieure Gasheizungen an, wie die Autoindustrie ihre PS-Monster. Nun werden in vielen Häusern in den kommenden Jahren Wärmepumpen und andere CO₂-freie Heizungen eingebaut werden. Viele Deutsche denken über das Sparen im Alltag nach. Deutsche Industriekonzerne reduzieren ihre Abhängigkeit vom Gas mit hohem Tempo. Neue Planungsbeschleunigungs-Gesetze sollen das systematische Blockieren von Windrädern und Stromtrassen erheblich erschweren. Bisher konnten einige wenige die Modernisierung der Energieinfrastruktur für alle verhindern. Künftig sollen die Erneuerbaren zum energetischen Regelfall werden.

Zugleich erhöht Deutschland endlich die Zahl seiner Rohstofflieferanten. Die abnehmende Menge von Gas, die wir noch brauchen, kommt künftig aus der Nordsee, Amerika, vom Arabischen Golf, vom Kaspischen Meer und nach dem Ausbau der spanisch-französischen Pipelines vielleicht auch aus Nordafrika. Da Wladimir Putin es offenbar darauf anlegt, aus jedem Rohstoff eine politische Waffe zu machen, fällt Russland aus als Lieferant. Andere Länder in Amerika, Afrika und Asien werden diese Lücke füllen. Und manche Rohstoffe gibt es sogar in Deutschland, sie waren nur bisher nicht zu konkurrenzfähigen Preisen förderbar. Putins Erpressungen dürften das ändern.

Doch das vielleicht größte Umdenken hat Putin bei der Verteidigung ausgelöst. Seit den Nullerjahren rüstete Putin Russland systematisch auf, was in Deutschland nur wenige beunruhigte. Berlin rüstete ab und wog sich in der falschen Sicherheit, es werde schon nicht zum Krieg kommen, denn dagegen stünden wirtschaftliche Interessen, auch Russlands. Das war gefährlich, weil sich die Deutschen vor den ungläubigen Augen ihrer Verbündeten praktisch selbst entwaffneten.

Ein neues Interesse an Strategie

Nun entsteht in Deutschland ein neues Bewusstsein für die Notwendigkeit von Verteidigung, ein neues Interesse an Strategie, Kräftegleichgewicht und Abschreckung. Verteidigung wird auch eine starke digitale Seite haben. Diese Zeitenwende hat gerade erst begonnen. Putin aber schwächt seit Beginn dieses Jahres seine Armee mit einem Abnutzungskrieg gegen die Ukraine. Für einen konventionellen Angriff auf die Nato fehlen ihm ausreichende Mittel. Dies schenkt Europa einen Zeitvorteil. Der Überlebenskampf der Ukraine mit westlicher Unterstützung gibt vor allem Berlin die Chance, die Bundeswehr wieder abwehrbereit zu machen.

Gerade letzteres ist nicht an sich erfreulich. Natürlich wäre es viel schöner, wenn die Europäer mit Russland in Sicherheit und Frieden leben könnten und statt Sanktionen Waren austauschen würden. Es ist Putin, der sich für Krieg und die Zerstörung der europäischen Sicherheitsordnung entschieden hat.

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