ARD Tagesschau hier 01.06.2022 Von Johanna Wahl, SWR
Ländliche Regionen
Wer auf dem Land wohnt, kann über das 9-Euro-Ticket nur müde lächeln. Was hilft der günstige Fahrschein, wenn kein Bus fährt? Kommunalpolitiker hätten da ein paar Ideen.
Wenn die Busse mit den Schulkindern losgefahren sind, wird es morgens recht schnell leer am Busbahnhof in Kastellaun im Hunsrück. Die Anbindung an die Kreisstadt Simmern ist noch relativ gut. Aber wer zum Beispiel von hier ins Rhein-Main-Gebiet pendeln will, hat eher schlechte Karten. Die Verbindungen sind äußerst unattraktiv - und daran wird auch das 9-Euro-Ticket nichts ändern.
In vielen Ortsteilen der Verbandsgemeinde Kastellaun kommt gerade mal alle zwei Stunden ein Bus vorbei. "Selbst wenn der Bus kostenlos wäre, würde ich nicht auf das Auto verzichten", sagt Zlatko Cajic, der jeden Tag 20 Kilometer zur Arbeit pendelt. "Die Infrastruktur hier auf den Dörfern ist so schwach, da müsste ich zwei Stunden früher aufbrechen. Das ist uninteressant für mich, da verliere ich zu viel Zeit."
Mit dem Auto deutlich schneller
Auch Dorothee Müller bezweifelt, dass viele Menschen hier auf dem Land wegen des 9-Euro-Tickets auf Bus und Bahn umsteigen. "Dafür ist die Anbindung zu schlecht. Da sind sie zu lange unterwegs, gerade wenn sie im Frankfurter Raum arbeiten. Da müssen sie erst mit dem Bus fahren nach Simmern oder Koblenz und dann mit der Bahn weiter. Da sind sie mit dem Auto deutlich schneller."
Mit dieser Einschätzung stehen die beiden Landbewohner nicht alleine da. Für den Bürgermeister der Verbandsgemeinde Kastellaun geht das Angebot des 9-Euro-Tickets an der Bevölkerung im ländlichen Raum vorbei. "Das ist plakativ gesagt Großstadtpolitik", sagt Christian Keimer. "Es wird hier auf dem Land nicht den Effekt erreichen, den man sich in Berlin vorstellt." Die allermeisten Pendler der Verbandsgemeinde fahren nach Angaben des Bürgermeisters mit dem Auto zur Arbeit, die wenigsten nutzten den ÖPNV für den Arbeitsweg.
Im besten Fall zwei Stunden
Ein Blick auf die Fahrpläne macht die Problematik im Hunsrück offensichtlich. Wer von Kastellaun zum Beispiel in die Landeshauptstadt Mainz mit Bus und Bahn pendeln will, braucht im besten Fall zwei Stunden. Dann muss man aber schon die schnelle Verbindung erwischen, sonst kann es auch zwei Stunden und vierzig Minuten dauern. Mit dem Auto hingegen lässt sich die Strecke in einer knappen Stunde zurücklegen.
Hinzukommt das dünne Busnetz innerhalb der Verbandsgemeinde. "Bei einer Anbindung von Orten bloß alle zwei Stunden kann sich jeder vorstellen, dass es nicht ganz so attraktiv ist, Pendler dazu zu bewegen, auf Bus und Bahn umzusteigen - nur, weil das jetzt vorübergehend neun Euro kostet", sagt Bürgermeister Keimer. Eine direkte Zuganbindung gibt es zudem seit Jahrzehnten nicht mehr.
Ein Seniorenbus für Arztbesuche
Auch in der Hunsrück-Gemeinde Morbach können sie über das 9-Euro-Ticket bloß müde lächeln. 11.000 Menschen wohnen in den insgesamt 19 kleinen Ortsbezirken. Eine Bahnverbindung nach Simmern, Trier oder Koblenz gibt es auch hier nicht. "Busse fahren, aber nicht in der Dichte, die nötig wäre, um auf ein Auto zu verzichten", erklärt Bürgermeister Andreas Hackethal (CDU). Die Gemeinde organisiert einen Seniorenbus, damit ältere Menschen zum Arzt kommen oder zum Supermarkt.
Nahverkehr auf dem Land ausbauen
Eine Nachfrage nach dem 9-Euro-Ticket habe er in seiner Gemeinde kaum wahrgenommen, und das verwundert den Kommunalpolitiker überhaupt nicht. Das sei ein Projekt für urbane Zentren, nicht für den ländlichen Raum. "Wenn es mit dem Bus von Morbach nach Trier mehrere Stunden dauert, wer soll denn da vom Auto umsteigen - ob es jetzt das 9-Euro-Ticket gibt oder nicht." Mit dem PKW dauere die Strecke um die 50 Minuten.
Hackethal fordert statt des 9-Euro-Tickets ein deutlich attraktiveres Nahverkehrsnetz. "Wir müssen daran arbeiten, den öffentlichen Nahverkehr auch im ländlichen Raum auszubauen und zukunftsfest zu machen." Dafür kämpft die Region schon länger.
Grundsätzlich eine gute Idee
Für den ARD-Umweltexperten Werner Eckert hat das 9-Euro-Ticket grundsätzlich Potenzial, eine Entlastung für die Umwelt zu bringen. "Wenn tatsächlich alle Pendler allein für drei Monate auf Bus und Bahn umsteigen würden, wären sechs bis sieben Prozent des Treibhausgasausstoßes in Deutschland weg. Allerdings ist das unrealistisch." Denn Voraussetzung sei, dass Pendler auch die Chance haben, den öffentlichen Nahverkehr zu nutzen. Bahn und Bus müssten also in der Nähe verfügbar sein und mit vertretbarem Zeitaufwand zum Ziel kommen.
Eckert verweist auf die Problematik im ländlichen Raum. "Viele Pendler haben die Option dort nicht, auf das Auto zu verzichten, daher wird der Effekt auf die Umwelt deutlich niedriger sein."
Ein "Placebo-Angebot"?
Kritik an der Bundesregierung kommt von der Deutschen Umwelthilfe. "Außerhalb der Ballungsräume ist das 9-Euro-Ticket angesichts nichtexistierender oder nur einzelner Busverbindungen ein Placebo-Angebot", betont DUH-Geschäftsführer Jürgen Resch.
Er fordert vom Bundesverkehrsminister, den ÖPNV zu modernisieren und flächendeckend auszubauen. "Die Verkehrspolitik muss endlich die Mobilitätsbedürfnisse der Menschen außerhalb der Ballungsräume in den Fokus nehmen."
Auch der Bürgermeister der Verbandsgemeinde Kastellaun fordert eine deutlich stärkere Förderung des ÖPNV durch Bund und Länder, damit sich Taktung und Anbindung im ländlichen Raum verbessern. Der Kommunalpolitiker hält das 9-Euro-Ticket zwar grundsätzlich für eine gute Idee. "Aber es erreicht ja nur den Zweck, Menschen von den hohen Energiekosten zu entlasten, wenn die Taktung im Nahverkehr auch so ist, dass ich so flexibel bin wie in der Großstadt."
Auf dem Land werde es nur wenige Pendler erreichen, prophezeit Keimer. Außer vielleicht die Menschen, die jetzt mal günstig durch Deutschland reisen wollen.
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