Spiegel 06.03.2021 hier Von Fritz Vorholz
Neue Ideen zur Verkehrswende auf dem Land
Es ist ein offenes Geheimnis, dass Andreas Scheuer Autofan ist. ....
Umso erstaunlicher, dass das von Scheuer geführte Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur ein Forschungsvorhaben fördert, bei dem es um »ein Leben ohne eigenes Auto« geht: »Per Algorithmus über die Dörfer«, so der etwas kryptische Titel der noch unveröffentlichten Studie. Eine Brandenburger Forschergruppe, die sich selbst als »Think & Do Tank für das Landleben im 21. Jahrhundert« bezeichnet und Neuland21 heißt, hat die Expertise angefertigt – im Auftrag des Landkreises Potsdam-Mittelmark, finanziert von Scheuers Bundesverkehrsministerium.
Für den Minister sind freilich nicht alle Erkenntnisse der Studie schmeichelhaft.
Es geht um die Mobilität der in ländlichen Räumen lebenden Menschen, mehr als jeder Fünfte wohnt dort. Die Einwohnerdichte ist gering, die nächste Groß- oder Mittelstadt oft weit entfernt – und als wichtigstes Transportmittel herrscht unangefochten der private Pkw.
Verkehrswende? Fehlanzeige.
....Doch wie der Herausforderung begegnen? Ein Teil der Lösung heiße »Ridepooling«, so die Neuland21-Studie. Dabei transportiert ein Fahrzeug mehrere Menschen, die grob in dieselbe Richtung wollen, aber nicht genau das gleiche Ziel haben; die individuellen Fahrten (»rides«) werden gebündelt (»gepoolt«) und mit einem einzigen Fahrzeug bedient. Die Nutzerinnen und Nutzer buchen ihre Fahrtwünsche per App; ein Computer berechnet, über welche Routen möglichst viele Menschen mit möglichst wenigen Fahrzeugen befördert werden können.
Langer Linienbus muss nicht jeden Weiler ansteuern
Ridepooling ist also eine Mischung aus Taxi und Bus. Wie bei einem Taxi werden die Fahrten spontan gebucht, wie bei einem Bus steigen unterwegs andere ein und aus. Auf diese Weise kann Mobilität umweltverträglicher werden. Als Fahrzeuge genügen vielerorts Kleintransporter. Der lange Linienbus muss nicht jeden Weiler ansteuern, damit er an den Nahverkehr angebunden ist.
Dem hiesigen Recht ist Ridepooling allerdings fremd. Erst das neue Personenbeförderungsgesetz, das der Bundestag gerade beschlossen hat, bringt vermutlich mehr Klarheit. Der Abschnitt zum Ridepooling sei »der beste Teil der Novelle«, sagt Jan Strehmann, Mobilitätsexperte beim Deutschen Städte- und Gemeindebund. Ridepooling wird aus der rechtlichen Grauzone geholt und im Gesetz klar definiert....
Erste Angebote wecken Hoffnung
Tatsächlich, so die Neuland21-Studie, liegt die wahre Domäne des Ridepooling aber auf dem Land. Dort klaffen Lücken im Angebot des öffentlichen Nahverkehrs. Dabei fehlen oft nur wenige Kilometer, um auch schlecht erschlossene Gebiete an das Hauptnetz des ÖPNV anzuschließen. »Ridepooling eignet sich, um diese Lücken zu schließen«, heißt es in der Studie. Es ergäbe sich ein doppelter Nutzen: Der Nahverkehr auf dem Land wird besser, und das Verkehrsaufkommen in nahegelegenen Städten sinkt, weil weniger Pendlerinnen und Pendler aus umliegenden Landkreisen aufs Auto angewiesen sind.
In einigen Gemeinden und Landkreisen gibt es bereits Ridepoolingangebote. Zu den Pionieren gehören Freyung im Bayerischen Wald, Wittlich in der Südeifel und das fränkische Hof. ...
Das Max-Planck-Institut für Dynamik und Selbstorganisation begleitete von Mitte 2018 bis Anfang 2019 zwei Ridepooling-Pilotversuche in Niedersachsen. Die Erkenntnis der Wissenschaftler aus den »EcoBus«-Projekten: Erstens sollte das Betriebsgebiet nicht zu groß sein, damit die Kundschaft auch an den Rändern zügig bedient werden kann. Zweitens sollten Fahrtrouten und -zeiten mit den Fahrplänen der ÖPNV-Linien eng verknüpft werden.
Ein Rechenprogramm, das diesem Anspruch gerecht wird, haben die Göttinger Grundlagenforscher aus der Erfahrung der beiden Modellvorhaben heraus entwickelt und in Leipzig im Rahmen eines Projekts namens »Flexa« seit 2019 umgesetzt. Dieser Tage gründen sie ein Unternehmen, um ihren Algorithmus bundesweit zu vermarkten.
Was lässt sich lernen von den Pionieren? Nur den Kommunalpolitikern sollte jedenfalls die Koordination der Projekte obliegen und sie sollten dabei über Gemeindegrenzen hinweg kooperieren, heißt es in der Neuland21-Studie. So könnten sie dafür sorgen, dass das neue, bedarfsgesteuerte Mobilitätsangebot den bestehenden Linienverkehr nicht ersetzt, sondern ihn ergänzt – auf den ersten und letzten Kilometern. So werde der Linienverkehr besser ausgelastet, während der Pkw-Verkehr schrumpft. Vollständig autofrei werde das Landleben zwar nicht, aber das Zweit- oder Drittauto könnte zum verzichtbaren Luxus werden.
Ein Haken an der Sache: Geld verdienen lässt sich mit Ridepooling nicht. Bei Fahrpreisen zwischen drei und vier Euro pro Fahrt ermitteln die Neuland21-Forscher eine Kostendeckung von 10 bis 25 Prozent. Diese Größenordnung ist indes im ländlichen ÖPNV durchaus üblich. Weil das Mobilitätsangebot für Menschen in schlecht angebundenen Regionen besser werde, sei Ridepooling unterm Strich »keine unwirtschaftliche Option«, so die Studie.
Ohne öffentliches Geld funktionieren die Projekte trotzdem nicht. Endet die Anschubfinanzierung, droht ihr Aus. Die Gefahr wäre kleiner, wäre da nicht der größte Kostenblock: das Fahrpersonal. Shuttles, die ohne Fahrer auskommen, also autonom unterwegs sind, sind deshalb eine »große Chance«, so Udo Onnen-Weber, Leiter des Kompetenzzentrums ländliche Mobilität (KOMOB) in Wismar: »Das wird die Zukunft sein.«
Die Frage ist nur: wann? Tatsächlich wird auch die Selbstfahrtechnologie im ländlichen Raum in diversen Modellprojekten erprobt – allerdings nur im Linienverkehr und mit ernüchterndem Ergebnis. Der Grund, neben den allfälligen Funklöchern: Die heute verfügbaren Fahrzeuge sind für städtische Umgebungen entwickelt worden, ihre Sensorik erkennt geometrische Formen wie die Umrisse von Häusern, nicht aber zum Beispiel Büsche und Bäume.
Obendrein bewegen sich die Gefährte kaum schneller als mit zehn km/h. Für kurze Strecken ist das akzeptabel, nicht aber für längere Überlandfahrten. Mit anderen Worten: Da, wo sie am meisten gebraucht werden, auf dem Land, funktionieren die Robotermobile nicht. ....
Verkehrsminister lässt Gelegenheiten verstreichen
....Kurz vor dem Ende der Legislaturperiode wird jedoch offenbar, dass falsche Förderpolitik, fehlende digitale Infrastruktur und kompliziertes Recht dem Vorhaben im Wege stehen. Der zuständige Minister, Andreas Scheuer, hat die Chancen verstreichen lassen.
Unser Verkehrsfachmann Daniel meint zum Artikel:
Ridepooling ist ein Weg, aber auf dem Land nicht der verlässlichste. Ich möchte dazu noch auf zwei Artikel verweisen. Sie enthalten Beispiele explizit für die Region Bodensee-Oberschwaben: "Autonome Shuttles im ländlichen Raum" In: Der Nahverkehr 39 (10), S. 15-18 und "Autonome Shuttles tragen den SPNV in die Fläche.
Eine quantitative Analyse verkehrlich sinnvoller Einsatzfelder für autonome Shuttles auf dem Land im Gefüge des bestehenden ÖPNV und SPNV" In: Der Nahverkehr 39 (12), S. 18-22.
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