hier Frankfurter Rundschau, 31.07.2024 Von: Lars-Eric Nievelstein
Wie die Hitzewelle Frankreichs Kernkraft lähmt – Deutschland versucht sich zu rüsten
Frankreich muss die Energiegewinnung aus Atomkraft stellenweise herunterfahren. Der Grund ist das Klima. Trifft es auch Deutschland?
Die Grande Nation baut wie nur wenige andere Länder auf die Kernkraft, um sich mit Strom zu versorgen. Das birgt gewisse Risiken, die ausgerechnet im Sommer umso deutlicher zutage treten. Einen ähnlichen Effekt hatte auch Deutschland vor einigen Jahren erlebt.
Hitzewelle sorgt für Probleme bei Kernkraft – Frankreich muss Atomreaktor herunterfahren
Eine Hitzewelle bringt aktuell (31. Juli) Temperaturen von bis zu 40 Grad nach Frankreich. Das wirkt sich direkt auf die französische Atomstromproduktion aus: Am Montagabend (29. Juli) hatte der zuständige Betreiber den Reaktor 2 des Kraftwerks Golfech vorübergehend heruntergefahren. Laut dem Betreiberkonzern Electricité de France (EdF) sollen die Einschränkungen bis zum Donnerstag, dem 8. August, bestehen bleiben. Wie die F.A.Z. berichtete, soll der Reaktor 1 wegen Netzbeschränkungen in Betrieb bleiben.
Dabei stellt sich die Frage nach dem Warum. Im Detail ist das durch die Sommerhitze erwärmte Wasser des Flusses Garonne der Auslöser – der Betreiber EdF darf, sobald die Flüsse gewisse Temperaturgrenzwerte überschreiten, deren Wasser nicht mehr zur Kühlung der Kernreaktoren verwenden. In solchen Fällen müsse EdF die Produktion des betroffenen Werks drosseln oder ganz herunterfahren. Eine Neuheit ist das für das Kraftwerk nicht: In der Vergangenheit musste der Golfech-Reaktor schon öfters die Leistung reduzieren, weil es zu heiß gewesen war. Ausnahmen sind allerdings immer möglich – vor allem dann, wenn sonst Engpässe im Stromnetz drohen.
Bislang hatte Frankreich noch vergleichsweise Glück: Die Hitzewellen hielten nur selten mehrere Wochen lang an, weswegen die als „umweltbedingt“ deklarierten Verluste lediglich 0,3 Prozent der Jahresproduktion ausgemacht hätten. Mit einem Anteil von 74,0 Prozent ist nukleare Energie die wichtigste Art der heimischen Energieproduktion in Frankreich (International Energy Agency).
Problem um Hitzewelle ist bekannt – Frankreich musste Kernkraftwerke bereits 2022 herunterfahren
Ein ähnliches Problem hatte Frankreich bereits im Jahr 2022 gehabt. Damals befanden sich mehrere Kernkraftwerke in der Reparatur, konnten also nicht in gewohntem Maße zur Energieerzeugung beitragen. Ein Teil der noch laufenden Kraftwerke musste allerdings den Betrieb herunterfahren – wofür auch damals das Wetter verantwortlich war.
Um den fehlenden Strom auszugleichen, hatte Frankreich beträchtliche Mengen an Energie aus den Nachbarländern hinzugekauft. Laut dem Annual Electricity Review 2022 des französischen Netzbetreibers RTE (Réseau de Transport d‘Electricité) stammte die größte Menge an importiertem Strom aus Deutschland und Belgien (29,3 Terawattstunden). Großbritannien (12,6 Terawattstunden) und Spanien (12,9 Terawattstunden) lagen ein Stück weit dahinter zurück.
Energieengpässe durch Hitzewelle – auch in Deutschland möglich?
Deutschland ist vor demselben Problem grundsätzlich nicht gefeit. Thermische Kraftwerke (also zum Beispiel Kohle- und Dampfkraftwerke) benötigen ebenfalls Kühlwasser für die Stromerzeugung. Etwa 40 Prozent der Energie werden im Brennvorgang in Strom umgewandelt, die restliche Energie verwandelt sich in Wärme, die entweder in die Luft oder ins Wasser abstrahlt.(Anmerkung: man beachte: nur 40% werden in Strom gewandelt!) Meistens stammt dieses Kühlwasser aus Fließgewässern, das später – erwärmt – wieder dort endet.
Das Umweltbundesamt warnte bereits davor, dass es bei tiefen Wasserständen und hohen Wassertemperaturen vorkommen kann, dass verschiedene Kraftwerke ihre Stromproduktion drosseln oder zeitweise einstellen müssen. Ein niedriger Wasserstand kann die Verfügbarkeit von Kühlwasser sowohl deutlich einschränken als auch den Wirkungsgrad von Kraftwerken negativ beeinflussen. Auch hier in Deutschland gibt es entsprechende Umweltvorschriften, die für eine Limitierung der Kühlwasser-Entnahme sorgen können.
Zuletzt hatten mehrere Kraftwerke im Jahr 2018 ihre Leistung drosseln müssen. Die gute Nachricht: Eine Gefährdung der deutschen Stromversorgung durch die Drosselung einzelner Kraftwerke sei noch „nicht ersichtlich“, erklärte das Umweltbundesamt.
Anteil von erneuerbaren Energien steigt – Deutschland braucht tendenziell weniger Kühlwasser
Aktuell ist Deutschland dabei, im Zuge der Energiewende mehr erneuerbare Energieträger in den Strom-Mix zu integrieren. Die Erzeugung und Einspeisung von Strom aus Kohlekraftwerken hatte 2023 mit rund minus 30 Prozent einen deutlichen Rückgang zu verzeichnen, gleichzeitig sank der Anteil von Kohlestrom an der Gesamterzeugung auf 26,1 Prozent. Dennoch war Kohle im Jahr 2023 noch der zweitwichtigste Energieträger in Deutschland.
Dafür nahm die Einspeisung aus Erdgas im Jahr 2023 zu (plus 3,9 Prozent). Wegen des Atomausstiegs ging außerdem der Anteil der Stromeinspeisung aus Kernenergie deutlich zurück. Dieser machte 2023 lediglich noch 1,5 Prozent der insgesamt eingespeisten Strommenge aus. Das hatte das Statistische Bundesamt (Destatis) mitgeteilt. Langfristig will Deutschland sich von fossilen Energien lösen – und damit von der Abhängigkeit von Kühlwasser. Andere europäische Länder und die USA haben dagegen eine Renaissance der Kernkraft eingeläutet. (man redet bisher lediglich darüber, eine Umsetzung scheint weit entfernt. siehe dazu hier.)
Heise hier Von Andreas Wilkens
Atomkraft: Hitzewellen als Herausforderung für die Umwelt und Stromversorgung
Wenn Wassertemperaturen in Flüssen Grenzwerte überschreiten, müssen Atomreaktoren zumindest gedrosselt werden. In diesem Sommer passiert es wieder.
In Frankreich hat der Betreiber EDF Reaktor 2 des Atomkraftwerks Golfech vorübergehend heruntergefahren, weil das Wasser der Garonne die zulässige Temperaturgrenze von 28 °C erreicht hat. Reaktor 1 bleibe auf Wunsch des Betreibers des nationalen Stromnetzes in Betrieb, seine Leistung werde angepasst, teilte EDF mit.
Auch in Ungarn bereitet ein zu warmer Fluss Kopfzerbrechen. Das dortige Energieministerium plant laut Medienberichten, für das Atomkraftwerk Paks eine Genehmigung zu erteilen, dass der Temperaturgrenzwert von 30 °C für die an dem AKW vorbeifließende Donau erhöht wird. Die Stromversorgung könne ansonsten gefährdet werden, heißt es. Im Juni hatte bereits das dortige Bundesamt für Energie eine Ausnahme dafür genehmigt, dass das AKW Beznau Wasser in den Fluss Aare leitet, wenn dessen Temperatur über 25 °C liegt. Das Atomkraftwerk wird ebenfalls weiterbetrieben, um die Versorgungssicherheit nicht zu gefährden.
Die sich ändernden klimatischen Bedingungen mit längeren Trockenphasen und Hitzeperioden bereiten Atomkraftwerken schon länger Probleme. Vor neun Jahren etwa stand in Deutschland das seinerzeit noch laufende AKW Grohne vor der Abschaltung, weil die Weser stark erwärmt war. 2022 wurde wegen der hohen sommerlichen Temperaturen die Leistung des AKW Beznau reduziert, der französische Betreiber EDF bekam eine Ausnahme von Umweltvorschriften, damit das AKW Bugay weiterlaufen konnte. Auch in Belgien mussten Reaktoren gedrosselt werden.
"Kein ernstes sicherheitstechnisches Problem"
Behördliche Umweltauflagen verlangen, dass die Wassertemperatur flussabwärts eines AKW und die Temperatur des Wassers, das zurück in den Fluss oder das Meer geleitet wird, Grenzwerte nicht überschreitet, erläutert die deutsche Gesellschaft für Anlagen- und Reaktorsicherheit (GRS). Dadurch soll gewährleistet werden, dass die Tier- und Pflanzenwelt geschützt und das ökologische System nicht aus dem Gleichgewicht gebracht wird. Ist abzusehen, dass solche Grenzwerte erreicht werden, muss die Leistung des Kraftwerks reduziert werden, um die benötigte Kühlwassermenge zu reduzieren beziehungsweise das Kühlwasser nicht zu sehr zu erwärmen.
Ein ernstes sicherheitstechnisches Problem stellen längere Hitzeperioden nicht dar, da sie in der Regel relativ lange im Voraus vorhersehbar sind und die Wassertemperaturen nur langsam ansteigen, hat das GRS in mehreren Forschungsarbeiten ermittelt. Die Anlage könne rechtzeitig abgefahren oder ihre Leistung reduziert werden. Allerdings müssten auch Sicherheitssysteme wie Notstromdiesel gekühlt werden, wenn sie beansprucht werden müssen. Auch hier würden Maximalwerte für das Kühlwasser angesetzt, die überprüft werden müssen.
So wie allgemein bei Kraftwerken mit Dampfturbinen, zu denen AKW zählen, können Hitzeperioden Einbußen bei der erzeugten Leistung verursachen, wodurch weniger Strom produziert werde, ergänzt die GRS. Greenpeace Schweiz richtet seinen Blick auch auf die durch höhere Temperaturen belastete Umwelt. In der Aare, in die nun auch bis zu 33 °C warmes Wasser geleitet werden darf, stünden Forellen und Äschen unter Druck. Sie seien ohnehin selten und reagierten empfindlich auf die höheren Wassertemperaturen.
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