Sonntag, 4. August 2024

ERDÜBERLASTUNGSTAG - was soll uns das sagen? Fakten und Gedanken dazu

Geo hier MEINUNG von Peter Carstens 01.08.202

Die ökologische ist auch eine politische Krise

Schon am 1. August hat die Menschheit – rechnerisch – die Ressourcen verbraucht, die ihr für das ganze Jahr zur Verfügung stehen. Es ist kein Zufall, dass im Zeitalter von Überkonsum, Klima- und Artenkrise auch Demokratie und Menschenrechte unter Druck geraten

Am 1. August ist Erdüberlastungstag. Klingt nicht nach einem Grund zum Feiern. Ist es auch nicht. Es ist der Tag, an dem die Menschheit alle Ressourcen aufgebraucht hat, die die Erde im Lauf eines Jahres bereitstellen kann. Darunter fruchtbares Ackerland, Holz, Fische, aber auch die Aufnahmefähigkeit für Müll und Emissionen. So hat es das Global Footprint Network (GFN) errechnet. Anders ausgedrückt: Wir bräuchten 1,7 Erden, um nachhaltig über die Runden zu kommen. Man braucht nicht viel Fachwissen, um zu verstehen: Ab heute leben wir auf Pump. Oder: Irgendjemand, irgendwo, zahlt die Schulden, die wir jetzt anhäufen. Vor allem Menschen, die noch gar nicht geboren sind.

Aber was heißt eigentlich "wir"? Der Überkonsum ist global nicht gleich verteilt; wir Deutschen haben unsere Ressourcen für dieses Jahr nach GFN-Angaben sogar schon am 2. Mai verbraucht. Wenn alle so wirtschafteten wie wir, bräuchte die Menschheit also drei Erden. Das sah übrigens im Jahr 1961 – weiter reichen die UN-Datensätze nicht zurück – schon genauso aus. Wann Deutschland das letzte Mal nachhaltig gewirtschaftet hat, weiß niemand. Vielleicht in den 20er- oder den 30er-Jahren des 20. Jahrhunderts.

Nun sind die Berechnungen des GFN kein Selbstzweck. Sie sollen zeigen, dass und wie sehr die Menschen in den Ländern der Erde über ihre Verhältnisse leben – und damit auf Kosten anderer. Sie sollen moralischen Handlungsdruck aufbauen. Was also tun? Weniger Fleisch essen und Auto fahren? Auf das Fliegen verzichten? Kalt duschen? Klar ist, dass es klug wäre, von allem weniger zu verbrauchen. Aber wie Nachhaltigkeit im umfassenden Sinn des Ökologischen Fußabdrucks gelingen soll – das ist eine politische Frage.

Dass faktenbasierte Appelle ins Leere laufen, zeigt sich exemplarisch beim Klimawandel, einer Folge unseres Überkonsums von vielen: Lange dachten wir, die Zahlen sprächen für sich. "Nicht mehr als 1,5 Grad" ist doch eine klare Ansage, oder? "Listen to the science!" – es lässt sich leicht berechnen, wie viel CO2 jedes Land der Welt noch bis wann emittieren darf, damit die "Rettung des Klimas" gelingt. Heute müssen wir ernüchtert feststellen: Das 1,5-Grad-Limit ist nicht zu halten. Und die Wissenschaft ist im Konzert der öffentlichen Stimmen nur eine unter vielen. Am lautesten ist gerade eine, die die Wissenschaft anzweifelt, den menschengemachten Klimawandel sogar leugnet. Ob und wie das Klima zu schützen ist, wer verantwortlich ist und welche Kosten übernehmen muss: Das sind nicht nur in Deutschland, sondern überall auf der Welt Fragen, die gesellschaftlich ausgehandelt werden. Nie war das deutlicher zu sehen als heute, in den Zeiten eines fast globalen Rechtsrucks.

Der Soziologe Harald Welzer sagte einmal im GEO-Interview: "Wir haben einen historisch unvergleichlich hohen zivilisatorischen Standard, mit Errungenschaften wie Demokratie, Freiheit, Rechtsstaatlichkeit, Bildung, Gesundheits- und Sozialversorgung. All das verdanken wir der kapitalistischen Wachstumswirtschaft." Wachstum, so Welzer, sei aber nicht unendlich. "Die Frage ist: Wie können wir unseren Standard halten mit einem Fünftel oder einem Zehntel des heutigen Material- und Energieverbrauchs?" Das klang gut: Bewahren, was wirklich wichtig ist – und bei allem anderen Abstriche machen. Also beim materiellen Wohlstand. Und am besten freiwillig.

Womit wir nicht gerechnet haben: Ängste vor einem sozialen Abstieg, vor einer "Deindustrialisierung" Deutschlands, vor einem Leben "wie in der Steinzeit" lassen sich leicht aktivieren. Die Attraktivität von Wachstum und materiellem Wohlstand ist demgegenüber ungebrochen – und in weiten Teilen der Gesellschaft (die Medien eingeschlossen) immer noch unhinterfragt. Die Nachwirkungen der Corona-Pandemie, politische Krisen und Kriege befeuern die Sehnsucht nach dem vermeintlich Bewährten zusätzlich. Mit dem Ergebnis, dass immer mehr Menschen bereit sind, hohe zivilisatorische Standards auf dem Altar des materiellen Status quo zu opfern: "Weiter so" statt Demokratie.

Die ökologische Krise ist auch eine Krise der globalen Gerechtigkeit und der Menschenrechte. Das ist keine gute Nachricht. Wer in den kommenden Jahren für die Demokratie eintritt, sollte wissen, dass es um mehr geht.



ARD Tagesschau hier  01.08.2024 Von Stefanie Peyk, SWR

Trendwende bei der Erdüberlastung?

Ab heute sind alle natürlichen Ressourcen der Erde für dieses Jahr aufgebraucht. Die Umwelt- und Entwicklungsorganisation Germanwatch sieht aber Anzeichen für eine Trendwende.

Wir leben über unsere Verhältnisse - das ist die Botschaft des Erdüberlastungstags. Das genaue Datum wird jedes Jahr von der Umwelt-Denkfabrik Global Footprint Network berechnet. Dieses Jahr fällt der globale "Earth Overshoot Day" auf den 1. August. Danach leben wir ökologisch "auf Pump". 


Wir verbrennen Kohle, Öl und Gas,
wir versiegeln Böden,
 fällen Bäume,
produzieren Abfälle und
verschwenden Lebensmittel,
als gäbe es kein Morgen.


Für ihren Konsum bräuchte die Menschheit demnach eigentlich nicht nur eine Erde, sondern noch eine Dreiviertel Erde dazu. Wenn alle so leben würden wie die Menschen in Deutschland, wären sogar drei Erden nötig.

Player: Julia Pongratz, Institut für Geografie Ludwig-Maximilians-Universität München, zum Umgang mit den Ressourcen unseres Planeten
15 Min, tagesschau 24, 01.08.2024 14:00 Uhr
 
Trendwende beim CO2-Ausstoß in Sicht?
Jahrzehntelang hat die Erdüberlastung zugenommen, seit rund zehn Jahren stagniert sie auf hohem Niveau. Nun zeichnet sich zumindest beim CO2-Ausstoß eine Trendwende ab, glaubt Christoph Bals von der Umwelt- und Entwicklungsorganisation Germanwatch. 


"Das Wachstum erneuerbarer Energien,
aber auch von Stromspeichern, Elektromobilität und Wärmepumpen,
geht weltweit, vor allem in den G20-Ländern, durch die Decke


Wahrscheinlich überschreiten wir dieses Jahr weltweit den Höhepunkt der Nutzung von Kohle und Gas im weltweiten Strommarkt." Tatsächlich hat die Internationale Organisation für erneuerbare Energien kürzlich Zahlen zur weltweit neu installierten Kraftwerksleistung für 2023 veröffentlicht. 87 Prozent waren erneuerbare Energien.

China setzt massiv auf erneuerbare Energien
Auch die Entwicklung in China sei erfreulich, so Bals. Das Land ist der größte CO2-Verursacher des Planeten. Aber China gehöre auch zu den Spitzenreitern beim Ausbau der Erneuerbaren: "Es ist unglaublich, was sie im Moment zubauen. Und deshalb wird damit gerechnet, dass wir im vergangenen Jahr den Höhepunkt der fossilen Emissionen in China gesehen haben und dass es dieses Jahr, zumindest im Strombereich, jetzt erstmals bergrunter geht in China und nicht mehr bergauf."

Für Klima-Fachmann Bals zeigen diese Entwicklungen, dass die Menschen viel erreichen können, wenn sie nur wollen. Allerdings gebe es überhaupt keinen Grund, sich nun entspannt zurückzulehnen. "Wir sind noch längst nicht auf dem richtigen Pfad, um das 1,5 Grad-Ziel des Pariser Klimaabkommens einzuhalten." Dazu müssten die globalen Emissionen bis 2030 halbiert werden, erklärt Bals. Jetzt begännen sie vermutlich immerhin zu sinken, und zwar geplant.

Ist die Trendwende unausweichlich?
Mathis Wackernagel, Gründer des Global Footprint Network, das Jahr für Jahr das Datum des Erdüberlastungstags bestimmt, sagt: „Die Trendwende kommt, ob wir wollen oder nicht“. Die Erdüberlastung werde zwangsläufig enden. Die Frage sei nur, wie -"by design or by disaster"

Wir könnten unseren Ressourcen-Verbrauch schnell und planvoll herunterfahren, oder wir würden durch die planetaren Krisen und Konflikte um Ressourcen dazu gezwungen, so Wackernagel. Es werde künftig schlicht schwieriger, die Läden zu füllen.

Es gibt Lösungen, um den Planeten zu entlasten
Stellschrauben, um den Erdüberlastungstag im Kalender nach hinten zu schieben, gibt es viele. Das Global Footprint Network listet sie auf. 

Ein Beispiel sind CO2-Preise, etwa für die Verbrennung von Benzin, Heizöl und Gas. Solche Preise gibt es in Deutschland schon. Die Frage ist, ob sie sinnvoll ausgestaltet sind. Als ein weiteres Beispiel nennt Wackernagel den Städtebau. "Eine Stadt in Amerika, die sehr zersiedelt ist, braucht vielleicht vier Mal mehr Ressourcen als eine Stadt, die sehr kompakt ist und in der man zu Fuß oder mit dem Fahrrad alles erreichen kann."

Weshalb Mülltrennung etwas bringt
Eine andere Stellschraube wäre eine echte Kreislaufwirtschaft. Je mehr Abfall vermieden wird, je mehr Rohstoffe wiederverwendet oder recycelt werden, desto besser. Schon eine einzelne große Recycling-Firma und ihre rund 50.000 Kunden könnten mit Kreislauflösungen und Recycling einen Einfluss auf den ganzen Planeten haben, so Wackernagel. "Mit einem Unternehmen in Deutschland haben wir berechnet: Wenn es sie nicht gäbe, wäre der Erdüberlastungstag schon sieben Minuten früher." Unter anderem macht die Firma aus Plastikmüll aus dem Gelben Sack Recycling-Kunststoff. Aus diesem werden dann zum Beispiel Radtaschen, Deckel für Stifte oder Farbeimer für Baumärkte.

Auch eine andere Ernährung könnte helfen, den Erdüberlastungstag nach hinten zu verschieben, etwa wenn wir weniger Fleisch essen und weniger Lebensmittel verschwenden würden.

Warum es sich lohnt, Frauen zu fördern
Wackernagel schneidet auch ein kontroverses Thema an, nämlich die vorerst weiter wachsende Weltbevölkerung: "Sehr wesentlich, langfristig gesehen, ist: Wie viele sind wir? Wären wir weniger, hätte es mehr Welt pro Kopf."

Natürlich ist der ökologische Fußabdruck von Menschen in armen Ländern derzeit viel kleiner als der der Reichen. Aber auch die Welthungerhilfe fürchtet, dass der Druck auf die Ressourcen weiter steigt, wenn in Zukunft statt acht fast zehn Milliarden Menschen auf diesem Planeten leben sollten.

Mathis Wackernagels Lösung: Frauen fördern. "Wenn Frauen gleichberechtigt sind, Zugang haben zu Erziehungsmöglichkeiten, zu Bildungsmöglichkeiten, zu Gesundheitsversorgung, zu wirtschaftlichen Möglichkeiten, politisch aktiv sein können, dann werden die Familien automatisch kleiner, aber auch gesünder, besser ausgebildet." Die Investition in Frauen lohne sich also gleich mehrfach.

Die natürlichen Lebensgrundlagen erhalten
Aus Sicht des Global Footprint Network ebenfalls zentral: ein wirksamer Schutz der Ökosysteme und eine nachhaltige Landwirtschaft. Schließlich sei die Menschheit auf fruchtbare Böden, sauberes Wasser und saubere Luft angewiesen - genauso wie auf lebendige Wälder und Meere. Dabei drängt die Zeit. Wenn Tier- und Pflanzenarten einmal ausgestorben sind, sind sie für immer verloren. Und das Risiko, dass wir Klima-Kipppunkte überschreiten, steigt mit jedem Zehntelgrad Erderhitzung.

Verfassungsbeschwerden für mehr Klimaschutz
Verschiedene deutsche Umweltverbände wollen auch die Bundesregierung stärker in die Pflicht nehmen. Deren Klimapolitik sei unzureichend, meint Christoph Bals von Germanwatch: "Es ist absolut katastrophal im Verkehrsbereich, wo der Verkehrsminister in den letzten Jahren eher eine Verhinderungspolitik als eine Klimapolitik betrieben hat." Das Klimaschutzgesetz habe die Bundesregierung entkernt. Darum erheben die Verbände Verfassungsbeschwerden beim Bundesverfassungsgericht.

Player: audio Erdüberlastung - Trendwende in Sicht?
Erdüberlastung - Trendwende in Sicht?
00:0005:56

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