Eine etwas andere Sicht auf die Energiewende : "Klima ist nicht mehr Greta Thunberg und Ideologie, Klima ist Kapitalismus". Man sollte sich dringend damit auseinander setzen, ich finde es durchaus nachvollziehbar und auch befreiend: Wenn 5000 Super- Windräder ausreichen würden, um die vorhandenen 31.000 + Mehrbedarf zu ersetzen, welche Verbesserung!
Jetzt geht es um den Netzausbau und Speicherkapazitäten.
Focus hier FOCUS-online-Top-Experte Anders Indset, 07.08.2024,Deutschlands großes Problem ist, dass Strom bald viel zu günstig sein wird
Die Sonne hat gewonnen: Seit Jahren lässt sich eine exponentielle Entwicklung bei den Erneuerbaren Energien beobachten. Doch deutsche Entscheidungsträger wissen kaum, wozu neue Technologien schon heute in der Lage sind. Das könnte sich rächen, schreibt Experte Anders Indset.
Deutschland ergrünt – sei es durch gute politische Maßnahmen oder als kurzfristiger positiver Effekt des Klimawandels, sei dahingestellt. Überall sieht man derzeit feuchte Böden, grüne Bäume und viel Wasser. Unser Garten gleicht in diesem Sommer eher einem entfernten Regenwald.
Wurden zuvor 55 bis 60 Prozent des gesamten Erdgasbedarfs aus Russland importiert, so konnte innerhalb von acht Monaten der komplette Ausfall der zuvor „unersetzlichen“ Gaslieferungen aus Russland kompensiert werden. Alternative Energiequellen wurden erschlossen, die Energieeffizienz gesteigert und es wurde sogar in Infrastruktur investiert, wie etwa in Terminals für den Import von Flüssigerdgas (LNG). Dass es sinnvoll sei, auch in Speicher-Kapazitäten zu investieren, wurde plötzlich klar, als der kostengünstige Nachbar nicht mehr für einen unendlichen Gasfluss sorgen konnte. Vom vermeintlichen „kein Handlungsbedarf“ zum Krisenmodus.
Über den ExpertenAnders Indset ist mehrfacher Bestsellerautor und Deep-Tech-Investor. Der gebürtige Norweger ist Inhaber der Njordis Group, des Global Institute of Leadership & Technology (GILT) und Initiator der Quantum Economy Alliance. Er wurde von den Thinkers 50 als einer der zukünftig einflussreichsten Denker in den Bereichen Führung und Wirtschaft anerkannt. Zu seinen Publikationen gehören: „Wikinger Kodex – Warum Norweger so erfolgreich sind“, „Das infizierte Denken“, „Quantenwirtschaft – Was kommt nach der Digitalisierung?“ und „Wildes Wissen“. Indset war außerdem als Leistungssportler aktiv und spielte in der norwegischen Handballnationalmannschaft.
Betrachtet man jedoch nachträglich ‚die Krise‘, so offenbart sie ein mangelndes Verständnis für das Potenzial der Technologie. Sogar mit Olaf Scholz' „Deutschland-Geschwindigkeit“ konnten niedrige Gaspreise und volle Speicher erreicht werden – und das nur wenige Monate nach dem „Krisenausbruch“. Anfang dieses Monats liegt der Füllstand bei 89 Prozent. Das sind etwa 17 Prozentpunkte über dem Durchschnitt der Jahre 2017 bis 2021!
Die grüne Wende ist schon da
Dabei haben wir doch erst aus Medien und Talkshows alles über die große Energiekrise gelernt? Erst vor wenigen Monaten schrieb ein führendes Wirtschaftsmedium: „Deutschland muss bis Ende 2029 täglich sechs Windräder bauen.“ Und Experten erklärten, warum gewisse Ziele kaum zu erreichen seien.
Diese Woche wurden die aktuellen Zahlen für die erste Jahreshälfte 2024 veröffentlicht. Erstmals wurde in der Europäischen Union weit mehr Strom durch Wind- und Solarenergie erzeugt als durch fossile Brennstoffe, und Deutschland führt die EU an – 21 Prozent mehr Sonnenenergie, neun Prozent mehr Windenergie gegenüber dem Vorjahr. Mit fast 60 Prozent des gesamten Strommixes wurde 2023 wie nie zuvor Strom „nachhaltig“ produziert. Die Menge an Strom, der aus fossilen Energieträgern gewonnen wird, sank auf das Niveau der 1960er-Jahre ab.
Auf Klima-, Tech- und Leadership-Konferenzen frage ich die Gäste gerne nach ihrer Einschätzung, wie es in Deutschland um den Fortschritt beim Energieumbau bestellt ist. Ich beziehe mich auf eine Studie, die eine Hochrechnung auf etwa 40.000 Windräder auf dem Land anstellt, um alle Privathaushalte mit Energie zu versorgen. Die Optimisten schätzen, dass es lediglich bis zu 5000 Windräder braucht. Aber in Deutschland stehen bereits 31.000 Windräder auf dem Land!
Wir brauchen gar nicht mehr Windräder
1991 löste das Stromeinspeisungsgesetz eine kraftvolle Ausbauwelle aus. Deutschland stieg zur Weltspitze in Sachen Windkraft auf, und bereits nach sechs Jahren, also 1997, waren mehr als 5000 Anlagen in Betrieb. Wenig überraschend hat sich die Technologie seit 1990 weiterentwickelt. Obwohl moderne Windräder mehr Platz benötigen, sind sie erheblich leistungsstärker als frühere Generationen. Die Branchenkenner Hans-Josef Fell und Thure Traber schlussfolgern in einem Gastbeitrag für Klimareporter: „Wir brauchen keine weiteren Flächen und Windparks, wir müssen nur die vorhandenen ersetzen.“
Nicht die Zahl der Windanlagen ist also das Problem, sondern ihr Alter - also ihr technologischer Zustand und die damit verbundenen Speicher- und Distributionsmöglichkeiten. Laut Traber und Fell müssten bei einer vollständigen Versorgung Deutschlands mit 100 Prozent erneuerbaren Energien in allen Energiesektoren – Strom, Wärme, Verkehr, Industrie – bis 2030 etwa 24.000 Windkraftanlagen installiert sein. Auch wenn die neuen mehr Platz fordern, fragt man sich dann: Können wir zukünftig sogar welche abbauen?
Ob durch Reaktion oder Reflektion, in diesen Tagen gibt es durchaus positive Nachrichten, die Politiker erzählen könnten. Dabei droht eine andere Gefahr: Deutschland hat weder ein Flächen- noch ein unlösbares Technologieproblem, sondern eines der Umsetzung und des Verständnisses.
„Die Sonne hat gewonnen“
Zwar trägt Windenergie maßgeblich zum Energiemix bei, aber wie es der Geschäftsführer eines großen Solarbetreibers treffend formulierte: „Die Sonne hat gewonnen. Sie ist da und gibt uns das 10.000-Fache an Energie, was benötigt wird. Wir müssen sie nur umsetzen.“ Dieses „Umsetzen“ bedeutet nun, die Energie zu speichern und zu verteilen. Seit Jahren lässt sich eine exponentielle Entwicklung bei den erneuerbaren Energien beobachten. Die Kosten für Herstellung und Teile für Photovoltaik sanken um 90 Prozent während der letzten 15 Jahre. Ein Problem ist jedoch die Abhängigkeit von China, das aktuell 60 Prozent der globalen Verarbeitung und Raffinerie von seltenen Erden kontrolliert.
Fortlaufend werden wir mit Studien konfrontiert, die erklären wollen, was alles nicht geht und was falsch oder richtig ist. Millionen schalten Talkshows ein und lassen sich von ihren Lieblings-Experten komplizierte Weltthemen in einfache Zitate zerlegen. Ein halbes Jahr später kommt es dann doch ganz anders. Sogar bei dem Mangel an seltenen Erden und Grundstoffen feiert „plötzlich“ Europa. Eine Million Tonnen an Seltenerdoxiden Schweden könnte Europas China-Abhängigkeit verringern">wurden in der Nähe von Kiruna, Schweden, gefunden. Im Juni dieses Jahres wurden dann geschätzte 8,8 Millionen weitere Tonnen seltener Erden in Telemark, Norwegen, entdeckt. Laut Berichten soll dies allein zehn Prozent des Gesamtbedarfs der EU bis 2030 abdecken.
Deutsche Entscheider wissen nicht genug
Ein großes Problem in Deutschland ist, dass wir viele Experten haben, doch viele Entscheider wissen weder, wo wir heute stehen, noch, was neue Technologien bereits leisten können. Währenddessen treibt China selbst eine wissenschaftliche und technologische „Akku-Revolution“ voran. Natrium statt Lithium ist nur einer der Trends, und die Batterieproduktion könnte möglicherweise in naher Zukunft sogar ohne seltene Mineralien auskommen.
Doch statt den Blick dorthin zu richten, wo ‘gezukunftet’ wird, diskutiert Deutschland sogar wieder über Atomkraftwerke. Hätten wir sie, wären sie sicherlich ein guter und wichtiger Teil des Energiemixes, um die Wettbewerbsfähigkeit aktuell zu sichern. Aber Neubau? Der Reaktor-Neubau im benachbarten französischen Flamanville begann 2007 und soll dieses Jahr in Betrieb gehen – zwölf Jahre später als ursprünglich geplant. Mit der aktuellen „Deutschlandgeschwindigkeit“ würde es wohl kaum schneller gehen.
Das Problem der Kernkraft ist nicht die Sicherheit oder die Frage, wo, ob oder wie sie eingesetzt werden sollte, sondern schlicht – und dies trifft auch auf andere Energieformen zu – dass sie in 15 bis 20 Jahren nicht mehr wettbewerbsfähig sein wird.
Energie zum Nulltarif
Mein Vater holte mich letzte Woche am Flughafen in Røros, Norwegen, ab. Stolz zeigte er mir sein neues E-Auto. „Man kann sogar mit dem Auto sprechen“, fügte er hinzu. „Und das Beste: Ich habe, seitdem ich das Auto besitze, nicht einmal fürs Laden gezahlt!“
Der Grund: Røros hat seit Monaten am Wochenende einen negativen Spotpreis pro Kilowattstunde (kWh). Vereinfacht ausgedrückt: Die Energie gibt es in meiner alten Heimat zum Minuspreis (ausgenommen Steuern und Netzgebühren). Røros, mit nur 3500 Einwohnern an der Grenze zu Schweden, hat jedoch keine idealen Bedingungen für Solar- und Windenergie, da es im Winter sehr wenig Sonne gibt und die Rentiere der Urbevölkerung geschützt werden sollen. Der günstige Strom kommt also teilweise auch von anderswo.
Deutscher Strom in Norwegen
„Sie können in Europa die ganze Wind- und Sonnenenergie nicht nutzen“, erklärt mein Vater, der sich beim lokalen Energieversorger informiert hat. Online auf die Minute einsehbar zeigt der Energiemix ironischerweise, dass ein Teil des regionalen Stroms aus Windenergie aus Schleswig-Holstein stammt. Die Überproduktion an Offshore-Windenergie in Norddeutschland wird also nach Norwegen transportiert, anstatt in den Süden Deutschlands, weil dort die Infrastruktur fehlt – und das zum Minuspreis! Ab 10 Uhr rutscht der Strompreis unter 0 Euro, mit einem Tiefpunkt von minus 6 Cent pro kWh zwischen 14 und 15 Uhr, so die App.
Am Wochenende lese ich dann eine – auch in Norwegen – typische Medien-Headline anno 2024: „Die große Enttäuschung über das Solardach.“ Die intuitive Reaktion vieler Menschen wäre nun wohl: „Ha, wusste ich es doch!“. Im Artikel folgt dann aber die eigentliche Nachricht: Die neuen Photovoltaikanlagen sind „zu“ effektiv. Der lokale Energieversorger hatte angeboten, die Überkapazität ins Netz zu speichern und den Kunden im Winter günstigen Strom zurückzugeben. Mit einem extrem sonnigen Mai ging die Rechnung für den Energieversorger jedoch nicht auf.
Daimler plant durch Milliarden-Investitionen in Wind und vor allem Sonne bereits in zehn Jahren die Gesamtproduktion und den Betrieb durch eigene Energieerzeugung abzudecken. Was ist, wenn plötzlich in zehn Jahren Einzelhandelskonzerne oder Industrieunternehmen wie Automobilhersteller Überkapazitäten haben? Wohin geht diese Energie? Zu den Mitarbeitern? Zu den Einwohnern aus der Region? Zu den Kunden? Die weitere Herausforderung, die aus der fortschreitenden Dezentralisierung der Stromversorgung entstehen wird, wird nicht technologisch, sondern politisch sein. So entsteht ein neues Problem, das dazu führen könnte, dass die Grundlage für große Energieversorger wegfällt – zugunsten dezentraler Lösungen.
Hype, Ernüchterung, Wilder Westen
Ein anschauliches Bild für das wirkliche Problem ergibt sich bei einem Blick auf die jährliche Klimakonferenz. Waren bei der COP26 im Jahr 2021 in Glasgow noch 25.000 Teilnehmer, so kamen 2022 nach Sharm el-Sheikh 40.000. In Dubai bei der COP28 waren es vergangenes Jahr schon 85.000. Eine etwaige Verdoppelung der Teilnehmerzahlen pro Jahr, ebenso wie die Investitionen pro Kopf. Fortschritte in der Technologie, Durchbrüche in der Wissenschaft, eine Reduktion der Produktionskosten sowie politische Maßnahmen zum Abbau von Bürokratie für beschleunigte Genehmigungen gehen damit international einher.
Auch wenn diese Zahlen nicht absolut sind, ergeben sie ein eindeutiges Bild: Die Geschwindigkeit steigt. Nach Angaben der Internationalen Energieagentur (IEA) sind etwa die Batteriekosten in weniger als 15 Jahren um 90 Prozent gesunken, und bis 2030 wird ein weiterer Preisrückgang von 40 Prozent erwartet.
Das Gesetz der exponentiellen Beschleunigung zeigt ein konstantes Muster: Hype, Ernüchterung, Wilder Westen durch plötzlichen Fortschritt und Durchbrüche. Dennoch lassen wir uns immer wieder von diesem alten Muster überraschen.
Klima ist Kapitalismus
Denn Klima ist nicht mehr Greta Thunberg und Ideologie, Klima ist Kapitalismus. Es geht um Wirtschaft und Wettbewerbsfähigkeit. Deutschland und Europa leiden unter einem reaktiven und zum Teil reaktionären Kapitalismus, der sich auf Studien und Expertentum der Vergangenheit richtet. Die ewige Suche nach der perfekten Antwort auf die falsche Frage.
Verstehen Sie mich nicht falsch, es geht um Bewusstseinswandel und den Umgang mit unserer Umgebung, aber in zehn Jahren wird das Wort „Nachhaltigkeit“ zunehmend aus unserem Vokabular verschwinden. Es geht um (Ressourcen-)Effizienz. China und die Vereinigten Arabischen Emirate investieren Billionen in eine grüne Zukunft. Nicht aufgrund ihrer Werte und Ideologien, sondern weil sie schlicht verstehen, dass Öl und Gas bald nicht mehr wettbewerbsfähig sein werden. Sobald es gelingt, die Sonne zu speichern und zu verteilen, folgen extrem niedrige Energiekosten. Ein Klimaziel, ja, aber primär ein Wettbewerbsvorteil für diese Regionen, was wiederum – Stand heute – einen Wettbewerbsnachteil für Deutschland bedeuten würde.
Technologie statt Ideologie
Weil die Entwicklung des globalen Energieumbaus derart voranschreitet, muss Deutschland aufpassen, dass es den Anschluss nicht verliert – und weg von einer politisch-idealistischen Energiepolitik hin zu einer technologisch-kapitalistischen. Für die Politik bedeutet das: Rahmenbedingungen und Anreize schaffen, statt Regulierung und Auflagen.
Während der Energiebedarf in den nächsten drei bis fünf Jahren rapide steigt, greifen auch beim Ausbau, der Speicherung und Verteilung die Überraschungseffekte der exponentiellen Entwicklung. Schafft Deutschland keinen Kapitalismus, der nicht nur reagiert, sondern die Zukunft antizipiert, werden die Folgen entsprechend dramatisch sein: Sinkt anderswo der Energiepreis drastisch, in Deutschland aber nicht, dann könnten hierzulande ganze Industrien in die Knie gezwungen werden, da der Markt destabilisiert und die Kostenstrukturen vieler Unternehmen durcheinandergebracht würden.
Als „Technologie-Utopist“ wurde ich jüngst bezeichnet. Meine Thesen seien provokant und steil. Ich antworte darauf gerne nüchtern mit meiner Sichtweise, dass eine Stagnation oder gar eine Rückwärtsentwicklung in Technologie und Wissenschaft eher eine steile These wäre. Eine Umstellung auf neue technologische Energieformen wie Sonne und Wind ist keine ideologische Maßnahme für den Klimawandel, sondern die Grundlage für unternehmerische Existenz und die zukünftige Wettbewerbsfähigkeit Deutschlands.
In einem Jahrzehnt werden dezentrale Strukturen, technologischer und wissenschaftlicher Fortschritt sowie die Effekte eines massiven Ausbaus die Grenzkosten für Energie gegen Null treiben. Das große Risiko für Deutschland könnte tatsächlich sein, dass die Energiepreise global schnell zu niedrig werden – denn Ökologie ist Ökonomie.
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