Sonntag, 4. August 2024

Was bedeutet der Klimawandel für unsere Wasserspeicher?

Eine Analyse mit sehr vielen Daten und Grafiken! Es lohnt sich beim Original reinzuschauen!

Süddeutsche Zeitung hier  2.8.24
Von Christoph von Eichhorn, Sören Müller-Hansen , Julia Kraus und Oliver Schnuck

 So voll sind die Speicher

Nach jahrelangen Niedrigständen haben sich die Grundwasserpegel vielerorts wieder erholt. Doch die Analyse zeigt: Nicht überall in Deutschland können die Menschen aufatmen.

Deutschland vor fünf Jahren: verdorrte Wiesen, ausgetrocknete Felder, eine Borkenkäfer-Plage in den Wäldern. Und auf einmal Brunnen, die versiegen, eine ganz neue Erfahrung. 2019 steckte das Land mitten in einer mehrjährigen Dürre. Forscher berichteten von sinkenden Grundwasserständen, auf einmal wurde diskutiert, ob Wasser auch in Mitteleuropa knapp werden kann.

Deutschland 2024: Rekordniederschläge, immer wieder Unwetter, Überschwemmungen im Saarland, in Baden-Württemberg und Bayern. Nun gibt es Berichte über teils zu hohe Grundwasserstände, über Grundwasser, das von unten in die Keller drückt.

Zeit also, im Untergrund nachzusehen: Wie haben sich die Grundwasserstände entwickelt, was haben die Regenfälle in jüngster Zeit bewirkt – und welche Rolle spielt der Klimawandel?

Aus Grundwasser bezieht Deutschland zwei Drittel seines Trinkwassers, die Bedeutung der Ressource ist kaum zu überschätzen. Trotzdem ist die Datenlage eher bescheiden: Jedes Bundesland überwacht Menge und Qualität für sich, teilweise mit unterschiedlichen Methoden.

Um dennoch ein umfassendes Bild zu bekommen, hat die SZ Daten eines neuen bundesweiten Portals der Bundesanstalt für Geowissenschaften und Rohstoffe (BGR) ausgewertet. Es basiert auf mehr als hundert Messstellen in ganz Deutschland, die so ausgewählt sind, dass ihre Grundwasserstände stellvertretend für die Entwicklung an vielen Orten stehen.

Die gemessenen Werte lassen sich in fünf verschiedene Kategorien einteilen – abhängig davon, wie sie sich zu den Grundwasserständen der Jahre 1991 bis 2020 verhalten.

Als niedrig und sehr niedrig werden Werte eingestuft, die in das untere Viertel beziehungsweise die untersten zehn Prozent der in diesem Zeitraum an derselben Station gemessenen Grundwasserstände fallen. Wenn man diese Referenzmessstellen bundesweit betrachtet, ergibt sich seit 1991 dieses Bild:

Insbesondere ab 2018 zeigt sich deutlich der Einfluss der Dürre, die weite Teile Europas betraf. Zum Höhepunkt 2019 und 2020 maßen die Referenzstationen in zwei Dritteln der Fälle Niedrigstände.

In diesen zwei Jahren lag nur rund jeder dritte gemessene Grundwasserpegel im Normalbereich des Vergleichszeitraums.

Doch in den vergangenen Jahrzehnten gab es auch immer wieder Jahre, in denen es hohe oder sehr hohe Pegelstände gab – in denen die Werte also drei Viertel oder 90 Prozent der Vergleichswerte übertrafen.
Dazu zählt auch die erste Jahreshälfte 2024. Deutschlands Untergrund hat sich zuletzt erheblich aufgefüllt.

„An vielen Orten haben sich die Grundwasserstände merklich erholt“, sagt Sabine Attinger, Hydrologin am Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung (UFZ) in Halle. Die Forscherin führt das auf die erheblichen Regenfälle in den vergangenen Monaten zurück. Laut Deutschem Wetterdienst (DWD) war die Zwölf-Monats-Periode seit vergangenem Juli die niederschlagsreichste seit Messbeginn 1881.

Allerdings waren die Niederschläge recht unterschiedlich verteilt, wie ein Team um Attinger kürzlich ermittelte.

So gab es im Westen Deutschlands, in der Lüneburger Heide oder im Allgäu im Jahresmittel deutlich mehr Niederschlag. Das Bild ändert sich jedoch, je weiter man nach Osten blickt. In der Uckermark, im Erzgebirge und im Schwäbisch-Fränkischen Stufenland kam nur durchschnittlich viel Wasser herunter. „Das Niederschlagsdefizit der vergangenen (Trocken)-Jahre hat sich damit nicht über Gesamtdeutschland gleichförmig reduziert und in einigen Regionen gar nicht“, so das Fazit der Forscher......


Normale Klimavariabilität oder historische Tiefstände

Diese Lücke hat kürzlich ein Team um Friedrich Boeing vom UFZ beleuchtet. Im Fachblatt Environmental Research Letters haben sich die Forscher Wasserdefizite der vergangenen 250 Jahre in Deutschland angesehen. Immer wieder gab es demnach Perioden, in denen das gesamte gespeicherte Wasser weniger wurde – und immer wieder kippte das Defizit früher oder später ins Plus zurück. Allerdings weisen die Forscher darauf hin, dass es bislang noch nie so lange dauerte, ein Wasserdefizit auszugleichen, wie nach der Dürre von 2018 bis 2021.

Die große Frage lautet nun, wie der Klimawandel diesen Rhythmus beeinflusst. Sicher ist, dass mit der Erderwärmung die Lufttemperatur langfristig steigt, und damit auch die Verdunstungsrate. Wasser, das aus den oberen Schichten des Bodens verdunstet, fehlt später in den grundwasserführenden Schichten. „Damit brauchen wir höhere Niederschläge, um die Verluste auszugleichen“, sagt Sascha Oswald.

Ob Deutschland diese auch bekommen wird, ist jedoch unklar. „Im Mittelmeerraum stimmen alle Klimamodelle darin überein, dass es trockener wird. Und in Nordeuropa sind sich auch wieder alle einig, dass es dort feuchter wird“, sagt Sabine Attinger. In der Region dazwischen zeigen die Modelle keine einheitliche Tendenz: Manche prognostizieren für die Zukunft in Mitteleuropa mehr Niederschläge, manche weniger.

Zukünftig mehr Extreme erwartet

Einig sind sich die meisten Experten aber darin, dass die Extreme mit dem Klimawandel auch in Deutschland zunehmen werden: Mehr Dürreperioden mit hohen Temperaturen, zwischendurch aber auch wieder sehr nasse Jahre mit heftigem Starkregen. „Wir müssen uns auf diese hohe Variabilität und damit auch auf mehr Unsicherheit einstellen“, fordert Sabine Attinger.

Keine einfache Aufgabe, das Land muss sowohl in die Starkregenvorsorge investieren, also etwa in höhere Deiche und natürliche Wasserrückhaltebecken. Sich aber auch gegen Trockenheit wappnen, also beispielsweise hitzetolerante Getreidesorten und Bäume pflanzen oder mehr Wasser zwischenspeichern, beispielsweise in unterirdischen Zisternen.

Sascha Oswald vergleicht die aktuell hohen Grundwasserstände mit einem Stopp an der Tankstelle auf einer langen Reise. Nach einer langen Durststrecke sei der Tank jetzt einmal aufgefüllt. „Aber wir wissen nicht, wann die nächste Tankstelle kommt.“

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