Dienstag, 6. August 2024

Der Seegerichtshof – UN in Hamburg

 hier   Michael Wendland  23. Juli 2024

Der Internationale Seegerichtshof in Nienstedten ist Teil der Vereinten Nationen (UN) und das bedeutendste Seegericht der Welt. Kürzlich wurde dort der vielleicht bisher wichtigste Fall verhandelt.

Lange Zeit war es ruhig um den Seegerichtshof in Nienstedten. Zwar herrschte von Anfang an beträchtlicher Stolz über diese UN-Organisation in der Nachbarschaft, aber nur wenige Fälle erregten die Aufmerksamkeit abseits der Fachwelt. Das hat sich in Zeiten des Klimawandels fundamental geändert. Nach der Klage kleiner Inselstaaten gegen Treibhausgase fällte der Gerichtshof ein Urteil, das zum Präzedenzfall wurde und die Welt verändern könnte.

Am 12. Dezember 2022 kam in Nienstedten eine E-Mail an. Absender war kein windiger Unternehmer, der 700 Prozent Rendite in einer Stunde versprach, auch nicht die Hausbank mit dem Hinweis auf neue Nachrichten im Postfach, sondern Inseln: Antigua und Barbuda, Tuvalu, Palau, Niue, Vanuatu und St. Lucia, St. Vincent und die Grenadinen, St. Christopher und Nevis sowie die Bahamas. Ihre wesentliche Botschaft an den Internationalen Seegerichtshof: Wir saufen ab!

Der Klimawandel führt zu steigenden Meeresspiegeln und bedroht somit die Existenz dieser Inseln. Nicht die wirtschaftliche Existenz, sondern die physische. Während das Falkensteiner Ufer 43 Meter hoch ist, liegen die allermeisten Wohnviertel auf karibischen Inseln um die zwei Meter hoch. Schon der Anstieg des Meeresspiegels um einen Meter würde zu katastrophalen Überflutungen führen. Umsiedelungen in höhere Gebiete sind hier und da möglich, aber keine realistische Lösung.

Neben dieser alarmierenden Statusmeldung enthielt das per E-Mail versandte Schriftstück folgende Fragen: Kann der Ausstoß von Treibhausgasen auch als Meeresverschmutzung gelten? Können Staaten per Gerichtsbeschluss zum Klimaschutz verpflichtet werden, wenn ein Unterlassen den Untergang ganzer Nationen bedeuten würde?

.....Zurück zu den Inselstaaten und ihrem Existenzkampf. Im Mai 2024 wurde das Urteil verkündet: Treibhausgase gelten als Meeresverschmutzung im Sinne des Seerechtsübereinkommens der Vereinten Nationen. Damit unterliegen sie den gleichen rechtlichen Verpflichtungen und Verantwortlichkeiten wie andere Formen der Verschmutzung der Meeresumwelt.

Der Gerichtshof betonte, dass Staaten verpflichtet seien, alle notwendigen Maßnahmen zu ergreifen, um die Verschmutzung der Meere durch Treibhausgase zu verhindern, zu verringern und zu kontrollieren. Dies bedeutet, dass Länder ihre Emissionen drastisch reduzieren müssen, um den Anforderungen des internationalen Seerechts gerecht zu werden.

Aber auch hier ist Recht haben nicht gleich Recht bekommen. Während Umweltverbände das Urteil begrüßten und die Regierungen zum Handeln aufforderten, machten Wirtschaftsvertreter auf die negativen ökonomischen Folgen des Klimaschutzes aufmerksam, die schwerer wögen, als das Überleben kleiner Inselstaaten.

De facto aber ist das Urteil ein Präzedenzfall, der Rechtsgeschichte geschrieben hat und den Boden bereitet für ähnliche Klagen. Laut Umweltprogramm der UN hat sich die Zahl der Klimaklagen weltweit von 2017 bis 2022 mehr als verdoppelt. Gezählt wurden 2.180 Fälle. Die Mehrzahl wird abgewiesen, aber es gibt auch spektakuläre Erfolge. Im April diesen Jahres gab der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte einer Schweizer Seniorengruppe recht. Die hatte das eigene Land verklagt, das ihrer Ansicht nach zu wenig gegen die Klimaerwärmung tut. Auch hier ist keine Berufung möglich. Die Schweiz hat, vereinfacht gesprochen, nur die Möglichkeit das Gerichtsurteil zu ignorieren oder beim Klimaschutz nachzubessern.

Ähnliches kommt beispielsweise aus Südkorea. Im Rahmen einer Klage wird dort der Schutz von Babys und Kleinkindern eingefordert, für die der Klimawandel ein existenzielles Risiko sei. In Peru klagen Kleinbauern gegen den Energiekonzern RWE, in Brasilien gegen die Abholzung des Regenwaldes.

Sie alle haben nun eine Stimme. Per Gericht.


Zur Sache:

Der Internationale Seegerichtshof in Zahlen

21 Richter werden von den 168 Vertragsparteien des Seerechtübereinkommens der Vereinten Nationen gewählt und zwar jeweils für neun Jahre. Fünf Richter kommen aus Afrika und Asien, je vier aus Mittel- und Südamerika sowie aus Europa und drei Richter aus Osteuropa. Sie werden unterstützt von 14 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern aus 14 Ländern.

Sein Budget beträgt für 2023/2024 rund 23,4 Mio. Euro.

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