ZDF hier von Nathan Niedermeier 05.11.2022
Droht erneutes Fischsterben?
Bei der Hälfte der deutschen Flussgebiete sind heute weniger Flüsse in gutem Zustand als in früheren Untersuchungen angenommen. Das zeigt eine Recherche des ZDF-Magazins frontal.
Bis spätestens 2015 sollten die Gewässer in gutem Zustand sein, nicht nur in Deutschland, sondern in ganz Europa. Das hatten die EU-Mitgliedsstaaten mit der Wasserrahmenrichtlinie schon im Jahr 2000 festgelegt.
Doch statt der geforderten 100 Prozent erreichen heute in Deutschland gerade mal neun Prozent der deutschen Gewässer den guten ökologischen Zustand. Eine massive Verfehlung der Zielvereinbarungen. Das gesteht auch der Vorsitzende der Umweltministerkonferenz, Olaf Lies, gegenüber dem ZDF ein:
Der ambitionierte Weg, den wir uns vorgenommen haben und das, was wir erreicht haben,
passt tatsächlich nicht zusammen.
Olaf Lies, Vorsitzender Umweltministerkonferenz
Umweltverbände fordern deshalb, dass die EU Deutschland verklagen müsste:
Wir haben 2018 eine sehr umfangreiche Beschwerde abgegeben an die EU. Danach ist nichts passiert. Und jetzt müsste eigentlich die EU Deutschland verklagen.
Thomas Norgall, BUND Hessen
Flussgebiete in noch schlechterem Zustand
Das Problem: Es geht nicht nur schleppend voran, sondern der Zustand der Flüsse ist nach Recherchen von frontal zum Teil sogar noch schlechter als in früheren Untersuchungen angenommen. Das zeigen Zahlen des Bundesumweltamtes und der Umweltagentur der EU. Demnach erreichen heute bei der Hälfte der deutschen Flussgebiete sogar weniger Flüsse einen guten Zustand als noch im Jahr 2010 angenommen.
Eine Begründung dafür könnten möglicherweise Bewertungsverfahren sein, die sich zwischen 2010 und 2016 geändert haben. Diese haben sich dann zwischen 2016 und heute allerdings nicht mehr geändert. Und auch ein Vergleich zwischen diesen Zeiträumen zeigt, dass sich bei zwei der zehn Flussgebiete heute weniger Flüsse in gutem Zustand befinden als noch 2016.
Das trifft auf das Flussgebiet der Ems zu. Hier erreicht heute kein einziges Fließgewässer einen guten Zustand. Und auch im Gebiet der Schlei und Trave sind die Zahlen rückläufig. Hier erreichen heute nur noch ein Prozent der Flüsse einen guten Zustand.
Wie in der Oder: Sorge vor erneutem Fischsterben
Dieser schlechte Zustand der Flüsse ist für die Wissenschaft und Naturschützer Grund zur Sorge vor weiteren Katastrophen wie an der Oder. Diesen Sommer waren in dem deutsch-polnischen Grenzfluss bis zu 50 Millionen Fische verendet. Auch Muscheln und anderen Kleinstlebewesen starben.
Verantwortlich dafür war die Brackwasseralge Prymnesium Parvum, die diesen Sommer in der Oder insbesondere durch eine massive Salzkonzentration ideale Wachstumsbedingungen vorfand. Ihr Gift greift die Kiemen von Fischen, Muscheln und anderen Lebewesen an, die über Kiemen atmen. In der Folge sterben die Tiere.
Hohe Salzkonzentrationen sind auch in dem Fluss Werra seit Jahrzehnten Normalzustand. Eine aktuelle Genehmigung zum Einleiten salzhaltiger Abwässer erlaubt sogar noch höhere Salzwerte in der Werra, als in der Oder zum Höhepunkt der Katastrophe gemessen wurden.
Kein Handlungsbedarf in Hessen?
Das hessische Umweltministerium sieht dennoch keinen Handlungsbedarf. Auf die Frage, ob die Genehmigung nach der Oder-Katastrophe noch vertretbar sei, teilt das Ministerium gegenüber dem ZDF mit, der Zustand in Oder und Werra sei nicht vergleichbar, denn:
An der Oder hat es sich offensichtlich um ein Ereignis gehandelt,
das eine abrupte Änderung unter anderem des Salzgehaltes zur Folge hatte.
An der Werra erfolgt die Einleitung salzhaltiger Abwässer seit Jahrzehnten.
Umwelministerium Hessen, schriftliche Antwort
Thomas Norgall vom Bund für Umwelt und Naturschutz Hessen bewertet die Salzbelastung in der Werra anders. Eine Katastrophe wie an der Oder drohe auch hier:
Wir halten gerade die Luft an, wann das Fischsterben losgeht.
Dazu braucht man Wärme, die Alge und das Salz ist schon da.
Thomas Norgall, BUND Hessen
Sollte sich am Umgang der Flüsse nichts ändern, müssen wir uns laut der Wissenschaft in Zukunft auf weitere ökologische Katastrophen wie an der Oder einstellen und die dürften sich durch den voranschreitenden Klimawandel noch verschärfen.
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