Samstag, 3. Februar 2024

Demos gegen rechts: "Das ist kein Mut, das ist jetzt einfach notwendig"

 Noch  ein bewegendes Interview aus dem Osten, wo der Protest noch viel schwieriger ist als bei uns...

hier Zeit Verena Carl, 3. Februar 2024

Caroline Fritsch war nie politisch aktiv. Nun hat sie ihre erste Demo in ihrer brandenburgischen Heimat organisiert: Es kommt auf die ostdeutschen Städte an, sagt sie.

Es passierte auf der Demo vor dem Bundeskanzleramt, eine der ersten Demos gegen die AfD, nachdem das Treffen in Potsdam und die rassistischen Pläne bekannt geworden waren. Aus den Boxen klang Bob Marley – "Get up, stand up for your right!" –, auf der Bühne sprach Luisa Neubauer. Das hat mich beeindruckt: eine junge Frau, engagiert und erfolgreich, einfach, weil sie über Jahre drangeblieben ist, sich einsetzt für das, was ihr wichtig ist. Und plötzlich war da dieser Gedanke: gut und wichtig, in Berlin Gesicht zu zeigen gegen rechts, aber eigentlich braucht die Stadt mich nicht. Die ist bunt und tolerant genug. Aber meine kleine brandenburgische Heimatstadt mit 20.000 Einwohnern – da könnte ich was bewegen.

Als ich später ins Auto stieg, habe ich spontan eine Story auf Instagram abgesetzt und zu einer Demo auf dem Luckenwalder Marktplatz aufgerufen, am Samstag darauf. In dem Moment, als ich die abgeschickt hatte, wusste ich: Jetzt kommst du nicht mehr raus aus der Nummer, jetzt musst du's durchziehen. An den Reaktionen habe ich gemerkt, ich habe einen Nerv getroffen, ich bin nicht allein. Am nächsten Tag habe ich die Versammlung offiziell bei der Polizei angemeldet. Ich sollte angeben, wie viele Teilnehmer ich erwarte: zwischen 20 und 200. Aber als ich mit einem Freund ein Sharepic zum Demoaufruf erstellt habe, wurde das gleich aufgegriffen und geteilt, von Einzelpersonen und Vereinen. Da dachte ich schon, das könnte größer werden.

In meiner Teenagerzeit galt Luckenwalde eher als links. Punk- und Rockbands, ein alternatives Kulturzentrum, ein besetztes Haus. Ich kann mich an eine Demo erinnern, gegen die DVU, Mitte der Nullerjahre, da sind wir mit Besen durch die Straßen gezogen, um symbolisch Nazis wegzufegen. 

Als Jugendliche im Geschichts-LK hat es mich schon nachhaltig beeindruckt, als wir eine kommentierte Ausgabe von Mein Kampf lesen konnten und mir klar wurde: Die Nazis haben ihre Pläne nie verheimlicht, man hätte wissen können, was da kommt. Und als 16-Jährige habe ich einmal beobachtet, wie ein Rechtsradikaler am Luckenwalder Bahnhof einen Schwarzen attackierte, am helllichten Tag, ohne dass jemand dazwischenging. Da habe ich mich eingemischt, das konnte ich nicht hinnehmen.


Viele haben mir gesagt: Wow, mutig, dass du dich so öffentlich positionierst! 

Caroline Fritsch


Aber im engeren Sinn politisch aktiv war ich nie, ich stehe keiner Partei nahe. Lange Zeit war mir  anderes wichtiger. Schon in meiner Schulzeit drehte sich meinem Leben viel um Musik, ich habe Platten gesammelt, bin zu Konzerten gereist. Später kamen andere Prioritäten dazu, Studium, Volontariat, mein Traumjob als Musikredakteurin.

Doch in den letzten Jahren, vor allem seit Corona, macht es mir Sorgen, dass ein Riss durch die sogenannte bürgerliche Mitte geht, durch Familien und Bekanntenkreise. So erlebe ich es auch in meinem Heimatort. Ich bekomme es nicht täglich mit, weil ich seit ein paar Jahren im Berliner Speckgürtel wohne, aber ich bin oft zu Besuch in Luckenwalde und merke, wie die Stimmung ist. Solange Angela Merkel Kanzlerin war, herrschte so ein Gefühl: Auch wenn wir mit ihrer Politik nicht immer einverstanden sind, wir wählen sie trotzdem, denn sie ist eine von uns, als Ostdeutsche. Seitdem die Ampel regiert, ist dieser Konsens weg, ein demokratisches Vakuum ist entstanden. Die AfD liegt auch dort stramm bei etwa 30 Prozent.

"Sie halten mich für einen naiven Gutmenschen"

Ich gehe keiner Diskussion aus dem Weg, in Familie und Bekanntenkreis, aber einige sind völlig faktenresistent. Wutbürger, offen für simple Parolen. Sie glauben an das Versprechen, die AfD könnte ihnen eine sichere, heile Welt von früher zurückgeben, selbst wenn es die nie gab.
Sie halten mich für einen naiven, linksgrünen Gutmenschen. Mir ist klar, dass man diese Leute mit Argumenten nicht mehr erreicht. Aber die, die sich ebenfalls Sorgen machen wegen des Rechtsrucks, aber die sich vielleicht nicht trauen, den ersten Schritt zu machen: die kann ich motivieren.

"Ich fühle mich jetzt viel stärker"

Mit diesem Gefühl bin ich losgezogen, habe kurzfristig Redner und Rednerinnen organisiert, es nahm schnell Fahrt auf. Am Ende waren wir dreimal so viele wie in meiner optimistischsten Schätzung: 600, so bestätigt es die Polizei. Wenn man das mal hochrechnet auf die Einwohner, auch nicht weniger als in Berlin oder Hamburg. Das macht mir Gänsehaut. 

Eine Welle der Gemeinsamkeit, die mir enorm Auftrieb gegeben hat. Mir ist noch mal so richtig klar geworden: Wenn ich nicht deutlich meine Meinung sage, dann können die Rechten das als stille Zustimmung verbuchen.

Ich habe unheimlich viele positive Rückmeldungen bekommen, von ehemaligen Mitschülern, früheren Lehrern, aus dem Bekanntenkreis. Das hat mich noch mal so sehr beflügelt. Viele haben mir gesagt: Wow, mutig, dass du dich so öffentlich positionierst! Ehrlich gesagt hatte ich diesen Gedanken vorher gar nicht, ich dachte eher: Das ist kein Mut, das ist jetzt einfach notwendig. Aber natürlich ist mir klar, dass ich mich damit auch Angriffen aussetze.

Zur Demo am 20. Januar kamen keine Störer, es war auch keine Gegenveranstaltung angemeldet.
Mein Eindruck ist, in der direkten Konfrontation trauen sich die Rechten oft nicht aus der Deckung. Aber klar, darauf verlassen kann man sich nicht. Auch vor einem digitalen Shitstorm bin ich nicht sicher, Drohungen im Netz gab es durchaus schon. Mir ist klar, dass ich in Luckenwalde jetzt als eine erkannt werde, die sich positioniert. Aber wenn nicht Leute wie ich, wer dann? Ich bin weiß, deutsch, hetero. Ich gehöre nicht zu den Personen, die als Erstes in Gefahr wären, wenn die AfD politische Macht hätte. Umso wichtiger ist es, stellvertretend Flagge zu zeigen. Und zwar genau dort, wo das Klima sich schon zum Schlechten verändert hat.

Die ostdeutschen Städte, die kleinen Städte sind enorm wichtig. Für viele, die sich jetzt endlich aus der Deckung trauen. Die vorher den Eindruck hatten: Das bringt doch nichts. Auch für ältere Menschen, für die es vielleicht zu beschwerlich wäre, für eine Kundgebung nach Berlin zu fahren. Jetzt ist es wichtig, nicht nachzulassen. Nichts wäre schlimmer, als wenn sich unsere Gegner hinstellen und sagen: Na seht ihr, eure Bewegung war nur eine Eintagsfliege.

Meine Gefühle im Moment? Ganz viel Hoffnung und Energie. Etwas anderes will ich gar nicht zulassen, das würde mich nur lähmen. Die nächste Demo in Luckenwalde ist bereits angemeldet, aber dabei soll es nicht bleiben. Als Musikfan schwebt mir ein Konzert vor, aber auch andere Formate: Gesprächsrunden, Diskussionen. Seitdem ich die Demo organisiert habe, haben mich viele Leute gefragt, wie ich im direkten Kontakt mit AfD-Wählern umgehe, wollen Tipps von mir. Ich habe da auch kein Patentrezept, aber das ist ein wichtiger Punkt, bei Straßenprotest allein darf es nicht bleiben.

Seitdem ich ins Machen gekommen bin, platze ich förmlich vor Ideen, und es hat sich schon eine lose Gruppe von Leuten gebildet, denen es ähnlich geht. Diese Gemeinschaft tut gut, ich fühle mich jetzt viel stärker als noch vor zwei, drei Wochen. Und das muss alles weitergehen, mindestens bis zur Landtagswahl im Herbst. Es kostet Kraft, das neben einem dicht getakteten Alltag zu stemmen – aber es gibt auch Energie. Weil ich weiß, wofür ich stehe, weil ich handle, statt ohnmächtig am Rand zu stehen und tatenlos zuzuschauen.

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