hier Morgenpost 08.08.2024 Theresa Martus
Photovoltaik: Wie der Solar-Boom in Deutschland die Netze unter Druck setztDer große Zuwachs an Solaranlagen ist erwünscht. Doch er setzt die Verteilnetze in Deutschland stark unter Druck.
Der Ausbau der Solar-Energie läuft auf Hochtouren. Aber überlastete Verteilnetze drohen den dringend benötigten Schwung auszubremsen.
Erneuerbare Energien haben erneut deutlich mehr als die Hälfte des benötigten Stroms geliefert. Der Energieverband BDEW sieht dafür einen Hauptgrund.
In Kleve findet die Energiewende auf dem Rathaus statt. Seit 2022 trägt das Gebäude Solarpaneele, 67.000 kWh im Jahr soll die Anlage liefern. Das Rathaus ist nicht das einzige öffentliche Gebäude, das Strom produziert: In der 50.000-Einwohner-Stadt liegen fast fünf Prozent aller Photovoltaik-Anlagen auf öffentlichen Dächern. Der größte Teil davon entstand erst in den letzten Jahren.
Laut einer Auswertung des Marktstammdatenregisters der Bundesnetzagentur durch Viessmann Climate Solutions, die unserer Redaktion vorliegt, ist Kleve kein Einzelfall – in vielen Städten in Deutschland hat sich die Energiewende in den vergangenen Jahren auf kommunalen Dächern breitgemacht.
Die Städte sind damit Teil eines größeren Trends: Photovoltaik boomt in Deutschland. Vom Balkonkraftwerk bis zur großen Anlage auf Freiflächen entstehen seit Monaten in allen Ecken der Republik kleine und größere Solaranlagen. Getrieben wird der Trend vor allem von einer Talfahrt bei den Preisen für Solarmodule aus Asien.
Der Photovoltaik-Ausbau in Deutschland ist auf Kurs
Mitte Juli verzeichnete das Marktstammdatenregister der Bundesnetzagentur 4.257.578 Anlagen mit einer Leistung von 90,3 Gigawatt. Das sind 510.246 mehr als noch im Dezember 2023, und ein Zuwachs an Leistung von 7,5 Gigawatt.
Anders als bei Windkraft, wo die Zahl der neuen Anlagen den Zielen der Bundesregierung deutlich hinterherhinkt, ist der Ausbau der Photovoltaik damit auf Kurs. Bis 2030, wenn 80 Prozent des Energieverbrauchs aus Erneuerbaren gedeckt werden sollen, könnten in Deutschland 215 GW Photovoltaik am Netz sein. Doch der Boom bringt die Netze in Bedrängnis.
Das deutsche Stromnetz hat mehrere Ebenen. Mit dem Höchstspannungsnetz transportieren die vier Übertragungsnetzbetreiber über große Strecken Strom. Über das Hoch-, Mittel- und Niederspannungsnetz kommt der Strom dann bis an die Steckdose der Endverbraucher.
Diese unteren Ebenen des Netzes verantworten die Verteilnetzbetreiber – fast 900 Unternehmen in Deutschland, viele in kommunaler Hand. Solange der Strom in eine Richtung floss, vom Kraftwerk zum Verbraucher, war die Verteilung kein Problem. Doch mit der Energiewende ändert sich die Struktur des Netzes, an immer mehr Stellen wird nicht nur Strom verbraucht, sondern auch eingespeist.
Vor allem Betreiber in ländlichen Gebieten melden „punktuelle Überlastungssituationen“
Das Problem: Die Netzbetreiber können nur sehr begrenzt steuern, wie viel eingespeist wird. Scheint die Sonne, produzieren sämtliche Solaranlagen in einer Gegend Strom, Solardächer auf Einfamilienhäusern und Supermärkten ebenso wie große Anlagen auf der Freifläche. Je nach Stand des Netzausbaus kann das mehr sein, als das Netz vor Ort transportieren kann.
Zumindest größere Anlagen zwischen 25 und 100 kW Leistung sollten technisch so aufgestellt sein, dass die Verteilnetzbetreiber sie für diesen Fall steuern und wenn notwendig abregeln können. Häufig sei das aber nicht der Fall, sagt ein Sprecher des Verbands Kommunaler Unternehmen (VKU), der viele der Netzbetreiber vertritt.
Vor allem Netzbetreiber, deren Gebiet in der Fläche liegt, also nicht hauptsächlich in den großen Städten, würden melden, dass es durch den großen Zubau von Photovoltaik-Anlagen zu „punktuellen Überlastungssituationen“ kommen würde, so der Sprecher. Im schlimmsten Fall führt das zu regionalen Ausfällen: „Wenn an einem Umspannwerk zu viel Spannung ankommt, wird das aus Sicherheitsgründen vom Netz getrennt. Und dann haben alle nachfolgenden Ebenen in dieser Gegend keinen Strom mehr.“
Um das Risiko für solche Ausfälle zu verringern, haben Netzbetreiber die Möglichkeit, sogenannte Anschlussbegehren abzulehnen oder zeitlich zu verschieben, wenn die Kapazität einer Anlage absehbar die Stabilität des Netzes ins Wackeln bringen würde. Doch genau das bremst den Schwung des Ausbaus, der eigentlich politisch gewollt ist.
Anschluss neuer Solaranlagen: Frust und lange Wartezeiten
Die Folge sind lange Wartezeiten und häufig Frust bei Besitzern von Solaranlagen. Laut einer Befragung unter Mitgliedern des Bundesverbandes Solarwirtschaft aus dem März vergehen bis zum Anschluss einer kleinen Anlage, etwa auf dem Dach des eigenen Hauses, im Moment im Schnitt drei Monate. Bei Anlagen auf Gewerbedächern sind es schon fünf Monate. Bei Photovoltaik-Projekten auf Freiflächen mussten die Betreiber in 38 Prozent der Fälle sogar länger als neun Monate warten.
Wie viele Anlagen aus Gründen der Netzstabilität gar nicht oder nur gedrosselt angeschlossen werden, wird nicht zentral erfasst. Die Bundesnetzagentur gibt auf Anfrage an, es sei „die absolute Ausnahme“, dass ein Anschluss einer Solaranlage deshalb abgelehnt werde. Für kleinere Anlagen teilt der Bundesverband Solarwirtschaft diese Einschätzung.
Bei größeren Solarparks aber „kommt es regelmäßig vor, dass Anschlussbegehren abgelehnt werden oder nur geringere Leistungen ans Netz angeschlossen werden dürfen als beantragt“, sagt Hauptgeschäftsführer Carsten Körnig. Die Solar-Vereinigung sieht die Politik in der Pflicht: Die müsse die Verteilnetzbetreiber zur schnellen Umsetzung der notwendigen Maßnahmen verpflichten, heißt es vom BSW.
Nötig sind laut VKU ein „intelligenteres“ Netz, das Echtzeit-Daten über Einspeisung und Spannung liefert, und mehr Steuerbarkeit. „Die Netzbetreiber kümmern sich um den Ausbau“, so der Sprecher. Von der Politik brauche es dazu vor allem einfachere Regeln bei Planung und Genehmigung neuer Leitungen und Umspannwerke. Damit die Anlagen, die in diesen Tagen gebaut werden, auch Strom liefern können.
dasselbe Problem aus anderer Perspektive
hier Morgenpost 8.6.24 -
E-Auto und Wärmepumpe: Droht dem Stromnetz der Kollaps?
Diese Herausforderungen sieht die Deutsche Energie-Agentur
Die Deutsche Energie-Agentur (dena) sieht Probleme auf die Verteilernetze insbesondere in der Niederspannung zukommen, wenn viele Menschen gleichzeitig Wärmepumpen und E-Ladestationen nutzen. „Wenn alle um 18 Uhr nach Hause kommen, das Auto einstöpseln und die Wärmepumpe laufen lassen und alles gleichzeitig läuft – dann sind das die Probleme, die auf Verteilnetzebene auftreten können“, erklärt Katharina Umpfenbach, Leiterin Infrastruktur und Gesamtsystem bei der dena, im Gespräch mit dieser Redaktion.
Es braucht „einen massiven Ausbau der Stromnetze auf allen Spannungsebenen“, sagt Umpfenbach – und erklärt, dass dies bereits angegangen werde. Es sei eine Herausforderung, aber machbar. „Und zwar dann, wenn wir zum einen weiter vorausschauend ausbauen und zum anderen flexibilisieren. Also wenn nicht nur die Erzeugungsseite dazu beiträgt, dass Strombedarf und das Stromangebot immer im Ausgleich sind, sondern auch die Nachfrageseite – indem zum Beispiel Lasten in der Zeit verschoben werden.“
Damit meint sie, dass beispielsweise eben nicht das E-Auto gleich abends um 18 Uhr geladen werden muss, wenn alle nach Hause kommen und der Strombedarf gewöhnlich sehr hoch ist. Sondern dass das Laden automatisch erst in der Nacht startet. Wenn der Stromverbrauch niedriger ist.
Bundesnetzagentur: Geräte bei Überlastung abschalten?
Eine Instrument, um zu verhindern, dass es zu neuen Verbrauchsspitzen kommt, würden plötzlich alle E-Autos gleichzeitig nachts geladen werden, ist bereits in der Ausarbeitung: der Paragraf 14a des Energiewirtschaftsgesetzes (EnWG) soll reformiert werden. Die Verteilnetzbetreiber sollen dadurch die Möglichkeit erhalten, stärker den Verbrauch zu beeinflussen. Konkret könnte das bedeuten, dass der Netzbetreiber den Betrieb einer Wärmepumpe oder den Ladevorgang eines E-Autos unterbrechen könnte, um damit das Netz zu entlasten.
Droht also die Abschaltung bei Überlastung? Nein, sagt Klaus Müller, Präsident der Bundesnetzagentur: „Niemand wird abgeschaltet.“ Er erklärt allerdings, dass der Strombezug in einem nachgewiesenen Notfall von den Netzbetreibern gedimmt werden könne. „Wo der Netzausbau noch nicht stattgefunden hat, müssen wir Vorsorge treffen, dass das Netz in dieser Situation nicht in die Knie geht“, sagte Müller. Werde die Leistung gedimmt, sollten Verbraucher durch einen „Nachlass beim Netzentgelt“ entschädigt werden. Dimmen heiße aber nicht abschalten. Das Auto werde lediglich weniger schnell aufgeladen.
„Grundsätzlich besteht aber Konsens, dass es zu einer stärkeren Flexibilisierung, zu einer Reaktionsfähigkeit der Verbrauchsseite kommen muss“, so Umpfenbach. „Will man sechs Millionen Wärmepumpen bis 2030 erreichen, dann muss man sowohl ausbauen als auch flexibilisieren. Dann brauchen wir alle Optionen.“
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