Montag, 12. Februar 2024

EU-Klimaziele: Die tatsächliche Umsetzung bleibt weit hinter den Erwartungen zurück.

In Österreich sind die Probleme nicht viel anders gelagert als in Deutschland. Wenn es heißt: "Für Österreich bedeutet das insbesondere die Verlagerung des Autoverkehrs auf öffentliche Verkehrsmittel und die Stärkung von aktiver Mobilität wie Radfahren." dann gilt das wohl auch für uns.  Und das nach der bitteren Nachricht, dass Minister Wissing gerade die Rad-Mobilität zusammengestrichen hat.

Und dann die Landwirtschaft....was soll man dazu noch sagen?

Forschende kritisieren EU-Klimaziele und orten Kniefall vor protestierenden Bauern

Standard aus unserem Nachbarland Österreich hier  Julia Sica Tanja Traxler  7. Februar 2024, 

Der Vorschlag der EU-Kommission ist keine große Überraschung, doch bei der Umsetzung besteht großer Nachholbedarf – vor allem bei Österreichs "erschütternder" Emissionsbilanz

Mit dem am Dienstag präsentierten Vorschlag der EU-Kommission für die Klimaziele 2040 folgt die Kommission grosso modo den wissenschaftlichen Empfehlungen zur Klimastrategie der EU. Klimaforschende sehen den Vorschlag entsprechend positiv, wenngleich es auch Vorschläge zur Nachbesserung gibt – und Kritik an der bisherigen Klimapolitik Österreichs.
DER STANDARD hat sich unter Wissenschafterinnen und Wissenschaftern umgehört.

Das Klimaziel für 2040 sieht eine Reduktion der Netto-Treibhausgasemissionen um 90 Prozent gegenüber 1990 vor. Dieses Ziel setzt auch auf die Kompensation für negative Emissionen, um etwa zehn Prozent der Emissionsreduktion zu erreichen. Für Daniel Huppmann, Wissenschafter am Internationalen Institut für Angewandte Systemanalyse (IIASA) in Laxenburg, ist der Vorschlag der EU-Kommission die logische Fortsetzung des "Fit For 55"-Plans der EU, um einen fairen Beitrag zur Erreichung des Pariser Klimaschutzabkommens zu leisten. Die wissenschaftliche Basis des EU-Vorschlags ist ein im Vorjahr veröffentlichter Bericht des EU-Klimabeirats, dem unter anderem auch Keywan Riahi angehört, der das Energieprogramm des IIASA leitet.

Auch wenn sich der Vorschlag der Kommission an den wissenschaftlichen Empfehlungen orientiert, geht er nicht so weit wie diese, wie Sigrid Stagl, Klimaökonomin an der Wirtschaftsuniversität Wien, betont: "Das Ziel liegt am unteren Ende der Empfehlungen des Europäischen Wissenschaftlichen Beirats zum Klimawandel, der eine Reduktion von 90 bis 95 Prozent vorschlägt." Jakob Graichen vom Öko-Institut in Berlin hingegen schätzt die angepeilte Reduktion von 2030 bis 2040 als sehr steil ein, in dieser Dekade sei mehr zu schaffen als in den Jahren bis 2030. "Das als unambitioniert zu bezeichnen verfehlt den Kern." Mehr sei zwar besser, das Ziel müsse aber auch erreichbar sein. Angestrebt ist das Einsparen von 400 Millionen Tonnen CO2, teilweise auch durch das Entfernen aus der Atmosphäre.

Für die österreichische Klimaforscherin Helga Kromp-Kolb, ist aus wissenschaftlicher Sicht "weniger wichtig, bis wann minus 90 Prozent oder minus 95 Prozent Treibhausgasemissionen erreicht werden, als vielmehr, wie viele Treibhausgase bis dahin in die Atmosphäre eingebracht wurden". Das würde auch der wissenschaftliche Beirat der EU bestätigen. "Anders ausgedrückt geht es darum, das Treibhausgasbudget einzuhalten. Mit ihrem '-55 % bis 2030'-Ziel war die EU nicht sehr ambitioniert, hat also jetzt dringenden Aufholbedarf", sagt Kromp-Kolb.

To-dos im Autoland Österreich

Die bisher gesetzten Maßnahmen Österreichs halten die Expertinnen und Experten für unzureichend. "Die Emissionsbilanz ist erschütternd", sagt Oliver Geden vom Deutschen Institut für Internationale Politik und Sicherheit (SWP), der auch im wissenschaftlichen Beirat der österreichischen Carbon-Management-Strategie ist. Das mag überraschen, weil das Land durch Wasserkraft erneuerbare Energien nutzt. Aber gerade weil der österreichische Stromsektor dadurch bereits weitgehend dekarbonisiert war, sei seit 1990 nicht viel getan worden. Gleichzeitig hätten die Verkehrsemissionen sehr stark zugenommen, was auch am Transitverkehr liege und den sehr niedrigen Steuern auf Benzin und Diesel – denn es wird eingerechnet, wo Treibstoff verkauft wird. "Das ist ein Problem, das die österreichische Bundesregierung auch leicht lösen könnte", sagt Geden. An den hiesigen Transportsektor hat sich "bislang keine Regierung wirklich herangetraut".

Stagl bestätigt, dass Österreich "jahrzehntelang klimapolitischer Nachzügler war". Generell seien die EU-Länder nicht auf dem Weg, die Ziele für 2030 zu erreichen. Die politischen Entwicklungen in vielen Staaten könnten die Zielerreichung weiter erschweren. "Obwohl Österreichs Ziel, bis 2040 klimaneutral zu werden, ambitioniert ist und den nationalen Möglichkeiten entspricht, bleibt die tatsächliche Umsetzung der laut Effort-Sharing notwendigen Reduktionen hinter den Erwartungen zurück."

Auch Kromp-Kolb, die Vorstandsmitglied des Austrian Panel on Climate Change (APCC) ist, würdigt das "ambitionierte Ziel" der österreichischen Regierung: Netto-Null-Emissionen 2040 würden bedeuten, dass etwa 95 Prozent der Treibhausgasemissionen bis 2040 eingespart werden müssten. "Das ist gut, allerdings fehlen die gesetzlichen Maßnahmen, die eine Erreichung dieses Zieles ermöglichen", sagt Kromp-Kolb. "Gute und ambitionierte Gesetzesentwürfe werden zu zahnlosen Gesetzen amputiert. Insofern könnte selbst die schwache EU-Vorlage helfen, die österreichische Wirtschaft vor ihren Vertretungen zu retten."

Klarerweise kann nicht eine singuläre Maßnahme gewährleisten, Österreich tatsächlich Richtung Klimaneutralität zu bringen, die Forschenden empfehlen diverse Maßnahmen. "Die Auswirkungen der Erderhitzung werden in den nächsten Jahren weiter zunehmen und große gesellschaftliche Kosten verursachen – ein effektiver Maßnahmenmix sollte daher jenen Optionen Vorrang geben, bei denen Emissionen gesenkt werden und gleichzeitig die Resilienz unseres Lebensraums gestärkt wird", sagt Huppmann. 

"Für Österreich bedeutet das insbesondere die Verlagerung des Autoverkehrs auf öffentliche Verkehrsmittel und die Stärkung von aktiver Mobilität wie Radfahren." So würde auch Raum für Entsiegelung und Begrünung in Städten entstehen, wodurch Gesundheitsbelastungen durch Hitze in der Stadt und Feinstaub verringert werden könnten.

Atomkraft nur kleine Rolle

Im EU-weiten Emissionshandel hat nicht nur Österreich ein großes Defizit. An der Spitze stehen Deutschland, Italien und Frankreich. Auf der Angebotsseite stehen dem gegenüber Schweden, Portugal, Griechenland und Spanien – Länder, die auch aufgrund der Wirtschaftskrisen Emissionen reduzieren mussten (oder konnten). Ein großer Teil davon sei zwar nicht Klimaschutzmaßnahmen zu verdanken, sagt Graichen, aber Spanien habe im Bereich der erneuerbaren Energien bereits viel erreichen können. "Schweden ist hier ein Sonderfall, dort hat man sehr früh und stark auf Elektrifizierung gesetzt", sagt der Physiker und Klimaschutzexperte.

Atomkraft spiele im Vorschlag übrigens nur eine relativ kleine Rolle. Überraschend sei aber, dass sogenannte Small Modular Reactors (SMRs) bereits Anfang der 2030er-Jahre ans Netz gehen sollen – mit einer Technologie, die derzeit noch unzureichend entwickelt sei und für die eigentlich Jahrzehnte an Vorlaufzeit eingeplant werden müssten. Das hält Graichen für "extrem ambitioniert". SMRs sind quasi die Kleinversionen eines Kernkraftwerks, die in Fabriken gefertigt werden und eine höhere Sicherheit gewährleisten sollen.

Kommende EU-Wahlen wichtig

Für Huppmann stellt der Vorschlag der Kommission einen "Startpunkt für die Diskussion der Energie- und Klimapolitik des nächsten Jahrzehnts" dar, wobei "langfristige, stabile Rahmenbedingungen für den Erhalt des Wirtschaftsstandorts und für soziale Akzeptanz unabdingbar" seien. Da die tatsächliche Umsetzung der nächsten Kommission obliege, seien die kommenden Wahlen für das EU-Parlament von großer Bedeutung für die Ausgestaltung der Energie- und Klimapolitik Europas. Gleichzeitig würden die nationalen Energie- und Klimapläne der einzelnen Mitgliedsstaaten deutlich zeigen, dass "Europa mit den bis jetzt gesetzten Maßnahmen die Klimaziele bis 2030 klar verfehlen wird", sagt Huppmann. "Die Diskussion sollte sich daher darauf konzentrieren, wie gleichzeitig kurzfristige Maßnahmen verstärkt werden können und mittelfristig die Planungssicherheit für Unternehmen und Gesellschaft erhöht werden kann."

Auch Stagl betont, dass das Ziel für 2040 als Brücke zwischen den bestehenden EU-Zielen diene, die Emissionen bis 2030 um 55 Prozent zu reduzieren und bis 2050 klimaneutral zu werden. "Das Erreichen dieser ehrgeizigen Ziele erfordert eine beispiellose Reduzierung der Treibhausgasemissionen durch ein breites Spektrum wirksamer politischer Maßnahmen in allen Sektoren", sagt Stagl. Da konkrete Maßnahmen nur im Anhang des Vorschlags angeführt seien, "scheint die Mitteilung der Kommission eher eine politische Debatte anstoßen zu wollen", ortet auch sie. "Obwohl die Mitteilung noch nicht rechtsverbindlich ist, wird sie die Grundlage für künftige Rechtsvorschriften bilden, mit denen die EU über ihre derzeitigen Ziele für 2030 hinausgehen kann."

Bauernproteste und soziale Gerechtigkeit

Dass die Kommission in ihrem Vorschlag mehrfach auf die Notwendigkeit hinweist, die Transformation zu einer klimaneutralen Gesellschaft sozial gerecht zu gestalten, wird von den Forschenden durchgehend positiv hervorgehoben. "Die Vorstellungen, was das in der Realität bedeutet, gehen aber weit auseinander", sagt Huppmann. "Die Proteste der Bauern in mehreren europäischen Ländern haben zwar nur bedingt mit Klimapolitik zu tun, haben aber bereits zu einigen Rückziehern der Politik geführt." Kurzfristig würde dies Druck aus dem politischen System nehmen, mittelfristig würde es aber die Erreichung gesellschaftlich unumstrittener Ziele wie gesunde Ernährung, Umweltschutz und Stärkung der Biodiversität schwächen. Ähnlich wie während der Corona- und der Wirtschaftskrise müssen die längerfristigen Klimaziele zugunsten anderer Themen, die akuter wahrgenommen werden, zurückstecken.

"Die Landwirtschaft wird der große Problemfall werden, auch politisch", schätzt Klimapolitikexperte Geden. Hier habe sich die EU-Agrarpolitik bisher extrem zurückgehalten, was auch auf die starke Machtposition der Agrarverbände und ihre Lobbyarbeit im Europäischen Parlament zurückgeht. Wenn dieser Bereich nicht bald ambitioniert angegangen werde, seien immense Kapazitäten zur Entnahme von CO2 aus der Atmosphäre nötig, um die Emissionen aus der Landwirtschaft auszugleichen. Gleichzeitig ist es gerade die Landwirtschaft, die künftig unter den Folgen des Klimawandels leiden wird und der eine starke Klimapolitik zugutekäme.

Auch Stagl kritisiert "die Streichung spezifischer Ziele in letzter Minute, weil die Landwirte protestierten". Sie betont, dass "der Widerstand der Landwirte gegen Maßnahmen, die sie schützen sollen, paradox ist und Fragen aufwirft". Die endgültige Fassung des Dokuments vernachlässige wichtige Bereiche wie die Reduzierung von Methan- und Stickstoffemissionen aus der Landwirtschaft und "untergräbt damit die Wirksamkeit der Klimaschutzbemühungen".

Denkbar ist auch die Einführung eines CO2-Handels im Agrarbereich. Dabei wäre aber nicht nur mit Protesten zu rechnen, sondern auch mit einem hohen Aufwand für Monitoring und Verwaltung. Große Veränderungen sind laut Graichen in diesem Sektor allerdings unumgänglich, in dem oft so getan werde, als könne man ohnehin kaum etwas verändern. "In der Landwirtschaft sind viel mehr Emissionen vermeidbar", sagt der Klimaschutzexperte. Landnutzungsexpertin Julia Pongratz von der Ludwig-Maximilians-Universität München sieht das ähnlich: Es gebe noch große Stellschrauben, etwa bei der Fleischproduktion. Was oft in den Bereich der "unvermeidbaren Emissionen" falle, etwa ein nachhaltigerer Fleischkonsum, kann den Fachleuten zufolge durchaus mit Lebensstilveränderungen und finanziellen Anreizen die vielleicht größten Beiträge zum Klimaschutz leisten. Diese haben gleichzeitig weitere positive Effekte wie ein gesünderes Leben und resilientere Ökosysteme.

Umstrittene Technologien

Kritisch sieht Stagl auch "die Fokussierung auf noch nicht ausreichend erprobte Technologien wie Carbon Capture and Storage (CCS), insbesondere wenn dies zulasten der dringend notwendigen Reduktion fossiler Brennstoffe geht". Sie warnt zudem davor, dass eine übermäßige Ausrichtung auf CCS fälschlicherweise signalisieren könnte, dass weiterhin in fossile Brennstoffe investiert werden kann.

Die industrielle Entfernung von bereits emittiertem CO2 aus der Atmosphäre wird zwar beispielsweise in einer isländischen Anlage praktiziert, doch sie entfernt nur 4.000 Tonnen CO2 pro Jahr. Wenn man die nötige Kohlenstoffentnahme nur mit derartigen Anlagen bewerkstelligen würde, "müssten wir jeden Tag bis 2040 drei solche Kraftwerke bauen", sagt Geografin Julia Pongratz. Graichen betont ebenfalls: "Jede nicht-emittierte Tonne CO2 ist besser fürs Klima als eine entnommene Tonne CO2 (aus der Atmosphäre, Anm.)."

Auch für Huppmann bleibt fraglich, wie rasch die technologische Transformation bei der Energieerzeugung, auf der die EU-Klimaziele für 2040 basieren, tatsächlich vonstattengehen wird. Während die EU-Reduktionsziele bis 2030 fast ausschließlich mit einfachen und bereits verfügbaren Optionen zur Emissionsreduktion erreichbar sein sollten, ist in den Szenarien bis 2040 ein steigender Anteil von Kernkraft und Technologien zur Kohlenstoffabscheidung und Kohlenstoffspeicherung vorgesehen. "Ob diese Optionen aber tatsächlich in den nächsten 15 Jahren wirtschaftlich und politisch umsetzbar sind, ist mehr als fraglich", sagt Huppmann. Er sieht dafür "weder die Akzeptanz für die Speicherung von Kohlendioxid in leeren Gaslagerstätten in Österreich", noch sei der rasche Bau neuer CO2-Pipelines plausibel, wenn man die lange Vorlaufzeit bei der Erweiterung der West-Austria-Gasleitung berücksichtige.

Die nächsten Schritte der Politik

Kromp-Kolb sieht die prominente Rolle von Carbon Capture im EU-Kommissionsziel ebenfalls kritisch: "Dass der neue Vorschlag keinen Ausstiegsplan für fossile Energien, wohl aber CCS (Carbon Capture and Storage), eine umstrittene, vor allem aber eine in den nächsten Jahren noch nicht einsetzbare Technologie, enthält, zeigt, dass man die Emissionsreduktionen vonseiten der Politik wieder auf eine zu lange Bank schiebt." Damit könne die EU den zur Einhaltung der Pariser Ziele nötigen Beitrag nicht leisten.

Nach dem Kommissionsvorschlag für die Klimaziele liegt es nun an den Politikerinnen und Politikern der Mitgliedsstaaten sowie Stakeholdern, darüber zu diskutieren. Im Vergleich zum vorab geleakten Entwurf des Vorschlags, der womöglich von der Kommission selbst getätigt wurde, gab es übrigens keine grundsätzlichen Unterschiede, wie Geden sagt. Mit der Veröffentlichung des Vorschlags hätte man sich auch noch etwas Zeit lassen können und näher an die Wahl des Europaparlaments rücken können – über die Gründe dafür lässt sich spekulieren. Erst im Herbst geht es weiter, dann wird die Kommission eine Neufassung des Gesetzes vorlegen. Besonders interessant wird sein, ob es dann bei den vorgeschlagenen 90 Prozent Treibhausgasreduktion bleibt. (Julia Sica, Tanja Traxler, 7.2.2024)

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