Mittwoch, 7. August 2024

Klimaschutz: "Es gibt erstaunliche Bemühungen, Klimaschutz zu verhindern"

Zeit hier   Interview: Elena Erdmann  5. August 2024

Heizungsgesetz, Verbrenner-Aus und Energiewende: Klimaschutz wird absichtlich ausgebremst, sagt Politikwissenschaftler Dieter Plehwe. Auch von internationalen Netzwerken.


Warum geht es mit dem Klimaschutz nicht schneller voran? Auch weil die fossile Lobby Klimaschutz absichtlich verhindert, sagt der Politikwissenschaftler Dieter Plehwe, der unter anderem zu neoliberalen Thinktanks forscht.

ZEIT ONLINE: Herr Plehwe, Sie schreiben, dass Klimaschutz in Deutschland gezielt verzögert wird. Was meinen Sie damit?

Dieter Plehwe: Praktisch alle Fachleute sind sich einig, dass es Kräfte gibt, die Klimaschutz gezielt verhindern – und dass darin einer der wichtigsten Gründe liegt, warum wir bei dem Thema nicht schneller vorankommen. Zuletzt zum Beispiel beim Heizungsgesetz oder beim Verbrenner-Aus. Sehr deutlich war diese Verzögerung außerdem beim Erneuerbare-Energien-Gesetz, das seit Jahrzehnten vehement bekämpft wurde – und wodurch die Energiewende in Deutschland erheblich verzögert wurde. 

ZEIT ONLINE: Und wer steckt Ihrer Ansicht nach dahinter, solche Klimaschutzmaßnahmen absichtlich zu verzögern? 

Plehwe: Grundsätzlich stecken dahinter wirtschaftliche Interessen, zum Beispiel von Konzernen aus der Energie- und Automobilbranche. Es gibt aber eine ganze Reihe von Verbänden, Thinktanks und sogar Politikern, die daran beteiligt sind. Sie alle versuchen, Klimapolitik in eine industriefreundliche Richtung zu lenken.

ZEIT ONLINE: Das sind schwere Vorwürfe. Woher nehmen Sie die Gewissheit, das zu sagen? 

Plehwe: Ich erforsche seit einem guten Jahrzehnt die politiknahe Forschung und Beratung durch Thinktanks, die oft von Unternehmen und Stiftungen finanziert werden. Dabei arbeite ich häufig mit Kolleginnen und Kollegen aus NGOs zusammen und mit Investigativjournalisten. Der von mir mitgegründete Transparenzverein LobbyControl hat zuletzt anhand von Aktivitäten der Erdgasbranche aufgezeigt, wie der Ausstieg aus den fossilen Industrien verschleppt wird. 

ZEIT ONLINE: Eines der Beispiele, die Sie gerade genannt haben, war das Heizungsgesetz. Wo sehen Sie dabei Lobbyverstrickungen?

Dieter Plehwe
ist Politikwissenschaftler am Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung und Gründer des gemeinnützigen Vereins LobbyControl, dessen Ziel es ist, über Lobbyismus aufzuklären. Zuletzt erschien das Buch Climate Obstructionism across Europe, an dessen deutschen Kapitel Plehwe beteiligt war.

Plehwe: Zum Beispiel war der FDP-Bundestagsabgeordnete Frank Schäffler einer der Politiker, die das Heizungsgesetz im vergangenen Jahr in letzter Sekunde torpediert haben. Auffällig bei ihm ist: Er hat sehr enge Verbindungen zu neoliberalen Thinktanks – und sogar selbst einen gegründet, nämlich das Prometheus-Institut.

ZEIT ONLINE: Laut eigener Beschreibung steht dieses Institut für eine offene und freiheitliche Gesellschaft ein. Was soll daran problematisch sein?

Plehwe: Das Prometheus-Institut hat im vergangenen Jahr 250.000 US-Dollar von der Templeton-Stiftung erhalten, die als Finanzquelle für Klimawandelleugner bekannt ist. Und es ist eines von vielen Instituten und Thinktanks, die weltweit eng zusammenarbeiten und häufig daran beteiligt sind, Klimaschutzmaßnahmen zu verzögern oder sogar zu verhindern: Es gehört zum Atlas-Netzwerk, das in den Achtzigerjahren in den USA gegründet wurde, um neoliberale Thinktanks auf der ganzen Welt zu unterstützen. Manche davon leugnen den Klimawandel komplett. Andere, wie in Deutschland eben das Prometheus-Institut oder auch die Hayek-Gesellschaft, setzen sich offiziell nur dafür ein, staatliche Lenkung oder Regulierung zu verhindern. Auch das Centrum für Europäische Politik in Freiburg, das ebenfalls zu den Partnern des Atlas-Netzwerkes gehört, beurteilt die meisten umwelt- und klimapolitischen Maßnahmen der EU kritisch. Lediglich das besonders marktfreundliche Emissionshandelssystem erfährt Unterstützung.

ZEIT ONLINE: Sie sprechen die Hayek-Gesellschaft an. Die hat vor Kurzem für Aufmerksamkeit gesorgt, weil sie einen Preis an den argentinischen Präsidenten Javier Milei vergeben hat.

Plehwe: Der Besuch in Hamburg war Teil einer Reise durch Europa, auf der Milei gleich drei Preise von neoliberalen Thinktanks im Atlas-Verbund erhalten hat, nicht nur in Deutschland sondern auch in Spanien und Tschechien.

ZEIT ONLINE: Laut Recherchen des britischen Guardian unterstützt das Atlas-Netzwerk nicht nur Milei, sondern rechtspopulistische Politiker auf der ganzen Welt. Wie zentral ist das Thema Klimawandel im Zusammenhang mit dem internationalen Aufstieg rechtspopulistischer Parteien? 

Plehwe: Die neuen rechten Parteien verhalten sich nicht einheitlich, was die Fragen der Erderwärmung und der Klimapolitik anbelangt. Der ehemalige brasilianische Präsident Bolsonaro gehört ebenso wie die AfD zur Gruppe der Klimawandelleugner, während der gerade wiedergewählte indische Präsident Narendra Modi zur Gruppe der Bremser gehört. Die indische Regierung leugnet den Klimawandel nicht. Sie unterstützt die Ziele von Paris, aber die erforderlichen Maßnahmen etwa beim Kohleausstieg werden trotzdem verschleppt.


"Die AfD lädt Klimawandelleugner als Experten in den Bundestag ein"


ZEIT ONLINE: Welche Rolle spielt das Thema Klimawandelleugnung in Deutschland?

Plehwe: In Deutschland war das lange kein Thema. Wichtiger sind hier moderatere marktliberale Motive. Offiziell sprechen sich die Parteien mit Ausnahme der AfD für Klimaschutz und für die Pariser Ziele aus – aber in der Praxis gibt es dann eben doch erstaunliche Bemühungen, Klimaschutz zu verhindern.

ZEIT ONLINE: Sie sagen: Klimawandelleugnung war lange kein Thema – hat sich das geändert?

Plehwe: Ja, mit dem Aufstieg der AfD. Schon davor gab es Thinktanks wie Eike, die den menschengemachten Klimawandel bestreiten, aber damals war das nur eine Randerscheinung. Jetzt vertritt die AfD offiziell als Partei die Position der Klimawandelleugner. Und lädt sogar Klimawandelleugner als vermeintliche Experten in den Bundestag ein. 

ZEIT ONLINE: Welche Rolle spielt das Eike-Institut? 

Plehwe: Das Eike-Institut ist interessant, weil es europaweit das Klimaleugner-Institut mit dem größten Output ist. Es arbeitet sehr eng mit dem amerikanischen Heartland Institute zusammen, das ebenfalls zu den Atlas-Partnern gehört und am stärksten gegen die Klimapolitik interveniert. Auf den Konferenzen von diesen beiden Thinktanks sprechen immer wieder dieselben Leute, zum Beispiel Marc Morano oder Willie Soon. Auch Fritz Vahrenholt, Autor des Buchs Die kalte Sonne, ist ein beliebter Experte sowohl beim Heartland Institute als auch bei Eike. Viele der vermeintlichen Fachleute dort sind ehemalige Naturwissenschaftler, die aber nicht aus der Klimawissenschaft kommen, sondern aus anderen Disziplinen.

ZEIT ONLINE: Wie finanzieren sie ihre Aktivitäten? 

Plehwe: Für deutsche Organisationen wie Eike wissen wir es nicht genau, weil zivilgesellschaftliche Organisationen hier keine Informationen über ihre Finanzierung herausgeben müssen. Das ist eines der größten Probleme, wenn man diese Lobbyverstrickungen erforschen will. Was wir aber wissen: Gründer von Eike ist Holger Thuß, ein ehemaliger CDU-Mann, der auch die europäischen und deutschen Ableger von CFact gegründet hat. Das ist eine amerikanische Organisation, die sich stark gegen Umweltorganisationen wie Greenpeace ausgesprochen hat. Und die in der Vergangenheit sehr viel Geld vom Mineralölkonzern ExxonMobil bekommen hat.

ZEIT ONLINE: Woher wissen Sie das? 

Plehwe: In den USA kann man solche Geldflüsse leichter nachvollziehen, weil die Zivilgesellschaft dort in öffentlichen Steuerunterlagen offenlegen muss, von wem sie Geld erhalten hat. Und Stiftungen müssen in diesen Unterlagen mitteilen, an wen sie Geld vergeben.

ZEIT ONLINE: Finanzieren Konzerne wie Exxon heute immer noch solche Organisationen?

Plehwe: Nachdem bekannt wurde, dass Exxon in großem Stil Klimawandelleugner bezahlt hat, hat sich der Konzern aus der direkten Finanzierung zurückgezogen. Stattdessen wurde zum Beispiel der DonorsTrust geschaffen. Das ist ein Fonds, in den Konzerne Geld einzahlen können. Der DonorsTrust gibt das Geld dann weiter, zum Beispiel an das Heartland Institute. Dadurch ist es schwieriger geworden, nachzuweisen, woher das Geld kommt. Man könnte sagen: Es ist eine Verschleierungstaktik.

ZEIT ONLINE: Gehen wir einmal zum nächsten Beispiel: Wo sehen Sie absichtliche Verzögerung beim Verbrenner-Aus?

Plehwe: Deutschland hat sich auf EU-Ebene sehr stark gegen das Verbrenner-Aus eingesetzt. Und Deutschland hat natürlich eine starke Automobilindustrie. Die NGO InfluenceMap untersucht sehr detailliert die Lobbypositionen der Konzerne, die für die meisten Emissionen verantwortlich sind. Dabei ist auffällig, dass sich die Automobilkonzerne selbst oft klimafreundlich präsentieren, dafür aber die Verbände eine sehr harte Linie vertreten. Zum Beispiel vertritt VW sehr viel mehr Paris-kompatiblere Lobbypositionen als der Verband der deutschen Automobilindustrie. 

ZEIT ONLINE: Wie erklären Sie sich das?  

Plehwe: Die Konzerne sind von ihren Investoren abhängig, die es möglicherweise verurteilen, wenn sie Klimaschutz verzögern. Insofern ist es eine Art Arbeitsteilung. Die Frage ist nur, wie konsequent ihre Position ist, wenn sie gleichzeitig Verbände mitfinanzieren, die etwas anderes vertreten. 

ZEIT ONLINE: Und wie war es beim Erneuerbare-Energien-Gesetz? 

Plehwe: Das Erneuerbare-Energien-Gesetz wurde 2000 beschlossen, um die Energiewende zu beschleunigen. Darin wurden feste Preise für Strom aus den Erneuerbaren garantiert – die sogenannte Einspeisevergütung. So wollte man sicherstellen, dass sich die Investition in Wind- und Solaranlagen auch langfristig lohnt. Wenn der Preis für Strom an der Börse dann niedriger lag, haben die Produzenten die Differenz ausgezahlt bekommen. Finanziert wurde das wiederum durch die EEG-Umlage, die alle Stromverbraucher zahlen mussten. In der frühen Phase des Gesetzes war das tatsächlich sehr erfolgreich, die Erneuerbaren wurden sehr schnell ausgebaut, und gerade in der Solarwirtschaft gab es große Profite.

ZEIT ONLINE: Und wie wurde dieses Gesetz bekämpft? 

Plehwe: Es gab immer wieder Versuche, das Gesetz ganz abzuschaffen, das hat aber nicht geklappt. Stattdessen wurde dafür gesorgt, dass immer mehr Unternehmen von der Umlagefinanzierung ausgenommen wurden – und die Endverbraucher und übrigen Unternehmen mehr zahlen mussten. Später wurde dann erst die Einspeisevergütung gesenkt und anschließend komplett durch einen bundesweiten Ausschreibungsprozess ersetzt. Und tatsächlich ist dadurch der Ausbau der Erneuerbaren sehr stark eingebrochen.


"Viele Politiker wechseln nach ihrer Amtszeit
zur fossilen Industrie"


ZEIT ONLINE: Aber war das nicht vielleicht auch einfach ein normaler politischer Prozess? Wo sehen Sie dabei eine Einflussnahme? 

Plehwe: Was ist schon ein normaler politischer Prozess? Es ist natürlich schwer, hart nachzuweisen, wo dabei welche politische Beeinflussung durch Lobbyinteressen stattgefunden hat. Es gibt aber durchaus einige auffällige Akteure dabei. Zum Beispiel hat das Leibniz-Institut für Wirtschaftsforschung (RWI) und dort vor allem der Ökonom Manuel Frondel in dieser Zeit mehrere Studien veröffentlicht, die angebliche Probleme der Einspeisevergütung aufzeigen. Das RWI und verschiedene weitere Institute, darunter das Institut der deutschen Wirtschaft, setzten sich vehement für die Abschaffung der Einspeisevergütung ein und für das sogenannte Quotenmodell, das angeblich viel besser sei als die Einspeisevergütung, wofür es keine Belege gab. Als die Einspeisevergütung 2014 zugunsten des Ausschreibungsmodells abgeschafft wurde, setzte sich niemand für das Quotenmodell ein. Das zeigt: Es ging lediglich um die Abschaffung der Einspeisevergütung. Solche Studien haben natürlich häufig einen entscheidenden Einfluss auf Gesetze, die anschließend beschlossen werden.


ZEIT ONLINE: Das allein ist ja noch kein Zeichen dafür, dass hier absichtlich der Klimaschutz verzögert wurde. 

Plehwe: Richtig. Aber ganz konkret wurde zum Beispiel eine dieser Studien, bei der es um die Kosten der Energiewende ging, durch das Amerikanische Institute for Energy Research beauftragt. Und das ist dann doch auffällig: Denn dieses Institut wurde unter anderem von der Koch-Familie finanziert, einer Industriellenfamilie, die durch Öl, Gas und Chemie reich geworden ist. Und die dafür bekannt ist, mit Spenden Klimawandelleugner finanziert zu haben.

ZEIT ONLINE: Und warum gibt ein amerikanisches Institut Studien zur Energiewende in Deutschland in Auftrag?

Plehwe: Das war 2008/09 während der ersten Obama-Präsidentschaft, als die erneuerbaren Energien gerade sehr schnell ausgebaut wurden – und offenbar wollte das Institute for Energy Research genau das verhindern. Deswegen wurden damals gleich drei Studien bestellt, um den Ausbau zu bremsen. Und zwar in Ländern, in denen ein sehr erfolgreicher Ausbau der Erneuerbaren stattfand: Deutschland, Spanien und Dänemark.
ZEIT ONLINE: Was waren das genau für Studien? 

Plehwe: Gerade in der Finanzkrise war das Argument wichtig, dass man durch die Energiewende Arbeitsplätze schafft. Genau dieses Argument haben diese Studien angegriffen: Bei der deutschen Studie ging es zum Beispiel um die hohen Kosten der Energiewende. Danach wurde die spanische Studie sogar noch einmal in Italien durchgeführt – und zwar vom italienischen Bruno-Leoni-Institut, das ebenfalls Teil des Atlas-Netzwerkes ist und mit dem das Prometheus-Institut inzwischen im Rahmen des europäischen Epicenter-Netzwerkes zusammenarbeitet. Dabei gab es zu dem Zeitpunkt schon viel Kritik an der Methodik. Deren Ergebnis war, dass die erneuerbaren Energien sogar mehr Arbeitsplätze zerstören als schaffen könnten.

ZEIT ONLINE: Sie haben gesagt, auch Politiker sind an den Verzögerungsstrategien beteiligt. Gibt es da Beispiele? 

Plehwe: Auch das lässt sich sehr schwer ganz konkret nachweisen. Aber es gibt doch immer wieder auffällige Verbindungen. Viele Politiker wechseln nach ihrer Amtszeit zur fossilen Industrie – die sogenannten Revolving Doors, also Drehtüren zu den großen Konzernen und Wirtschaftsverbänden. Das prominenteste Beispiel ist da sicherlich der ehemalige Bundeskanzler Gerhard Schröder, der zu Gazprom gewechselt ist. Aber es gibt noch viele andere Seitenwechsler. Matthias Wissmann von der CDU war erst Minister, unter anderem Bundesminister für Verkehr, und ist dann zum Verband der Automobilindustrie gegangen. Dorthin hat auch der ehemalige Büroleiter von Renate Künast, Andreas Rade von den Grünen, gewechselt. Der ehemalige Staatsminister des Kanzleramts Eckart von Klaeden von der CDU ist zu Daimler gegangen.

ZEIT ONLINE: Sie haben gerade ein Buch zu dem Thema geschrieben, zusammen mit Kollegen aus anderen europäischen Ländern. Welche Beispiele aus anderen Ländern waren besonders auffällig? 

Plehwe: Besonders krass ist es in Osteuropa, in Polen kann man fast nicht trennen zwischen den Positionen von Firmen im Staatsbesitz und der Regierungspolitik. Das könnte sich durch die neue Regierung etwas verändern, aber das muss sich noch zeigen. In Italien ist dieses Bruno-Leoni-Institut ein wichtiger Berater für die Regierung. Die Niederlande sind sehr interessant, weil Shell dort eine unglaublich starke Position in der Politik hat. Die Drehtüren reichen dort fast in alle Parteien, außer der Linken. Und wir haben zu befürchten, dass ihr Einfluss unter der neuen Regierung sogar noch größer wird, da wurden schon jetzt Gesetze geändert, um zum Beispiel wieder Gasbohrungen in der Nordsee aufzunehmen.

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen