Sonntag, 2. Februar 2025

Ökonomische Kosten spielen in der Debatte über Grenzkontrollen bisher keine Rolle

Deutschlandfunk hier  Ein Kommentar von Piotr Buras | 01. Februar 2025 zum Anhören

Verschärfung deutscher Migrationspolitik würde EU schaden

Kommentar: Der mit AfD-Stimmen durchgesetzte CDU-Entschließungsantrag für eine verschärfte Migrationspolitik und harte Grenzkontrollen würde die EU gefährden. Eine Umsetzung wäre das Aus der Schengen-Freizügigkeit. Das werden nicht einmal AfD-Wähler wollen.



Standard hier  András Szigetvari  1. Februar 2025, 

Bei strengen Grenzkontrollen denken alle an Migration. Doch kosten sie uns auch Wohlstand?

Debatte um Schengen: In Deutschland rüttelt eine Parlamentsmehrheit aus CDU und AfD am Prinzip der offenen Grenzen im Schengen-Raum. Wirtschaftsfragen spielen in der Debatte bisher bemerkenswerterweise kaum eine Rolle. Dabei gibt es konkrete Analysen dazu, was uns ein Schengen-Ende kosten würde

Spielzeug und Elektronik, die im Hafen von Rotterdam entladen und dann per Lkw über Land via Deutschland nach Österreich und Ungarn transportiert werden. Fruchtsäfte, die aus Vorarlberg nach Polen ausgeliefert werden. Komponenten für die Autoproduktion, die im Hafen von Triest in Italien ankommen, um dann in die Automobilwerke von VW und Kia nach Bratislava und Žilina in die Slowakei geschickt zu werden. Der Lkw-Verkehr: eine Schlagader für Europas Wirtschaft.

Der größte Teil des innereuropäischen Frachtverkehrs wird mit Lkws abgewickelt. Rund 6,5 Millionen Lastkraftwagen sind in der EU registriert. Ein großer Teil der Fahrten findet auf kurzen Strecken unter 200 Kilometer und ohne Grenzübertritte statt. Bei mehr als einem Viertel der europaweiten Transporte überqueren die Lkws aber eine oder mehrere Landesgrenzen. Dass das meist reibungslos funktioniert, die Fruchtsäfte also rechtzeitig im Supermarktregal in Warschau landen und die Autoteile am Fließband in Žilina, ist nur dank der EU-weiten Waren- und Personenfreizügigkeit möglich. Die Grenzen sind offen.

Ausgerechnet aus dem wichtigsten europäischen Industrie- und Transitland kommt nun ein Angriff auf dieses Prinzip. Noch dazu von jener Partei, die vor 40 Jahren das Ende der Personenkontrollen im Rahmen von Schengen vorangetrieben hat: der CDU. Der Parteichef der Konservativen, Friedrich Merz, hat im Bundestag mit den Stimmen der rechtsnationalen AfD und der FDP einen Fünf-Punkte-Plan zur Verschärfung der deutschen Migrationspolitik durchgebracht.

Dauerhafte Kontrolle
Teil der Resolution ist es, dauerhafte Kontrollen an den Grenzen zu Deutschlands Nachbarn einzuführen. Zudem sollen Menschen ohne gültige Einreisedokumente künftig in jedem Fall an den Grenzen abgewiesen werden, Asylanträge im Inland würden damit verhindert. Der CDU-Antrag ist zwar rechtlich nicht bindend. Aber sollte die CDU die anstehenden Bundestagswahlen im Februar gewinnen und Merz seine Politik umsetzen, "dann wäre das wohl ein Ende der offenen Grenzen im Schengen-Raum", sagt Florian Weber, Juniorprofessor für Europastudien an der Universität des Saarlandes in Saarbrücken.

Nun sind schon bisher Grenzkontrollen im Rahmen von Schengen in Ausnahmen gestattet, etwa wenn die öffentliche Sicherheit und Ordnung das notwendig machen. Die Bestimmungen des Schengener Übereinkommens, das 1985 geschlossen wurde, sind schwammig genug, um Ländern hier weitreichende Werkzeuge in die Hand zu geben. In den vergangenen Jahren haben immer mehr Staaten Grenzkontrollen angemeldet, darunter Österreich und Deutschland. Staaten dürfen diese Kontrollen aber bisher nur befristet beantragen und sie finden bisher meist auch nur stichprobenartig und punktuell statt, sagt Grenzraumforscher Weber. 

Fahrspuren werden auf der Autobahn verengt, Polizisten beobachten den Verkehr, Autos und Busse werden aber nur selten rausgewunken. Das läuft derzeit an der deutsch-französischen Grenze ähnlich ab wie an der ungarisch-österreichischen. Merz will dauerhafte Kontrollen, was den Schengen-Regeln widerspricht. Und es klingt, als seien lückenlosere Überprüfungen angedacht. Mit der bisherigen Kontrollpraxis blieben Staus begrenzt, "aber wenn man anfangen würde, alle Grenzübergänge durchgehend zu kontrollieren, sähe die Situation anders aus", so Weber.

Nun geht es hier um Personen-, nicht Warenkontrollen. "Wenn allerdings die Grenzen verstopft sind, weil es bei Pkws zu einem Rückstau kommt, stehen die Lkws genauso drinnen", sagt Alexander Klacska, der ein gleichnamiges Transportunternehmen leitet und in der Wirtschaftskammer für die Branche spricht. Die Speditionsunternehmen fordern für solche Szenarien sogenannte "green lanes", bei denen Lkws auf gesonderten Fahrspuren durchgewunken werden. Doch genau diese Infrastruktur fehle an den meisten Grenzübergängen, sagt der Spediteur.

Sollten Kontrollen kommen, fürchtet er drastische Auswirkungen: Neun Stunden darf ein Fahrer am Tag hinter dem Steuer sitzen. Danach sind zwölf Stunden Ruhezeit verpflichtend. "Eine zweistündige Wartezeit an der Grenze würde bedeuten, dass fast ein Viertel der Fahrzeit aufgebraucht wäre", sagt Klacska. Die Folgen wären höhere Transportkosten und höhere Preise für Konsumenten "und es wären nicht alle Waren so verfügbar, wie wir das kennen. Wir würden uns wieder in die Steinzeit zurückkatapultieren."

750 Euro weniger pro Kopf
Nun lässt sich das als Unkenruf eines Branchenvertreters abtun. Doch es gibt ökonomische Analysen, die darauf hindeuten, dass tatsächlich ein Wohlstandsverlust droht, wenn die Grenzbalken zugehen. Im Mai 2024 hat Wifo-Chef Gabriel Felbermayr mit Inga Heiland von der Universität Trondheim im Rahmen einer Studie abgeschätzt, welchen Wohlstandsgewinn eine EU-Mitgliedschaft für Österreich bringt.

Dabei wurde ausgewertet, was es bedeuten würde, wenn Österreich Schengen verlässt. Dem Abkommen gehören 29 Staaten in Europa an. Die wirtschaftlichen Folgen wurden auf Basis von Erfahrungswerten abgeschätzt. Eine Reihe von Ländern, wie Ungarn oder Polen, sind in den vergangenen Jahrzehnten Schengen beigetreten. Diese Länder haben über Nacht Grenzkontrollen abgebaut. Daher lässt sich laut Felbermayr plausibel abschätzen, welchen Effekt die Wiedereinführung dieser Kontrollen haben würde. Ein Schengen-Aus würde jeden Österreicher pro Kopf 750 Euro an Wohlstand kosten. Wir wären nicht mit einem Schlag verarmt. Die Wirtschaftsleistung würde aber um rund 6,75 Milliarden Euro oder mehr als ein Prozent zurückgehen. Die Studie unterstellt strikte Kontrollen und dass das Schengen-System ganz kollabiert. Kein unwahrscheinliches Szenario, wenn Europas wichtigstes Land sich von den offenen Grenzen verabschiedet.

150.000 Pendler in Österreich
Neben gestörten Warentransporten gibt es noch ein Problem: den Pendelverkehr. Mit der zunehmenden EU-Integration ist auch die Zahl der grenzüberschreitend tätigen Arbeitnehmer gestiegen. Nicht in allen EU-Ländern spielt das eine große Rolle, wohl aber in Luxemburg – und Österreich. Laut AMS sind allein hierzulande fast 150.000 Menschen mit Wohnsitz im Ausland beschäftigt, die meisten pendeln ins Burgenland, nach Wien und in die Steiermark, ein großer Teil täglich. Mit täglichen Grenzstaus wäre das kaum vereinbar.

Interessant ist, dass ökonomische Kosten in der Debatte über Grenzkontrollen bisher keine Rolle spielen. Es geht allein um Migration – dabei ist das nur ein Aspekt.

Luxemburg jedenfalls drohte Deutschland diese Woche bereits mit einer EU-Klage, sollte die Bundesrepublik die schärfere Gangart bei Grenzkontrollen umsetzen. Gut 80 Prozent des Gesundheitspersonals im Großherzogtum sind Beschäftigte mit ausländischem Wohnsitz. Lückenlosere Kontrollen an den Grenzen sind machbar. Aber sie werden einen Preis haben

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen