Donnerstag, 1. August 2024

Bauexpertin: "Das Einfamilienhaus ist kein Menschenrecht"

Wie immer: der Artikel stammt aus Österreich, hat aber viele Bezüge zu deutschen Parallelen beim Flächenfraß und der Bauwirtschaft.

Standard hier  Paul M. Horntrich  1. August 2024

Schaffa, schaffa

Der Weg zu einer ökologisch verträglichen Architektur ist steinig. Bauforscherin Andrea Rieger-Jandl fordert ein komplettes Umdenken in der Branche und in der Politik

"Home sweet home" ist auch hierzulande das Credo vieler Menschen, eigene vier Wände zu besitzen, eines der wichtigsten Lebensziele. Besonders beliebt ist dabei das Einfamilienhaus auf dem Land. Zumindest ökologisch gesehen ist dies jedoch höchst bedenklich: Nicht nur Fliegen, Autofahren und Fleischkonsum sind schlecht fürs Klima, sondern auch das Bauen. Weltweit gesehen ist das Baugewerbe für ungefähr die Hälfte des gesamten CO2-Ausstoßes verantwortlich. Für die Erreichung der Klimaziele ist die Ökologisierung der Architektur daher von großer Bedeutung.

Zirkulär statt linear

Um das Baugewerbe ökologisch nachhaltiger zu gestalten, sei ein komplettes Umdenken nötig, sagt Andrea Rieger-Jandl, Expertin für nachhaltiges Bauen und "grüne Architektur". Die Professorin für Baugeschichte und Bauforschung an der Technischen Universität Wien leitet seit März dieses Jahres den Masterstudiengang "Architektur – Green Building" an der Fachhochschule Campus Wien. In Österreich ist dies der erste Studiengang, der sich explizit mit Fragen der ökologischen Nachhaltigkeit in der Architektur beschäftigt.

"Bislang denken die Architektur und die gesamte Baubranche linear. Wir brauchen aber ein zirkuläres Kreislaufdenken, nur dann kann Bauen ökologisch werden." Wie dieses Kreislaufdenken aussehen könnte, skizziert die Expertin so: Generell sei es besser, die vorhandene Bausubstanz zu erhalten, anstatt neu zu bauen. Wenn wirklich gebaut werden müsse, dann sollten regenerative Baustoffe eingesetzt werden. Diese könnten bei einem Abriss nämlich weiterverwendet werden. Nachhaltigkeit und Verdichtung seien zwei zentrale Schlagwörter. Bei beiden habe Österreich Nachholbedarf.

Problematischer Beton

Immer noch wird hauptsächlich auf Beton als Baustoff gesetzt. Dies sei auch der irreführenden Werbung geschuldet, die Beton als nachhaltig verkaufe. Dabei ist allein die Zementproduktion für knapp zehn Prozent der weltweiten Kohlendioxid-Emissionen verantwortlich. Beton also als nachhaltig zu deklarieren sei nichts anderes als Greenwashing, sagt die Expertin. Dabei gebe es mehr als genug Alternativen zu Beton.

Gerade Österreich habe eine lange Tradition des Lehmbaus, erklärt Rieger-Jandl, die auch Vorsitzende des Netzwerks Lehm ist, das sich der Förderung des Lehmbaus verschrieben hat. Was mit Lehm als Werkstoff alles möglich ist, hat die Professorin mit Kolleginnen und Kollegen im Forschungsprojekt "LeWaLas: Lehm als Werkstoff für Lärmschutzwände im System Bahn" untersucht. Dabei hat sich gezeigt, dass Lehm günstige Eigenschaften gerade für den Schallschutz mit sich bringt und man nicht immer auf Beton, Aluminium oder Glas setzen muss. Und das ist nur eine von vielen Anwendungsmöglichkeiten.

"Kein Menschenrecht"

Auch in puncto Verdichtung gebe es noch Luft nach oben, sagt Rieger-Jandl, vor allem in ländlichen Gegenden. "Das Einfamilienhaus ist kein Menschenrecht", so die Expertin. Auch auf dem Land sei Nachverdichtung wichtig und oft auch einfach umsetzbar, etwa wenn auf in die Breite gebaute Einkaufszentren ein weiterer Stock gesetzt werde. Verdichtete Bebauung bringe nicht nur ökologische, sondern auch soziale Vorteile: "Mehrgenerationenwohnhäuser mit variabel nutzbaren Gemeinschaftsflächen können die Lebensqualität erhöhen. Wenn junge Familien und ältere, alleinstehende Personen unter einem Dach wohnen und nicht jeder für sich, kann Einsamkeit vorgebeugt werden." Gerade auf dem Land sollten daher Wohnkonzepte überdacht werden.

Der größte Hemmschuh für die Umsetzung derartiger Ideen sei bislang die Politik, so Rieger-Jandl. "Bäume zu pflanzen und ein paar Quadratmeter zu entsiegeln ist nie eine schlechte Idee. Eine an Hitze leidende Stadt wird dadurch aber nicht kühler. Wenn wir Verbesserung wollen, müssen wir die Architektur generell neu denken." Deshalb gelte es, Bauvorschriften auf ihre Sinnhaftigkeit zu überprüfen. "Über bestehende Regulative haben Politiker einen großen Hebel. Bislang spiegeln Gesetze aber vor allem die Wünsche der Baubranche wider, und das ist in den meisten Fällen nicht ökologisch."

Ein Beispiel: Durch das geltende Abfallwirtschaftsgesetz ist es in Österreich verboten, den Bauaushub gleich an Ort und Stelle weiterzuverarbeiten. Wäre dies erlaubt, könnte die abgetragene Erdmasse noch an der Baustelle zu Lehm weiterverarbeitet und verbaut werden. Derzeit muss der Aushub abtransportiert und neues Baumaterial geliefert werden. Ökologisch ist dies Unsinn, das Bau- und Transportgewerbe lebt jedoch davon. "Hier ist die Politik gefordert, Gesetze so zu verändern, dass überhaupt ökologisch gebaut werden darf", meint Rieger-Jandl.

Ökologischer Sandkasten

Wie entsprechende Bestimmungen verändert werden können, um nachhaltiges Bauen zu ermöglichen, wurde im Projekt "Green Sandbox Builder" untersucht. Das Forschungsprojekt beruht auf dem Konzept der "Regulatory Sandboxes". Im Kern handelt es sich dabei um temporäre und lokale Abweichungen von bestehenden Regelungen, um Innovationen und Gesetzesänderungen – wie beim Spielen in einer Sandkiste – auszuprobieren. Was sich bewährt, kann später für die Praxis übernommen werden.

So wurde für Österreich beispielsweise eruiert, dass das Überschreiten der maximalen Gebäudehöhe eine sinnvolle Nachverdichtung befördern oder der Einsatz bislang nicht zertifizierter, aber ökologisch-nachhaltiger Baumaterialien den CO2-Ausstoß reduzieren kann. Die im Projekt ausgearbeiteten Empfehlungen – unterstützt wurde die Forschung über das Programm "Stadt der Zukunft" der Forschungsförderungsgesellschaft FFG – wurden an das Klimaschutzministerium übermittelt.

Aber kommen derartige Überlegungen bei der Politik an? "Das Interesse ist geweckt", meint die Bauforscherin. Durch Einrichtungen wie das Climate Lab sei man in den vergangenen Jahren durchaus zu politischen Entscheidungsträgern vorgestoßen. Bis sich Wohnträume ökologisch nachhaltiger verwirklichen lassen, werden aber wohl noch fünf bis zehn Jahre vergehen. Erst dann würden rechtliche Neuerungen wirklich greifen und am Bau ankommen, sagt Rieger-Jandl. (Paul M. Horntrich, 1.8.2024)


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Green SandboxBuilder - Regulatory Sandboxes im Bereich des nachhaltigen Bauen und Sanierens

Im Projekt "Green SandboxBuilder" wurde erstmals in Österreich der Bedarf an Regulatory Sandboxes für ökologisch nachhaltige und klimawirksame Vorhaben im Baubereich systematisch erhoben. Die Umsetzung von Regulatory Sandboxes im österreichischen Bausektor kann dazu beitragen, die Einführung von technologischen, prozessualen und sozialen Innovationen entscheidend zu beschleunigen und somit die Nachhaltigkeitsziele zu erreichen.

Status: abgeschlossen (April 2024)


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Mit „Stadt der Zukunft“ wird ein Programm etabliert, in dem neue Technologien, technologische (Teil-)Systeme, urbane Services und Dienstleistungen entwickelt werden sollen. Im Mittelpunkt der Betrachtung steht dabei das Gebäude, das Quartier, der Stadtteil bzw. die gesamte Stadt. Dadurch soll ein Beitrag zur urbanen Modernisierung und Entwicklung von Städten, die höchste Ressourceneffizienz mit hoher Attraktivität für BewohnerInnen und Wirtschaft verbinden, geleistet werden.


Hinweis: Das abgeschlossene Programm "Stadt der Zukunft" wird mit der Ausschreibung "Technologien und Innovationen für die Klimaneutrale Stadt" thematisch weitergeführt. Unter folgendem Link gelangen Sie zur Ausschreibung 2022: https://www.ffg.at/tiks/AS2022

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