Samstag, 3. August 2024

Überraschende neue Erkenntnisse zum globalen Methanausstoß

 Standard hier  David Rennert  31. Juli 2024

Neuer Plan soll Trendumkehr beim globalen Methanausstoß bringen

Die Reduktion von Methanemissionen ist enorm wichtig, um den Klimawandel zu bremsen. Der Ausstoß des Treibhausgases steigt jedoch – das ließe sich ändern

Das Jahr 1850 gilt in der Klimaforschung als Referenzjahr für den menschlichen Einfluss auf das globale Klima. Die Zeit davor wird als "vorindustrielles Zeitalter" bezeichnet, auch wenn die Anfänge der Industrialisierung bereits um einiges früher zu verorten sind, etwa mit der Erfindung der Dampfmaschine, für die James Watt 1769 ein Patent anmeldete.

Ab 1850 ist der anthropogene Einfluss auf das Klima jedenfalls deutlich erkennbar, weswegen es als Referenzjahr durchaus sinnvoll ist. Es ist auch eine Schwelle, an der sich der bis heute andauernde Interessenkonflikt zwischen Wirtschaftswachstum und Klimaschutz nachzeichnen lässt. Wie beides in Einklang zu bringen ist, dazu leistet eine neue Publikation im Fachblatt Frontiers in Science einen wichtigen Beitrag und nimmt dabei das Schlüsseltreibhausgas Methan (CH4) in den Fokus.

Weitreichende Folgen für Klimaziele
Rund 45 Prozent der bisherigen Erderwärmung von 1,11 Grad Celsius seit Beginn des industriellen Zeitalters gehen auf das Konto von Methan. Das Treibhausgas verschwindet zwar viel schneller wieder aus der Atmosphäre als CO2, weshalb es auf lange Sicht eine weitaus geringere Rolle bei der Erderhitzung spielt. Kurzfristig ist es allerdings erheblich klimaschädlicher. Umgekehrt würde eine rasche Reduktion des Methanemissionen also vergleichsweise schnell Wirkung zeigen: Während Kohlendioxid jahrhundertelang in der Atmosphäre fortbesteht, verschwindet Methan schon nach rund zehn Jahren.

Doch obwohl die schnelle Reduktion der Methanemissionen zentral wäre, um die globale Erwärmung auf 1,5 Grad Celsius beziehungsweise zwei Grad Celsius zu begrenzen, wird immer mehr Methan ausgestoßen. Insbesondere seit 2006 zeigt sich ein dramatischer Anstieg, wie die Forschenden rund um Drew Shindell von der Universität Duke in Durham, North Carolina, festhalten.

Der ungebremste Ausstoß von Methan hat weitreichende Folgen für das Erreichen des Nettonull-CO2-Ziels, wie die Forschenden vorrechnen: 50 Megatonnen an Methan-Emissionen entsprechen einem Äquivalent von 150 Gigatonnen CO2-Ausstoß. Wenn Methan also weiterhin ungebremst emittiert wird, schrumpft das verbleibende Budget für CO2-Emissionen umso rasanter dahin.

Neues Tool bringt Überblick
Die Forschenden gehen in ihrer Arbeit der Schlüsselfrage nach, wo Methanemissionen am schnellsten zurückgefahren werden könnten – auch unter Berücksichtigung der dadurch entstehenden Kosten und Folgen für die Wirtschaft. Diese Kosten im Detail abzuschätzen, ist alles andere als trivial und oft mit großen Ungenauigkeiten verbunden. Dennoch betonen die Forschenden in ihrer Publikation: "Trotz dieser Unsicherheiten sind die Kosten für viele Minderungsmaßnahmen im Vergleich zu den geschätzten Methanschäden eindeutig niedrig."

Um Politik und Verwaltung bei der Abwägung von unterschiedlichen Möglichkeiten zur Minderung des Methan-Ausstoßes und den verbunden Kosten zu unterstützen, haben die Forschenden ein spezielles Onlinetool entwickelt. Mit dem frei zugänglichen Tool können kosteneffiziente Möglichkeiten zur Reduktion von Methan-Emissionen auf unterschiedlichen Ebenen, lokal wie global, ermittelt werden. Selbst für den Erstautor der Studie, Drew Shindell, der sich seit vielen Jahren mit Methanreduktion beschäftigt, brachte das neue Onlinetool einige Überraschungen: 


Ich hatte zum Beispiel erwartet,
dass die Möglichkeiten in der Öl- und Gasindustrie
in den meisten Ländern des Nahen Ostens die größten Reduktionen bringen würden,
 aber stattdessen sind es oft Mülldeponien", 

wie Shindell gegenüber dem STANDARD betont. 


Auch hatte ich vermutet, dass die Viehzucht in Brasilien und Argentinien
enormes Potenzial bietet, aber auch hier sind es Deponien.


Koordinierte Maßnahmen und Anreize schaffen
Das neue Onlinetool ist eingebettet in eine dreistufige Handlungsanleitung für ein nachhaltiges Methan-Management, das die Forschenden in ihrer Arbeit vorstellen. Der Vorschlag stützt sich auf Analysen von Satelliten-Fernerkundungsdaten, gemeldeten Methanemissionen und dem Zusammenspiel von Vermeidungsmöglichkeiten und Marktkräften. 

Der erste Schritt besteht wenig überrascht in der Reduktion von Methanemissionen. Um diese Trendumkehr zu erreichen, müssen die Ursachen für den steigenden Methan-Ausstoß identifiziert werden und entsprechende Gegenmaßnahmen gesetzt werden. Genau dabei könnte das neue Online-Tool eine wichtige Rolle spielen.

An der zweiten Stelle steht die Koordination von Maßnahmen der Reduktion von Methan- und Kohlendioxidemissionen: Die Senkung des CO2-Ausstoßes allein wird die globale Erwärmung nicht schnell genug aufhalten, die Senkung des Methanausstoßes kann die Erwärmung aber nur verzögern, da langfristig die CO2-Konzentration viel stärker ins Gewicht fällt. "Die Welt hat sich zu Recht auf Kohlendioxid konzentriert, das bisher der größte Treiber des Klimawandels ist", sagt Shindell. "Methan schien etwas zu sein, das wir für später angehen können, aber die Welt hat sich in den letzten Jahrzehnten sehr schnell erwärmt, während wir es nicht geschafft haben, unsere CO2-Emissionen zu reduzieren. Deshalb suchen wir dringend nach Möglichkeiten, die Erwärmung schnell zu reduzieren, was mit Methan möglich ist."

Drittens plädieren die Forschenden dafür, Anreize für die Verringerung der Methanemissionen zu schaffen und diese auch durchzusetzen. Die Zielvorgabe für die Methanreduktion wird durch den Global Methan Pledge vorgegeben, den mehr als 100 Länder, darunter die USA und die EU, unterzeichnet haben. Demnach sollen die Methanemissionen bis 2030 um 30 Prozent gegenüber dem Stand von 2020 reduziert werden. Im bisherigen Verlauf der 2020er-Jahre wurde aber immer mehr Methan ausgestoßen – daher ist das Schaffen von Anreizen für die Forschenden zentral, um die Trendumkehr doch noch zu erreichen.

Lokale Maßnahmen mit globalem Nutzen
Schätzungen zufolge verursachte jede Tonne Methan, die im Jahr 2020 ausgestoßen wurde, Schäden in Höhe von 470 bis 1700 US-Dollar (umgerechnet rund 430 bis 1600 Euro). Berücksichtigt man zusätzlich die Auswirkungen auf die Luftverschmutzung, die der menschlichen Gesundheit schadet, erhöhen sich die Kosten auf bis zu 7000 US-Dollar (6500 Euro) pro Tonne. "Die Vorteile der Methanreduzierung überwiegen fast immer die Nettokosten", sagt Shindell. "Viele Optionen zur Methanreduzierung bieten wirtschaftliche Nettogewinne, selbst wenn man die Umweltauswirkungen außer Acht lässt."

Obwohl ökologisch wie ökonomisch also alles für Methanreduktionen spricht, lassen in der Praxis entsprechende Maßnahmen noch auf sich warten. Warum das so ist, erklärt sich Shindell damit, dass die typische Herausforderung bei der Eindämmung des Klimawandels darin bestehe, dass der Nutzen weltweit sei, die Maßnahmen aber auf lokaler Ebene von Ländern, Städten oder Unternehmen ergriffen werden müssten. "Das kann es den Akteuren schwermachen zu erkennen, dass ihre Maßnahmen einen sehr großen Nutzen bringen, der in den meisten Fällen die Kosten bei weitem überwiegt."

Aus diesem Grund hält Shindell kollektive Maßnahmen wie den Global Methane Pledge für so wichtig, da dann alle Beteiligten einen größeren Nutzen hätten als nur den aus ihren eigenen Maßnahmen. "Aber ohne ausdrückliche Vorschriften ist es immer noch schwierig, einzelne Emittenten dazu zu bewegen, Maßnahmen zur Erreichung eines gemeinsamen Ziels zu ergreifen." (David Rennert, 31.7.2024)

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