Die Schweizer Klimaseniorinnen lassen grüßen!Auch der Autor in der NZZ, einem sehr konservativen Blatt, kommt zum Ergebnis, dass bislang zu wenig getan wird gegen die Hitze, die insbesondere ältere (und laut anderen Artikeln auch ganz junge) Menschen bedroht. Hier scheint tatsächlich ein wichtiger Handlungsansatz der Anpassung zu liegen. Sein Gesamt-Ansatz scheint vernünftig zu sein.
Es stimmt natürlich: es gab viele Unwetter- Einzelereignisse in diesem Jahr, das noch lange nicht zu Ende geht. Aber irgendwann muss man sich auch fragen: Ab wie vielen Einzelereignissen kann man von einem Trend ausgehen? Und vor allem: wird es denn bei eben dieser Quote bleiben? Ist es nicht sehr wahrscheinlich, dass mit absehbar zunehmendem Temperaturanstieg auch die Unwetter-Quote ansteigt?
Und damit hat man erst die Anpassung bedacht - noch viel wichtiger wäre es doch, jetzt sofort gewichtige Klimaschutzmaßnahmen einzuführen, um die Auswirkungen so gering wie möglich zu halten? Also wären wir wieder beim wegweisenden Straßburger Urteil der Klimaseniorinnen gelandet.
hier NZZ 02.08.2024,Sven Titz
Hitze ist
in der Schweiz eine viel grössere Gefahr als Murgänge – Naturrisiken müssen
umfassend analysiert werden
Die hohen Temperaturen in Südeuropa erinnern daran, was uns künftig im Sommer auch hierzulande blühen kann.
Das Leben im Gebirge ist gefährlich – daran wurden die Schweizer in diesem Sommer durch eine Reihe von Unwettern zur Genüge erinnert. Im Wallis, im Tessin und in Graubünden zerstörten Hochwasser und Gerölllawinen etliche Gebäude und Strassen; es gab mehrere Todesopfer. Seitdem hat eine lebhafte Diskussion über den Umgang mit den Naturgefahren eingesetzt.
Diese Diskussion wird leidenschaftlich geführt, und das ist gut nachvollziehbar. Doch manche Argumente wirken kurzsichtig und einseitig. Auch werden die Unwetter von einigen Akteuren für ihre politischen Ziele instrumentalisiert, was die Debatte verzerrt. Wer die Risiken durch meteorologische Gefahren verringern will, sollte Einzelereignisse nicht überbewerten – und auch nicht übersehen, dass Hitzewellen die viel grössere Gefahr sind, mit der wir in Zukunft im Sommer rechnen müssen.
Gut begründet ist die Kritik, der Hochwasserschutz im Rhonetal sei vernachlässigt worden. Die dritte Rhonekorrektion im Wallis hat schon vor den Überschwemmungen begonnen, doch es gibt Bremser. Jetzt wurde drastisch unter Beweis gestellt, was Fachleute zuvor immer wieder gesagt hatten: dass die Vollendung überfällig ist. Über die Details der Rhonekorrektion kann man aber sicher noch diskutieren.
Sollte man einzelne Täler in den Alpen räumen?
Zum anderen wurde in den vergangenen Wochen darüber spekuliert, ob man nicht einige Alpentäler räumen müsse. Denn in Zukunft werde es zu teuer werden, den Schutz vor Hochwasser und Gerölllawinen zu gewährleisten. Eine so pauschale Folgerung ist aber verfrüht und überzogen.
Es gibt unterschiedliche Motive für die dramatisierend wirkende Äusserung zu den Alpentälern. Manche wollen durch den Schockeffekt den Klimaschutz voranbringen, andere sind dankbar für ein weiteres Argument gegen die Subventionierung der alpinen Landwirtschaft, die sie kritisch sehen. Oft werden Naturereignisse für Partikularinteressen ausgeschlachtet.
Einzelne Unwetter lehren nichts grundsätzlich Neues
Die Katastrophen der vergangenen Monate, ob im Bavonatal oder im Misoxtal, sind schrecklich. Nichtsdestoweniger handelt es sich um Einzelereignisse. Sie liefern gewiss Informationen zu den lokalen Gefahren und Risiken. Aber man kann daran kaum etwas Allgemeines ablesen, das man nicht schon zuvor gewusst hätte.
Wer sich bei der Risikovorsorge und bei der Anpassung an den Klimawandel hauptsächlich an Einzelereignissen orientiert, läuft Gefahr, grundsätzliche Fakten und langfristige Entwicklungen zu übersehen und darum Prioritäten falsch zu setzen. Um Massnahmen zu entwickeln, mit denen sich künftige Unwetterschäden vermeiden lassen, sollte man sich auf eine umfassende und gründliche Risikoanalyse stützen und anschliessend die Machbarkeit der Massnahmen prüfen.
Dabei ist es sinnvoll, sich vorrangig an vier Punkten zu orientieren:
- Gegenüber welchen Naturgefahren ist das Land am verletzlichsten?
- Wie wahrscheinlich sind diese Gefahren und ändert sich daran etwas?
- Wächst die Verletzlichkeit gegenüber den Gefahren, etwa durch Neubauten, und lässt sich das vermeiden?
- Welche Massnahmen haben ein günstiges Kosten-Nutzen-Verhältnis?
Punktuell kann eine Umsiedlung gut begründet sein
Gewiss: Die kantonalen Gefahrenkarten sollten an Orten, an denen jetzt Gerölllawinen heruntergekommen sind oder wo sich extreme Hochwasser ereignet haben, geprüft und gegebenenfalls überarbeitet werden. Sollte eine Revision der Risikoanalyse für einzelne Täler eine andere Beurteilung ergeben als zuvor, kann das lokale Konsequenzen bis hin zur Umsiedlung nach sich ziehen. So ist es schon früher geschehen, zum Beispiel in Guttannen (Kanton Bern), in Weggis (Kanton Luzern) oder in Schwanden (Kanton Glarus).
Die Betonung liegt aber auf den Worten «für einzelne Täler». Man sollte jetzt nicht gleich das Kind mit dem Bade ausschütten und in sämtlichen entlegenen Alpentälern der Schweiz vor den Naturgefahren kapitulieren.
Ohnehin ist zu beachten: Hochwasser und Murgänge sind beileibe nicht die einzigen Gefahren, die wegen des Klimawandels grösser werden können. Unter dem Eindruck der diesjährigen Unwetter sollte man andere Naturgefahren nicht aus den Augen verlieren.
Die Risiken durch Hitze sollten präsent bleiben
In diesem Sommer stehen Wetterrisiken im Vordergrund, die sich durch ein Übermass an Wasser ergeben. Doch die vergangenen Jahre waren durch Dürre und Hitze geprägt. In diesen Wochen muss man nur nach Südeuropa schauen, um zu erkennen, dass sich die heisse, trockene Luft bloss ein paar hundert Kilometer weit verzogen hat. Sie wird irgendwann auch hierzulande wieder zu spüren sein.
Im Zuge des Klimawandels werden die Sommertemperaturen in der Schweiz immer weiter steigen. Bis Bern und Zürich das erste Mal unter Höchsttemperaturen um 40 Grad Celsius zu leiden haben werden – das ist bloss noch eine Frage der Zeit. Zugleich wird die Bevölkerung immer älter, so dass die Zahl der vulnerablen Menschen ständig zunimmt. Bei einer Hitzewelle kann diese Kombination ernste gesundheitliche Folgen für viele Personen haben.
Forscher der Universität Bern haben, gemeinsam mit Kollegen in den Niederlanden und den USA, im vergangenen Jahr die Wirkung abgeschätzt. Gemäss ihrer Studie würden bei einer Erderwärmung um zwei Grad Celsius gegenüber vorindustriellem Niveau pro Jahr im Durchschnitt mehr als 1200 Personen wegen Hitze in der Schweiz sterben – zwischen 1990 und 2010 waren es noch rund 300 pro Jahr. Wir sprechen hier also über eine potenzielle Vervierfachung der Hitzetoten. Diese Entwicklung lässt sich vermeiden, wenn Massnahmen zum Schutz vor Hitzewellen rechtzeitig und deutlich verbessert werden.
Zwischen verschiedenen Massnahmen abwägen
Gerölllawinen sind schrecklich, aber da es sich um lokale Ereignisse handelt, die dünn besiedelte Gebiete treffen, sterben dabei weniger Menschen als bei Hitzewellen. Es wäre bedauerlich, wenn wir uns in ein bis zwei Jahrzehnten fragen müssten, warum wir so viel für den Schutz vor Murgängen in Alpentälern getan haben, aber immer noch nicht genug für den Schutz gegen Hitze, vor allem in urbanen Ballungsräumen.
Der Kanton Bern zum Beispiel hat bereits einen Hitzeaktionsplan entworfen. Dazu zählt die Information der Bevölkerung und insbesondere der vulnerablen Gruppen ebenso wie der Aufbau eines Frühwarnsystems und die Organisation von Orten, an denen sich die Menschen abkühlen können. Die Arbeit an solchen Hitzeaktionsplänen, ob auf kantonaler oder auf kommunaler Ebene, sollte auch in einem feuchten, weniger heissen Sommer wie 2024 weitergehen – nicht nur in Bern.
Ausserdem: Bessere, schnellere Warnsysteme, die mehr Menschen erreichen als bisher, würden bei vielen Naturgefahren nützen – bei Hitze ebenso wie bei Sturzregen oder Murgängen. Manche Länder verschicken, wenn Unwetter bevorstehen, automatisch Warnmeldungen an sämtliche Handys in dem betroffenen Gebiet. Es wäre zu überlegen, ob sich so eine Massnahme nicht auch für die Schweiz anbietet.
Automatische Warnungen an das Handy sind eine Option
Nicht jeder nimmt das bereits bestehende Angebot wahr, die Warn-App «Alertswiss» des Bundesamts für Bevölkerungsschutz auf dem Handy zu installieren. Gerade Touristen aus dem Ausland sind oft nicht im Bilde, wo und wie schnell es in den Bergen gefährlich werden kann. Eine automatische Warnmeldung würde helfen, bei extremen Risikolagen Verletzungen zu vermeiden, vielleicht sogar Leben zu retten und, last, but not least, teure Rettungsmassnahmen einzusparen.
Nach den Unwetterkatastrophen dieses Sommers gilt es, einmal tief durchzuatmen. Anschliessend sollte man gründlich nachprüfen, ob sich die Risikoanalyse durch die Ereignisse tatsächlich verändert hat. Wo das der Fall ist, braucht es geeignete Massnahmen.
Von einer langfristig wirksamen und ausgewogen konzipierten Vorsorge gegen Naturrisiken sollte man sich durch diesen Unwettersommer aber nicht abbringen lassen.
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