Süddeutsche Zeitung hier 16. Juli 2022 Von Thomas Hummel
Hitzeaktionspläne
Deutschland wird schwitzen. Warum es wichtig ist, dass Kommunen einen Aktionsplan für extrem heiße Tage entwickeln - und weshalb so wenige das bisher getan haben.
....Aus Spanien und Frankreich weht heiße Luft heran, Deutschland wird schwitzen. Vor allem den Westen soll es erwischen, mancherorts könnte der Deutsche Wetterdienst (DWD) die Hitzewarnstufe II ausrufen. Das gab es selten. Sie wird erst aktiviert, wenn am frühen Nachmittag die gefühlte Temperatur mehr als 38 Grad Celsius beträgt.
Bis zum Ende des Jahrhunderts erwarten Forscher bis zu 40 Tage mit mehr als 30 Grad pro Jahr
Die Temperatursprünge nach oben sind in den vergangenen Jahren erheblich gewesen. Erlebte Deutschland laut Statistischem Bundesamt in den 1960er-Jahren durchschnittlich einen oder zwei Tage mit 30 Grad oder mehr pro Jahr, waren es 2018 mehr als 20 Tage. Bis zum Ende des 21. Jahrhunderts erwarten Forscher bis zu 40 Tage mit mehr als 30 Grad pro Jahr.
Im Hitzesommer 2003 starben europaweit mehr als 70 000 Menschen, es war eine stille, aber eine der tödlichsten Naturkatastrophen des Kontinents. Niemand war damals vorbereitet auf wochenlange, extrem hohe Temperaturen. In den Gesundheits- und Pflegesystemen gab es folgenschwere Engpässe. Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) gab schon 2008 "Hitze-Gesundheits-Aktionspläne" heraus. Bis die Deutschen nachzogen, dauerte es neun Jahre. Auf den Erkenntnissen der WHO basierend, veröffentlichte eine Arbeitsgruppe von Bund und Ländern 2017 "Handlungsempfehlungen für die Erstellung von Hitzeaktionsplänen zum Schutz der menschlichen Gesundheit".
Diese sind allerdings sehr allgemein gehalten. So sollen Bundesländer zentrale Koordinationsstellen eröffnen, man soll das Hitzewarnsystem des DWD nutzen oder Risikogruppen besonders beachten. Die konkrete Umsetzung liegt bei den Kommunen. Mannheim hat als eine der ersten seither einen eigenen Aktionsplan verabschiedet.
Auf 135 Seiten formuliert die Stadtverwaltung, wie sie sich vorbereiten will und wie Akutmaßnahmen aussehen können. Diesen Sommer sollte eigentlich die Pilotphase laufen. Doch daraus wird wohl ein erster Ernstfall. An zehn der kommenden zwölf Tage sind mehr als 30 Grad vorhergesagt. Es soll zu sogenannten Tropennächten kommen, in denen es nicht kälter als 20 Grad wird. Für den menschlichen Körper ist das besonders problematisch, weil er sich dann kaum mehr erholen kann.
Besonders wichtig ist den Planern in Mannheim, gefährdete Gruppen der Bevölkerung zu informieren. Doch das ist gar nicht so einfach. Die digitale Fassung der "Kühle Tipps"-Broschüre hilft da nur begrenzt, denn Senioren oder Pflegebedürftige schauen eher wenig ins Internet. "Eine Herausforderung sind generell Gruppen, mit denen man schwer in Kontakt kommt, wie etwa Wohnungslose oder psychisch Kranke", sagt Georg Pins, Abteilungsleiter Klimaschutz in der Stadtverwaltung. Deshalb soll die Broschüre bald gedruckt werden, um sie als Flyer zu verteilen.
Auf einer Karte im Internet sind kühle Orte in der Stadt zu finden. In einer Mitmachaktion sollen Bürgerinnen und Bürger Tipps zur Abkühlung geben, etwa Kirchen, Einkaufspassagen, Alleen oder Parks. Die Stadt will Trinkwasserbrunnen bauen und öffentliche Plätze teilweise mit Sonnensegeln verschatten. Die Stadtplanung soll auf die höheren Temperaturen ausgerichtet werden, denn Häuser und Straßen heizen sich auf. Künftig dürfen im Stadtgebiet Parkplätze zu kleinen Grünflächen umgestaltet oder für Außengastronomie benutzt werden.
"Wir müssen uns anpassen", sagt Hans-Guido Mücke vom Umweltbundesamt, "je besser wir uns auf solche Hitzephasen vorbereiten, desto besser sind wir gewappnet." In einer älter werdenden Gesellschaft steige die Zahl der Personen, die potenziell gefährdet sind. Vor allem Menschen über 75 Jahre tun sich schwer. Mücke war leitender Autor der Handlungsempfehlungen von 2017 und beobachtet, dass seither tatsächlich einige Kommunen gehandelt haben: Dresden, Erfurt, Worms, Köln, Frankfurt am Main, Offenbach und noch ein paar weitere. Manche haben Maßnahmen ergriffen, ohne extra einen Plan zu schreiben, Stuttgart etwa oder Freiburg. Doch viele Kommunen haben bisher noch wenig bis nichts unternommen. In ganz Bayern ist mit Ausnahme von Würzburg kaum etwas passiert.
"Natürlich könnte es schneller gehen", sagt Mücke. Dabei ergab eine Untersuchung des Umweltbundesamts, dass in den allermeisten Kommunen das Thema Hitze bereits eine Rolle spiele. Allerdings hängt es offenbar häufig am Engagement Einzelner in den Verwaltungen, ob sich wirklich etwas tut. Fehlendes Fachpersonal ist das Hemmnis Nummer eins.
Frankreich hat schon vor Jahren den "Plan Hitzewelle" entwickelt
Als Deutschland im Jahr 2020 den dritten Hitzesommer in Folge erlebte, forderte der heutige Klimaschutzminister Robert Habeck (Grüne) einen nationalen Hitzeaktionsplan, inklusive bundesweites Beratungstelefon. Ob ein solch nationales Vorgehen rechtlich überhaupt möglich ist im föderalen deutschen System, soll im kommenden Jahr geprüft werden, sagt Mücke. Vorbild wäre wohl Frankreich. Dort wurde nach der tödlichen Hitze von 2003 der "Plan Canicule", der Plan Hitzewelle, entwickelt. Seither löst die Regierung in Paris Hitzealarm für die Departements aus, es gibt vier Warnstufen von Grün bis Rot. Bei Stufe drei (Orange) werden zum Beispiel Sportveranstaltungen oder Prüfungen in Schulen abgesagt. Am Freitag galt diese Stufe drei schon in elf von 96 Departements, vor allem im Süden des Landes.
In jedem Departement können sich Ältere, die alleine leben, Erwerbsunfähige und Behinderte registrieren lassen. Falls die Warnstufe auf Rot springt, rufen die Behörden an und erkundigen sich nach dem Befinden. Falls notwendig, werden Flüssigkeiten geliefert. Geht niemand ans Telefon, klingelt bisweilen die Feuerwehr an der Wohnungstür.
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