Donnerstag, 29. Februar 2024

EU-Lieferkettengesetz auch im zweiten Anlauf gescheitert

Update 28.2.24

Süddeutsche Zeitung hier

Das Gesetz sollte dafür sorgen, dass europäische Unternehmen die Einhaltung von Menschenrechts- und Umweltstandards in ihren Lieferketten im Ausland sicherstellen. Das aber fand keine Mehrheit bei den Mitgliedstaaten.

Das EU-Lieferkettengesetz ist auch in einem zweiten Anlauf von den EU-Botschaftern der Mitgliedstaaten abgelehnt worden. Das teilte die belgische EU-Ratspräsidentschaft mit. Für eine Annahme wäre eine Mehrheit von mindestens 15 Mitgliedstaaten mit einem EU-Bevölkerungsanteil von mindestens 65 Prozent nötig gewesen. Die Abstimmung war mehrmals verschoben worden.

"Wir müssen nun den Stand der Dinge prüfen und werden sehen, ob es möglich ist, die von den Mitgliedstaaten vorgebrachten Bedenken in Absprache mit dem Europäischen Parlament auszuräumen", schreibt die Ratspräsidentschaft. Damit ist offen, ob über das Vorhaben noch einmal neu verhandelt werden muss, obwohl es im Dezember eigentlich bereits einen Kompromiss zwischen Unterhändlern der beiden Institutionen gab.

Das Gesetz sollte dafür sorgen, dass europäische Unternehmen die Einhaltung von Menschenrechts- und Umweltstandards in ihren Lieferketten im Ausland sicherstellen. Während sich SPD und Grüne für das EU-Lieferkettengesetz aussprachen, hatte die Bundesregierung nach einer Blockade der FDP angekündigt, sich bei dem Votum zu enthalten. Dies hat sie am Mittwoch bei der Abstimmung im Ausschuss der ständigen Vertreter der Mitgliedstaaten dann auch getan. Da es für die Annahme eine bestimmte Zahl von Ja-Stimmen gebraucht hätte, wirkt eine Enthaltung wie eine Nein-Stimme....

Zeit hier  Von Zacharias Zacharakis  19. Februar 2024

Wie die FDP einmal Europa knackte

Im Streit über das EU-Lieferkettengesetz gab es hinter den Kulissen weitreichende Zugeständnisse an die FDP. Einen Kompromiss hat die Partei dennoch verhindert.

Anfangs dachte man noch, dass es um echte Einwände geht. Als das Präsidium der FDP am 15. Januar erstmals klarmachte, die Partei wolle dem europäischen Lieferkettengesetz nicht zustimmen, obwohl es unter Beteiligung der Liberalen ausverhandelt worden war, da brachte die FDP immerhin eine Reihe von Argumenten vor, die es zu bedenken galt. Zum Beispiel würde die neue EU-Regelung mehr Unternehmen dazu verpflichten, auf Menschenrechte und Umweltschutz in ihrer Lieferkette zu achten, als das bisher gültige deutsche Gesetz. Die EU-Richtlinie sollte alle Unternehmen ab 500 Mitarbeitenden umfassen, in Deutschland aber gilt das Gesetz für Betriebe ab 1.000 Beschäftigten. Es wäre eine deutliche Verschärfung gewesen.

Also intervenierte die FDP in der Ampelkoalition und verhinderte, dass Deutschland in der entscheidenden Abstimmung in Brüssel mit Ja votiert. Im Hintergrund überzeugte Bundesfinanzminister und FDP-Parteichef Christian Lindern in eigenwilliger Mission offenbar auch andere EU-Staaten davon, der Lieferkettenrichtlinie nicht zuzustimmen. Der Regierung in Rom etwa soll Linder persönlich versprochen haben, dass Deutschland als Gegenleistung gegen eine Verpackungsrichtlinie der EU votiert, welche Italien ablehnt und die in Brüssel auf der Tagesordnung steht.

Damit war die Mehrheit für die über zwei Jahre lang mühsam ausverhandelte Lieferkettenrichtlinie dahin. Die EU-Ratspräsidentschaft verschob die finale Entscheidung darüber und versuchte nachzuverhandeln – vor allem mit Deutschland, obwohl man in Brüssel sehr verärgert über das Verhalten der Berliner Regierung und ihre unvorhersehbaren Volten ist.

Eine verhaltensauffällige Partei

Mitte der vergangenen Woche gingen in den maßgeblichen Berliner Ministerien nun mehrere Kompromissangebote der EU-Kommission und Ratspräsidentschaft ein, um Deutschland in den entscheidenden Fragen entgegenzukommen. Federführend ist in den Verhandlungen das Bundesarbeitsministerium von SPD-Politiker Hubertus Heil, für die FDP sitzt das Bundesjustizministerium unter der Führung des FDP-Politikers Marco Buschmann mit am Tisch. Das Kanzleramt ist ebenfalls mit von der Partie. Aus Verhandlungskreisen war zu erfahren, dass die Brüsseler Seite ein "maßangefertigtes Angebot" für die FDP vorgelegt habe, welches der Partei "in so gut wie allen Punkten" nachgegeben habe.

So sind Kommission und Ratspräsidentschaft bereit, die Gültigkeit für das Gesetz auf Unternehmen mit 1.000 Beschäftigten anzuheben, wie im deutschen Lieferkettengesetz. Auch sollte eine Klausel gestrichen werden, wonach besondere Risikobranchen identifiziert werden, für die wiederum strengere Regeln gelten sollten – etwa für die Baubranche. Selbst über eine in Brüssel hochumstrittene Regelung war man bereit zu sprechen, die es Unternehmen ermöglichen würde, aus der Haftung für Verstöße gegen das Gesetz herauszukommen, wenn man eine Zertifizierung für ein Produkt erhält oder bestimmte Branchenstandards einhält. Doch alles das genügte der FDP nicht. Sie blieb stur.

Auf Anfrage von ZEIT ONLINE teile das Bundesjustizministerium mit, dass "sich die Vielzahl und auch das Gewicht der von der Kommission vorgeschlagenen Änderungen nicht für ein überstürztes Verfahren unter Zeitdruck eignen". Das Verhandlungsangebot würde eine "weitere inhaltliche Diskussion im Kreis der Mitgliedstaaten, mit der Kommission und auch mit dem Europäischen Parlament notwendig" machen. Folglich empfiehlt die von dem FDP-Politiker Buschmann geleitete Behörde: "Der beste Weg, um diese Vorschläge zu diskutieren, ist nach hiesiger Einschätzung ein Neustart der Verhandlungen für eine europäische Lieferkettenregulierung nach den Wahlen zum Europäischen Parlament mit einer neuen Kommission."

Weniger Bürokratie statt mehr

Tatsächlich stehen die Chancen schlecht, dass es nach dem Rückzieher Deutschlands in Brüssel noch zu einer Einigung kommt. Der belgischen Ratspräsidentschaft bleiben nur weniger als zwei Wochen, um das Verfahren für die Richtlinie zu beenden, bevor sich das EU-Parlament in die Vorbereitung der anstehenden Europawahl Anfang Juni begibt. Damit hätten die FDP und die deutschen Unternehmensverbände ihr Ziel voll erreicht: die Lieferkettenrichtlinie in Europa zu verhindern. Es dürfte bis Anfang des kommenden Jahres dauern, bis sich in Brüssel so weit alle neu sortiert haben, um das Projekt erneut anzugehen. Doch die Voraussetzung dafür ist, dass es dann noch die politischen Mehrheiten dafür gibt.

Ob es jedoch gut ist für Deutschland, eine europäische Regelung zu verhindern, kann bezweifelt werden. Nun besteht weiterhin ein Wettbewerbsnachteil für die deutschen Unternehmen, die dem heimischen Lieferkettengesetz unterliegen – anders als ihre Konkurrenz aus den meisten anderen europäischen Ländern, die so ein Gesetz nicht haben. Hinzu kommt, dass genau das Gegenteil dessen der Fall ist, wovor die FDP warnt: Ein europäisches Lieferkettengesetz würde nicht mehr, sondern weniger Bürokratie für die Unternehmen bedeuten. Anders als im deutschen Pendant hätten sie dann nicht mehr die Pflicht, einer Aufsichtsbehörde ihre Bemühungen um eine saubere Lieferkette zu melden. Stattdessen riskieren Unternehmen mit der EU-Richtlinie eine Klage von Betroffenen, wenn sie sich nicht um Menschenrechte und Umweltschutz kümmern. Die bürokratischen Berichtspflichten an die Behörden entfallen deshalb.

Aber auch in dieser Frage verspricht die FDP zu handeln. Sie hat angekündigt, gegen die deutsche Regelung vorgehen zu wollen. Die Einhaltung von Menschenrechten und Umweltschutz dürften gerade in Zeiten einer wirtschaftlichen Krise, so heißt es von der Partei, nicht zur Belastung für die Unternehmen werden.


 Belgien pokert ums EU-Lieferkettengesetz – Euractiv DE

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