Mittwoch, 28. August 2024

Mit Vollgas in die Nachkriegszeit: Hurra endlich mehr Autos in der Innenstadt!

Riffreporter  hier vom Recherche-Kollektiv Busy Streets: Andrea Reidl 19.08.2024

Autopartei FDP legt Zehn-Punkte-Plan vor für mehr Autoverkehr in den Innenstädten

Mobilitätskolumne: Die FDP kann Auto, aber hat keine Ideen für einen nachhaltigen Verkehr der Zukunft. Stattdessen bremst sie seit Jahren die Modernisierung der Mobilität in Deutschland und Europa.

Sie kennen das: Beim Stadtbummel sind mit ihnen unzählige weitere Fußgängerïnnen unterwegs und während sie im Straßencafé sitzen, radeln Dutzende Fahrräder an ihnen vorbei. Wenn Sie das stört und Sie sich wünschen, dass all diese Menschen in Autos mit 50 Kilometer pro Stunde an Ihnen vorbeirauschen und die schönsten Plätze einer Stadt wieder zu Parkplätzen werden, können Sie bei der nächsten Wahl ihr Kreuz bei der Partei der Freien Demokraten (FDP) machen.

Die FDP will Autofahren in den Zentren noch attraktiver machen. Vor einer Woche hat die Partei mit ihrem „Fahrplan Zukunft – Eine Politik für das Auto“ einen Zehn-Punkte-Plan vorgelegt, in dem die Parteispitze unter anderem fordert, dass das Parken in den Innenstädten nichts mehr kostet, eine bundesweite Park-Flatrate eingeführt wird und das deutlich weniger Straßen in Fußgängerzonen oder Fahrradstraßen umgewandelt werden. Die Vordenker der Partei betonen, dass sie weiterhin Tempolimits auf Autobahnen ablehnen und bekennen sich zur Formel 1, weil der Motorsport den Tourismus stärke.

Die FDP kämpft für mehr Auto in der Stadt!

Was die Freien Demokraten als Vision der Zukunft feiern, ist ein Revival der Verkehrspolitik der 1960er- und 1970er-Jahre. Nach dem Zweiten Weltkrieg war die Idee vom „Auto für alle“, mit dem jeder Weg zurückgelegt wird, in der Tat der Inbegriff eines gelungenen modernen Lebens. Es war ein politisches Ziel, das in Deutschland und vielen anderen Ländern enthusiastisch verfolgt und gefeiert wurde.

Kommunen weltweit wollen lebenswerte Städte

Aber das ist inzwischen mehr als ein halbes Jahrhundert her. In der Zwischenzeit haben sich die Menschen und die Kommunen verändert. Längst regulieren sie den Autoverkehr in einigen Straßen oder verteilen die Flächen neu, um nicht nur für Autos, sondern auch den Menschen Platz in der Stadt zu geben. New York hat einen Teil des Times Squares bereits vor Jahren für den Autoverkehr gesperrt, Düsseldorf den Autoverkehr am Rheinufer unter die Erde verlegt und Utrecht, einen zu einer Straße umgebauten Kanal im Stadtzentrum, renaturiert. Zahlreiche Umfragen zeigen, dass die Menschen in den Städten diese Maßnahmen positiv bewerten.

FDP ohne Zukunftslösungen

Mit ihrem Zehn-Punkte-Plan demonstriert die FDP, dass sie die Probleme der Städte, die gegen Stau, Lärm, Gestank, Verkehrsunfällen und den Klimawandel kämpfen, entweder nicht verstanden haben oder sie nicht ernst nehmen. Mit ihrer „Auto-First-Politik“ bremst die Partei die Entwicklung einer modernen und nachhaltigen Mobilität in Deutschland und auch in Europa.

Die FDP bremst Brüssel

In Brüssel ist die FDP unter Bundesverkehrsminister Volker Wissing in den vergangenen Jahren vor allem dadurch aufgefallen, dass sie bereits fertig verhandelte EU-Gesetze in letzter Minute blockierte. Wissing begründet das gerne mit Technologieoffenheit, dabei lässt sich das, was er macht, wohl besser mit dem Begriff Quertreibertum beschreiben.

Jedes Gesetzesvorhaben wird vor einer Abstimmung mit allen Beteiligten (EU-Kommission, nationale Minister, EU-Parlament) über Jahre diskutiert. Es werden lange Verhandlungen geführt, um gemeinsame Kompromisse zu finden. Das kostet Zeit, Ressourcen und verlangt Vertrauen. Beim Aus für die Verbrennerautos ab 2035 hatten sich Unterhändler bereits Ende Oktober 2022 geeinigt. Aber plötzlich scherte die FPD aus. Wissing koppelte die Zustimmung der FDP plötzlich an eine Zusage der EU, dass E-Fuels auch für Pkw zugelassen werden.

E-Fuels für Pkw unsinnig

In Fachkreisen gilt die Forderung als unsinnig. Schließlich werden die E-Fuels für die Schiff- und Luftfahrt gebraucht. Autoexperte Ferdinand Dudenhöffer sagte im Tagesschau-Interview, dass die Herstellung der Kraftstoffe zudem sehr kostspielig sei und eine „gruselige Energiebilanz“ haben. Elektroautos sind deutlich effizienter.

Anfang Februar 2024 blockierte die FDP dann die Umsetzung neuer Schadstoffgrenzen für Lkw und Busse. Aktuell setzt Wissing alles daran, die EU daran zu hindern, Dieselautos stillzulegen, die die Schadstoffgrenzwerte in ferner Zukunft überschreiten könnten. Das hat die EU zwar aktuell nicht vor, aber Wissing legt sich für den Fortbestand aller Privatwagen ins Zeug.

Keine Frage, die Freien Demokraten können Auto, aber das allein reicht nicht. Retro in ok in der Musik oder im Kleiderschrank, aber nicht auf der Straße. Dort schädigt die rückwärtsgewandte Verkehrspolitik der FDP die Gesundheit der Menschen, behindert die Modernisierung der Städte und schadet dem Image Deutschlands.


 

Perspective Daily <post@perspective-daily.de>  Kommentar  von Ingwar  Perowanowitsch  15.8.2024 

Die FDP fordert mehr Autos in den Innenstädten. Was die Partei wirklich will

Die Verkehrswende als ein ideologisch verblendetes, linksgrünes Nischenprojekt? Es ist leicht zu durchschauen, was die FDP mit ihrem Auto-Plan bezwecken möchte. Zum Glück sind Deutschland und Europa längst weiter.

Der Kontrast hätte größer nicht sein können. Ich sitze an einem herrlichen Morgen draußen unter Bäumen in einem Café in der slowenischen Hauptstadt Ljubljana. Vor 3 Wochen bin ich mit dem Fahrrad von Freiburg aufgebrochen, um 100 Tage und 5.000 Kilometer später in der Hauptstadt Aserbaidschans, Baku, anzukommen. Dort werde ich Mitte November von der nächsten UN-Weltklimakonferenz berichten. Auf meiner Route suche ich mir gezielt Städte aus, die in der Vergangenheit Schlagzeilen für ihre ambitionierte Verkehrspolitik gemacht haben. In dieser Hinsicht ist das beschauliche Ljubljana ein ganz besonderes Highlight.

Ich warte auf meine Bestellung, als ich auf meinem Handy die Nachricht lese: »FDP will mehr Raum für Autos in Innenstädten«. Widerwillig klicke ich auf den Artikel – wohlwissend, dass ich es eigentlich nicht sollte.

»Fahrplan Zukunft – Eine Politik für das Auto«, lese ich. Es handelt sich dabei um ein 3 Seiten langes Positionspapier des FDP-Präsidiums, mit dem Ziel, sich gegen die »ideologisch motivierte und einschränkende Verkehrspolitik« zu wehren, die das Land angeblich im Griff hat. Darin fordert die Partei neben den Klassikern »kein Tempolimit« und »kein Verbrennerverbot« unter anderem kostenloses Parken, eine Park-Flatrate analog zum 49-Euro-Ticket. Fahrradstraßen und Fußgängerzonen sollen nur noch mit »schlüssigem Gesamtkonzept« errichtet werden dürfen und die Umwandlung von Parkplätzen in sogenannte Parklets, also Sitzmöglichkeiten für Fußgänger und Kund:innen für die Gastronomie, sollen verboten werden. Im Grunde die besten Hits der 1970er Jahre.

Der Tenor: Unsere Innenstädte sterben aus und schuld daran sind Radwege, Fußgängerzonen und zu teure Parkplätze.

Ich schüttele ungläubig den Kopf. Das Café, in dem ich sitze, befindet sich zufällig in einer Straße, durch die bis 2007 noch reichlich Autos fuhren. Doch dann beschloss die Stadt Ljubljana, das gesamte Zentrum der Stadt für den Autoverkehr zu sperren. Nach FDP-Logik hätte postwendend der Verödungsprozess einsetzen müssen. »Überraschenderweise« trat genau das Gegenteil ein: Ljubljana wurde um eine wunderbar lebenswerte und viel besuchte Innenstadt reicher und international für seine mutige Verkehrspolitik ausgezeichnet.

Die FDP sucht verzweifelt nach populären Themen

Wer heute durch die autofreien Straßen Ljubljanas flaniert, in denen Menschen statt Motoren dominieren, in denen die Gastronomie floriert und in denen eine Atmosphäre herrscht, die mit Autos niemals möglich wäre, käme niemals auf den Gedanken, dass mehr Autos hier die Lebensqualität erhöhen würden.

Warum schreibt die FDP also so ein Papier? Einfache Antwort: Weil sie unbedingt ein Thema braucht, um sich zu profilieren. Sie spürt die 5%-Hürde im Nacken und je prekärer die Lage, desto verzweifelter der Versuch, sich aus ihr zu befreien. Aber mal ehrlich: Im Grunde geht es gar nicht um Autos. Im Subtext ist die Botschaft: Wir widersetzen uns dem linksgrünen Zeitgeist, der selbst vor unseren Straßen nicht haltmacht. Damit will die FDP ihre Deutung durchsetzen, dass das Konzept der Verkehrswende eigentlich eine Art Codewort für eine linksgrüne Weltanschauung ist.

Die Neuordnung des öffentlichen Raums zulasten des Autos und zugunsten aktiver und geteilter Mobilität habe demnach keine pragmatischen Gründe wie die Erhöhung der Sicherheit, sondern sei rein ideologisch motiviert. Eine Ideologie, die das Auto grundsätzlich ablehnt und die erst zufrieden ist, wenn alle Städte gänzlich von Autos befreit sind.

In der Realität ist der »Scheideweg der Mobilität«, vor dem unser Land angeblich steht und vor dem die FDP warnt, völlig überzogen. Das Auto ist weit davon entfernt, ins Hintertreffen zu geraten, seine Dominanz auf allen Ebenen nahezu uneingeschränkt. Daran ändern auch einzelne Radwege, Fahrradstraßen oder Parklets nichts.

Eine Verkehrspolitik, die sichere Radwege baut, die in die Aufenthaltsqualität öffentlicher Räume investiert und die versucht, dem Klimawandel mit Parks und Plätzen statt Parkplätzen zu begegnen, hat nicht die große Verkehrsrevolution im Sinn. Sie will lediglich die Auswüchse der autogerechten Stadt der letzten Jahrzehnte korrigieren und etwas mehr Gerechtigkeit schaffen. Wer das als Angriff und Diskriminierung gegen das Auto deutet, verwechselt Privilegien mit Rechten. Insofern passt das Autopamphlet natürlich hervorragend zur FDP.

Die Städte Europas sind viel weiter

Ich habe in den letzten Jahren viele Länder und Städte bereist und sie hinsichtlich ihrer Verkehrspolitik untersucht. Ob Utrecht, Kopenhagen, Paris, Wien oder eben Ljubljana. Egal, wie unterschiedlich diese Städte sind, und egal, vor welchen Herausforderungen sie stehen: Sie alle eint, dass sie in den letzten Jahren und Jahrzehnten den öffentlichen Raum gerechter verteilt haben und planen, diesen Weg weiterzugehen. Sie haben verstanden, dass man Menschen nicht mit Gratisparkplätzen in die Innenstädte lockt, sondern mit schön gestalteten öffentlichen Räumen. Mit etwas, was sie bei Amazon und Co. nicht finden können.

In Utrechts Fußgängerzonen wimmelt es von Cafés, Restaurants und kleinen, stilvollen Läden; Kopenhagens Zentrum erreicht man bequem auf einladenden Radwegen; Paris baut in Rekordtempo Parkplätze ab, errichtet Fußgängerzonen und begrünt, wo es nur geht. Wien hat eine Radwege-Offensive ausgerufen und macht die Stadt gerade klimafit, und Vorreiter Ljubljana baut seine autofreien Plätze weiter aus. All diese Städte sind der lebende Beweis, dass eine Verkehrsberuhigung zur Belebung der Innenstadt geführt hat und keineswegs zur Verödung.

Der Vorstoß der FDP, deutsche Innenstädte mit mehr Autos wieder attraktiver zu machen, erscheint angesichts dieser Realität wie ein schlechter Scherz.

Selbst in der eigenen Partei löst die Führung nun Kopfschütteln aus

Glücklicherweise haben das mittlerweile auch viele deutsche Kommunen verstanden. Sie werden die Forderungen der FDP müde weglächeln. Sie kämpfen seit Langem darum, mehr Handlungsspielräume in der Verkehrspolitik zu bekommen. Das zeigt zum Beispiel die Initiative Lebenswerte Städte und Gemeinden, in der sich über 1.100 Städte, Gemeinden und Landkreise zusammengeschlossen haben und vom Bund mehr Entscheidungsfreiheit fordern. Mit dem novellierten Straßenverkehrsrecht konnte die Initiative erste Erfolge feiern. Der Trend ist eindeutig.

Der FDP-Ansatz, von oben herab in die Dörfer und Städte dieses Landes hineinregieren zu wollen und Vorschriften zu machen, wann sie Fahrradstraßen, Fußgängerzonen und Parklets bauen dürfen, ist daher so diametral zum Zeitgeist wie das ganze Papier selbst.

Die FDP führt einen Kampf gegen Windmühlen, der auch innerhalb der Partei für Irritationen sorgt. Auf Social Media distanzieren sich FDP-Mitglieder davon, erste FDP-Bürgermeister äußern offen Kritik. Verkehrsminister Volker Wissing und Parteichef Christian Lindner sind verdächtig still. Die mediale Rezeption des Autopapiers ist ohnehin verheerend. Selbst die Union, eigentlich nicht für progressive Verkehrspolitik bekannt, geht auf Distanz.

Vielleicht ist es genau das, was die FDP wollte. Endlich ein Alleinstellungsmerkmal. Ob es ihr hilft, ist allerdings mehr als fraglich. So bleibt am Ende nur zu hoffen, dass der Zeitgeist der FDP enteilt und auch die härtesten Autofans ihre Wahlentscheidung nicht mehr davon abhängig machen, welche Partei ihnen Gratisparkplätze verspricht.

Übrigens: Dass man mit einer progressiven Verkehrspolitik Erfolg haben kann, hat Ljubljanas Bürgermeister Zoran Janković eindrucksvoll gezeigt. Nach seiner kontroversen Entscheidung vor 17 Jahren, die Innenstadt von Autos zu befreien, hat er keine einzige Wahl verloren. Er regiert bis heute.


Redaktionelle Bearbeitung: Felix Austen


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