Samstag, 10. August 2024

Daueraufreger "Radwege in Peru"

Frau Schulz mag recht haben - aber genehmigt hat das Projekt - Überraschung! - ihr Vorgänger Müller von der CSU....Kein Grund für manch konservativen Politiker, nicht trotzdem auf den polemisch übersteuerten Zug aufzuspringen.

 hier  Christoph Höland 07.08.2024

„Frau Schulze hat recht“

Warum Deutschland in Peru Radwege finanziert – und die Wirtschaft das verteidigt

links: Mimikama Faktencheck hier

Seit Monaten hagelt es Kritik, weil das deutsche Entwicklungsministerium Radwege in Peru finanziert. Doch die Projektverantwortlichen bekommen Unterstützung aus der Wirtschaft: Die Entwicklungszusammenarbeit spiele für Exportunternehmen eine wichtige Rolle, sagte Außenhandelspräsident Dirk Jandura.

Wer zur deutschen Förderung von Radwegen in Peru recherchiert, erlebt das Entwicklungsministerium (BMZ) bei der Vorwärtsverteidigung: Binnen Stunden wird eine Videoschalte eingefädelt. „Gerade für dieses Projekt spricht doch so viel“, wundert sich im Call dann die zuständige Mitarbeiterin. Wie ihr ganzes Haus ringt sie damit, dass sich an dem Projekt eine Debatte über Entwicklungs­zusammenarbeit entzündet hat.

Angefangen hat es im vergangenen November, als eine AfD-Politikerin behauptete, Deutschland fördere Radwege in Lima mit insgesamt 315 Millionen Euro. Einige Medien übernahmen das, obgleich sich die Zahl als falsch entpuppte: Für Radwege flössen insgesamt 44 Millionen Euro als Zuschuss, weitere 155 Millionen Euro seien rückzahlbare Darlehen für andere Verkehrsprojekte in Lima, erklärte das BMZ prompt.

Das Radwege-Projekt brachte ausgerechnet ein CSU-Politiker auf

Doch die Kritik bleibt: Während der Bauernproteste im Januar monierte CSU-Generalsekretär Martin Huber, es werde Geld für Radwege in Peru, „aber nicht für unsere Bauern“, ausgegeben. In sozialen Medien und Kommentarspalten avancierten die Radwege zum Dauerbrenner, auf Fake-News-Seiten im Internet sowieso. „Wir können nicht mehr jeden Radweg in Peru mit dem Geld der deutschen Steuerzahler bezahlen“, erklärte selbst Finanzminister Christian Lindner gegenüber dem ZDF – und sein Fraktionschef Christian Dürr erneuerte erst unlängst die Forderung, weiter bei der Entwicklungshilfe zu sparen.

Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter im BMZ halten dagegen. Weil die 44 Millionen Euro einen eher kleinen Teil der in diesem Jahr 11,2 Milliarden Euro kostenden Arbeit des Ministeriums ausmachten. Weil Deutschland schon vor 15 Jahren versprochen habe, ärmere Länder bei der Senkung von CO₂‑Emissionen zu unterstützen. Und weil ausgerechnet ein CSU-Politiker, Ex‑Entwicklungsminister Gerd Müller, das Radwege-Projekt in Peru seinerzeit auf den Weg gebracht habe.

Doch vor allem ist man im BMZ vom Nutzen überzeugt. Lima sei die Stauhauptstadt Südamerikas, „in der Stoßzeit steht man, und dann steht man wirklich“, erzählt die Mitarbeiterin, die gerade erst vor Ort war. Seit etwa zehn Jahren wachse aber das Interesse an nachhaltiger Stadt- und Verkehrsplanung, aktuell würden deshalb auch eine Metrolinie und neue Schnellbusverbindungen geplant. Für die milliardenschweren Vorhaben ist Peru – pro Kopf beträgt das Bruttoinlandsprodukt etwa ein Siebtel des Deutschen – ebenfalls auf internationale Geldgeber angewiesen.

Die Radwege sind dabei ein kleines, aber nicht unwichtiges Puzzlestück: „Im Kern geht es darum, innerhalb Limas Stadtteile, Geschäfte, Universitäten und Schulen miteinander zu verknüpfen und an den bestehenden ÖPNV und die neu geplante Metrolinie anzubinden“, erzählt die Ministeriale. Ausdrücklich ziele das weniger auf Radsportlerinnen und Radsportler als auf ärmere Menschen ab, welche sich häufig weder Auto noch ÖPNV leisten könnten.

Und die BMZ-Mitarbeiterin betont, dass die Initiative von den Partnern vor Ort ausging, wie es in der deutschen Entwicklungszusammenarbeit mittlerweile üblich sei. „Natürlich haben die auch eigene Ressourcen, wir springen vor allem an den Stellen ein, wo die zunächst nicht reichen.“ Fest steht ihr zufolge außerdem, dass die Stadtverwaltung das Projekt nach Abschluss auswertet und etwa Nutzungsstatistiken für die Radwege veröffentlicht.

„Durch die Fokussierung auf solche Kritik leidet die Debatte“

Diese Argumente hat das BMZ schon vor Monaten ins Feld geführt, aber die Empörung riss nicht ab. „Da wird mit populistischen Argumenten Stimmung gemacht“, ärgert sich Stephan Klingebiel. Der Fachmann vom German Institute of Development and Sustainability (IDOS) in Bonn ist am Radewegeprojekt selbst nicht beteiligt, verfolgt die öffentliche Debatte aber aufmerksam. „Ich sehe gute Gründe für das Vorhaben“, sagt Klingebiel.

„Durch die Fokussierung auf solche Kritik leidet die Debatte über wichtige und grundsätzliche Veränderungen in der Entwicklungszusammenarbeit“, warnt er stattdessen. Klingebiel sieht mit Sorge eine Abkehr von der Linie der Neunzigerjahre, als unter anderem die Vereinten Nationen viel Energie darauf verwendeten, Entwicklungs­zusammenarbeit an messbarem Nutzen für die wirtschaftliche Entwicklung der Empfänger auszurichten – und weniger an den Interessen der Geberländer.

Dieses Prinzip erodiert wieder. Geopolitik spiele bei Projekten wieder eine größere Rolle, hat Klingebiel beobachtet. So folgen die chinesische Belt&Road-Initiative und die Reaktionen darauf diesem Muster. Auch Geld für die Ukraine, das eher Sicherheitsinteressen diene, werde als Entwicklungsgeld verbucht. Auch im Kontext von Migrationsdeals fließe Entwicklungsgeld, obwohl der Sinn unter Fachleuten umstritten sei. „Mitunter folgt die Mittelverwendung primär deutschen Prioritäten, und man müsste dringend diskutieren, ob das gut ist und wie man es richtig umsetzen könnte“, sagt Klingebiel.

Doch diese Grundsatzdiskussion gibt es bislang nicht. Das unter Druck stehende BMZ betont stattdessen, wie die Entwicklungszusammenarbeit insgesamt und auch das Projekt in Peru Deutschland nutzen. Man habe in Südamerika ein gutes Standing, „auch deshalb stehen Politik und Unternehmen in Südamerika Türen offen“. „Diese neue U‑Bahn ist ein 5‑Milliarden-Dollar-Projekt. Zahlreiche deutsche Firmen wie Siemens oder Herrenknecht beteiligen sich am Bau“, sagte unlängst auch Entwicklungsministerin Svenja Schulze (SPD) gegenüber der „Neuen Berliner Redaktionsgesellschaft“.

Entwicklungszusammenarbeit spielt im Wettbewerb für Exportunternehmen eine wichtige Rolle

Es profitiere also nicht nur Peru, sondern auch Deutschland, erklärte die Ministerin weiter. Dabei bekommt sie Schützenhilfe von hiesigen Exportunternehmen: „Frau Schulze hat recht“, sagte Dirk Jandura, Präsident des Außenhandelsverbands BGA, dem RND. Deutschlands Wirtschaft stehe weltweit in einem Wettbewerb um Märkte, Rohstoffe und strategische Partnerschaften, „dabei spielt die Entwicklungs­zusammenarbeit eine wichtige Rolle“.

Eigentlich müsste man den Wettbewerb mit Staaten wie China oder Russland in Zukunft noch viel offensiver führen und andere Staaten von der Zusammenarbeit mit Deutschland und Europa überzeugen, findet der Außenhandelspräsident. Gebraucht würden deutlich mehr Freihandelsabkommen und eine echte Außenwirtschaftsstrategie. „Die Entwicklungszusammenarbeit ist ein wesentlicher Bestandteil davon“, bekräftigt Jandura.

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