Wie in den USA Anfang November gewählt wird, das liegt sicher nicht in unserer Hand. Aber es wird, neben den Entscheidungen in China, große Auswirkungen auf uns alle haben hier
Daher ist die aktuelle Begeisterung für die Kandidatin der Demokraten so etwas wie ein Hoffnungsschimmer für die ganze Welt.
Einmal kurz Durchschnaufen vor der Entscheidung, um dann danach ganz pragmatisch weiter zu machen bei der Arbeit gegen den Klimawandel - was sonst bleibt uns übrig?
Aus der ZEIT Nr. 33/2024 31. Juli 2024
Klimapolitik der USA: Kippt da was?
Die mächtige Öl- und Gaslobby bestimmt in den USA von jeher die Politik. Donald Trump hilft’s. Mit viel Geschick könnte Kamala Harris dem Klimaschutz trotzdem neues Gewicht verleihen.
Stellen Sie sich vor, ein Hurrikan kommt auf Ihr Wohnhaus zu. Aber Sie wissen nichts davon. Keine Warnung blinkt auf Ihrem Smartphone. Keine offizielle Stelle versorgt den Radiosender in Ihrer Nähe mit Informationen darüber, wann oder wie stark der Wirbelsturm Sie treffen wird und ob Sie sich in Sicherheit bringen müssen. In Ihrem Land gibt es nämlich keinen staatlichen Dienst mehr, der das Wetter für alle Menschen unabhängig voraussagt. Ihre Regierung hat ihn abgeschafft.
Dieses Gedankenspiel könnte ein reales Szenario für die Bürger der Vereinigten Staaten werden, sollte Donald Trump im Herbst die Präsidentschaftswahl gewinnen. Zumindest steht im Plan "Project 2025" von rechten Vordenkern der Republikanischen Partei, dass die Nationale Ozean- und Atmosphären-Behörde (NOAA) aufgelöst wird. Ihre Vorhersagen sollen privaten Firmen überlassen werden – und ihre Erhebungen zu den Klimaveränderungen im Land ganz wegfallen.
Die Idee passt zu Trump. Schon während seiner ersten Präsidentschaft versuchte er, der Wetterbehörde Geld zu streichen. Damals beschnitt er auch der nationalen Umweltschutzagentur das Budget und die Befugnisse. Er weichte sogar eine 32 Jahre alte Verordnung zum Wassersparen auf und erhöhte die Grenze für den erlaubten Wasserdruck in Duschen. Damit er, wie er sagte, sein "schönes üppiges Haar" besser waschen könne. Was also ist klimapolitisch von einer zweiten Trump-Regierung zu erwarten – in einem Land, das sechs Milliarden Tonnen Klimagas im Jahr ausstößt, siebenmal so viel wie Deutschland und nur übertroffen von China? Und wäre die Welt wirklich so anders, wenn Kamala Harris, die wahrscheinliche Gegenkandidatin, gewählt würde?
Glaubt man Dan Kammen, dem Klimaforschungsstar der kalifornischen Universität Berkeley, wäre der Unterschied gewaltig. Schon die Regierung von Joe Biden habe riesige Erfolge fürs Klima errungen, erzählt er in einem Videocall aus Bali. Den Inflation Reduction Act (IRA) etwa, der rund 350 Milliarden Euro für saubere Technologien bereitstellt. Oder das Gesetz, mit dem die Entwicklung grüner Hightech zurück ins Land geholt wurde. Und nicht zuletzt die Initiative "Justice 40", die 40 Prozent der Mittel solcher Programme in die armen Regionen des Landes leiten soll.
Dan Kammen schwärmt fast wie ein Politiker. Er beriet schon die Obama-Regierung. 2017 kam dann Trump an die Macht. Aus Protest gab Kammen sein Amt als Wissenschaftskoordinator zurück. "Damals war Trump auch gegen Klimapolitik, aber er konzentrierte sich nicht darauf, sie abzuschaffen", sagt Kammen. "Diesmal wäre er zerstörerischer." Was von den Mitteln des IRA noch nicht ausgegeben sei, würde Trump anderweitig verwenden. Und er würde erneut aus dem Pariser Klimaabkommen aussteigen.
Laut Kammen droht mit Trump
also eine ökologische Abrissbirne.
Der Unterschied zu den Demokraten könne kaum größer sein.
Wirklich? Jeffrey Sachs, der als Harvard-Ökonom die Nachhaltigkeitsinitiativen der Vereinten Nationen prägte, hat seine Zweifel.
Erwarten Sie bitte nicht viel von den Demokraten
Und erwarten Sie noch weniger von den Republikanern.
Beide Parteien würden massiv von der Öl- und Gasindustrie finanziert. Gleichzeitig spiele auch die grüne Lobby auf beiden Seiten eine Rolle. "Sogar Trump hat jetzt mal ein paar respektvolle Worte über E-Autos verloren, da Tesla-Chef Elon Musk seinen Wahlkampf unterstützt."
Ja, meint Sachs, die Republikaner könnten den IRA verwässern. Und die Öl- und Gasindustrie dürfte noch mehr Bohrrechte auf öffentlichem Land und mehr Unterstützung für neue Pipelines erwarten. Doch allzu groß sei der Unterschied zu den Demokraten nicht. Die Wende zu erneuerbaren Energien würde nur verlangsamt und nicht gestoppt, weil erzrepublikanische Bundesstaaten wie Texas oder Oklahoma davon profitierten. Und mit Trump gebe es keinen nationalen Plan für ein landesweites grünes Stromnetz, das Wind- und Sonnenenergie in die großen Städte bringt.
Der größte Öl- und Gasproduzent der Erde
Für Sachs sind das eher Detailprobleme in einem insgesamt dysfunktionalen System. Zwar investieren nicht bloß progressive Bundesstaaten wie Kalifornien in Erneuerbare. Doch die konservativen Regionen üben extremen Druck auf das Weiße Haus aus, den Weg für mehr Öl und Gas frei zu machen. "Das Beste, was wir erleben könnten, ist eine Politik des Alles-auf-einmal", resümiert Jeffrey Sachs. "Und die ist natürlich Blödsinn." Der Schlüssel sei es, das Fördern und die Nutzung fossiler Brennstoffe zu verringern.
Die USA sind eben nicht nur der zweitgrößte Treibhausgas-Emittent, sondern auch der größte Öl- und Gasproduzent der Erde. Wer nicht an beiden Enden ansetzt, wird die Erderhitzung nicht aufhalten. Deshalb ist die Umweltbilanz des gegenwärtigen Präsidenten Joe Biden eben gemischt. Gleich am Anfang seines Schreibens, mit dem er nun aus dem Rennen um die Wiederwahl ausstieg, verwies er selbst auf den IRA als das "größte Klimaschutzgesetz in der Geschichte". Auf die USA bezogen stimmt das. Doch sein Versprechen, neues Fracking zumindest auf öffentlichem Grund und Boden zu unterbinden, hat er nicht eingehalten. Noch nie hat eine Nation so viel Öl produziert wie die USA unter Biden. Während seiner Amtszeit erhielten die Öl- und Gasunternehmen noch mehr Förderlizenzen als unter Trump. Auch für das umstrittene Willow Project, das es ConocoPhillips erlaubt, in der bisher fast unberührten arktischen Region Alaskas zu bohren, gab Biden grünes Licht.
Aber mehr geht immer, und das weiß Donald Trump. Bei einem Dinner mit den Spitzen großer Energiekonzerne sagte er kürzlich, sie sollten eine Milliarde Dollar für seinen Wahlkampf spenden, im Gegenzug würde er sämtliche Umwelt- und Klimaregulierungen der Biden-Regierung rückgängig machen. Das berichteten Teilnehmer der Washington Post.
Die entscheidende Frage fürs Klima ist, ob Kamala Harris aus diesem Überbietungswettbewerb herausfinden könnte. Ganz ausgeschlossen scheint das nicht zu sein.
Anders als Biden hat Harris sich für ein Verbot von Fracking ausgesprochen. Sie forderte auch eine CO₂-Steuer und outete sich als "Riesenfan" von Wärmepumpen. Als Harris sich 2019 warmlief für eine eigene Präsidentschaftskandidatur, war ihre Agenda grüner als die von Joe Biden. Gemeinsam mit dem progressiven Flügel der Partei plädierte sie für einen Green New Deal und versprach bis zu zehn Billionen Dollar, um die US-Wirtschaft bis 2045 aus der Abhängigkeit von fossilen Brennstoffen zu lösen und klimaneutral zu machen.
In der Zeit zuvor hatte sie nicht bloß geredet, sondern auch gehandelt. Als Bezirksstaatsanwältin in San Francisco gründete sie eine Einheit zur Verfolgung von Umweltverstößen, die vor allem ärmere Gegenden in Mitleidenschaft zogen. Später, als Kaliforniens Generalstaatsanwältin, ermittelte Harris gegen ExxonMobil, weil der Ölriese die Öffentlichkeit über die Klimarisiken getäuscht habe. Zur Anklage kam es nicht. Dafür dürften sich deutsche Autobauer an ihren Namen mit Schaudern erinnern. Bei der Diesel-Abgasaffäre, für deren Beilegung Volkswagen rund 15 Milliarden Dollar zahlte, gehörte Harris zu den staatlichen Klägern. Und auf der Weltklimakonferenz in Dubai kündigte sie als Vizepräsidentin den ehrgeizigen Plan an, in den USA bis 2030 die Energieeffizienz zu verdoppeln und die Kapazität erneuerbarer Energien zu verdreifachen. Entsprechend schnell haben amerikanische Umweltorganisationen wie der Sierra Club nun eine Wahlempfehlung für Harris ausgesprochen.
Harris verbindet Klimapolitik mit sozialen und ökonomischen Fragen
Bei aller Begeisterung: Im umkämpften Swing-State Pennsylvania, dem Zentrum der Erdgasförderung, würde ein Fracking-Bann als Kriegserklärung empfunden. Und in Michigan mit seiner Autoindustrie fürchten viele die Umstellung auf elektrische Fahrzeuge als Jobkiller. Donald Trump schürt solche Ängste, so gut er kann, und warnt etwa vor einem "Blutbad" für die Autohersteller. Wie kann Kamala Harris damit umgehen, ohne ihre progressiven Ideen gleich wieder zu opfern?
Anfang Juli erschien in den USA ein Buch über die Narrative der Öl- und Gasindustrie und darüber, wie man sie erfolgreich bekämpft. Geschrieben hat es die amerikanische Autorin und Aktivistin Genevieve Guenther, die an der Universität The New School in Manhattan lehrt. Zwei Wochen nach dem Erscheinen ihres Buches sitzt sie an ihrem Schreibtisch in New York vor dem Videochat und blickt in die Zukunft. Während auch sie vor einem Sieg der Republikaner warnt und sagt, "Trump würde die Welt in Brand stecken", hat Guenther auf Kamala Harris einen eigenen Blick: "Vizepräsidentin Harris hat eine Vorgeschichte, die sehr ermutigend ist. Sie hat verstanden, in welcher Situation wir sind, und ist bereit, das Problem anzugehen. Ich glaube, dass Harris Amerika auf den richtigen Weg bringen kann."
Ihr Optimismus hat unter anderem mit einer Beobachtung zu tun, die man macht, wenn man sich durch Videos von Kamala Harris klickt. Wird sie nämlich bei öffentlichen Auftritten zum Klima befragt, so antwortet Harris nie ausschließlich mit ökologischen Argumenten. Sie verbindet diese stets mit sozialen und ökonomischen Fragen. Wenn Harris also über neue Elektrobusse redet, verspricht sie, dass die Elektrifizierung Arbeitsplätze schaffen werde und noch dazu armen Kindern helfe, zur Schule zu kommen. Erzählt sie von Maßnahmen gegen die Luftverschmutzung, schwärmt sie im nächsten Satz davon, dass diese gerade Kinder in Armenvierteln vor Asthma schützen würden.
Genevieve Guenther sieht darin mehr als die Masche einer Politikerin mit indischen und jamaikanischen Wurzeln, die alles mit dem Thema Gleichberechtigung verbinden will. Es sei ihr mit beiden Aufgaben ernst. Die Angst, dass die Klimawende dann als ultralinkes Projekt angesehen werde, sei unberechtigt. "Klimapolitik muss das Leben der Menschen, die es schwer haben, besser machen. Nur so können die Umweltkämpfer sich im Amt halten."
Und so, glaubt Guenther, die Expertin für politische Narrative, könne Kamala Harris die Wahl gewinnen. "Wenn viele schwarze Amerikaner zur Wahl gehen, wird Harris gewinnen. Um die zu begeistern, hilft es, zu sagen, dass sie etwas gegen das Asthma ihrer Kinder tun will", sagt Guenther. Tatsächlich sorgen sich nichtweiße Amerikaner besonders um die Umwelt. Eine Untersuchung der Uni Yale zeigt, dass 64 Prozent der Latinos in den USA und 61 Prozent der schwarzen Amerikaner besorgt bis alarmiert wegen der Erderwärmung sind. Von den weißen Amerikanern sind das nur 50 Prozent. Laut der Washingtoner Brookings Institution machen sich schwarze Wähler nicht nur mehr Sorgen als der Durchschnitt, sie haben auch eine höhere Bereitschaft, Klimapolitik aktiv zu unterstützen.
Auf YouTube gibt es ein Video von 2023, gefilmt bei einem Klima-Gespräch des Aspen Institute. Gut gelaunt sitzt Kamala Harris neben der Moderatorin, lacht und ruft immer wieder: "Ich bin begeistert!" In euphorischem Ton erzählt sie, dass der Klimaschutz die Wirtschaft beflügeln werde. "Ich denke an die Schaffung von Jobs, an Produktion. Ich denke an die Produktion in den USA." Solche Sätze helfen überall dort, wo das ökonomische Interesse größer ist als das ökologische. Schließlich müsste Harris für eine nationale Klimawende unterschiedlichste Gruppen erreichen. "Wir müssen das Klima zu einer multiethnischen und sozialen Frage machen", sagt Genevieve Guenther.
Genau darin steckt die Logik der Hoffnung: Klimapolitik den verschiedenen Klientelen nahebringen – mit unterschiedlichen, wenn auch nicht widersprüchlichen Erzählungen. Diese Logik könnte erst der Wahlkämpferin Kamala Harris und dann dem Klima helfen.
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