Handelsblatt hier 23.2.24 Geschichte von Schumacher, Harald
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Ladesäulen-Fundamente, Abwasserrohre, Pflastersteine – die Palette zementfreier Beton-Fertigteile mit geringer CO2-Emission wächst stark. Unternehmen, die sie nutzen, helfen die Produkte, Ausschreibungen zu gewinnen.
Ende Februar reist das Who-is-who der deutschen E-Mobilität in Deutschlands westlichste Provinz: nach Schüttorf in der niedersächsischen Grafschaft Bentheim. Das Ziel der rund 200 Expertinnen und Experten, etwa von E.ON und BP, Siemens und Lichtblick ist: ein Betonwerk.
In ihr Städtchen an der niederländischen Grenze locken der jungdynamische Unternehmer Henning Kortmann, 36, und sein zwei Jahre älterer Co-Geschäftsführer Julian Krümpel die Gäste nicht nur mit Cocktails, Büfett und kompetentem Austausch.
Präsentieren wollen sie eine Innovation, die die Ladesäulen-Branche grüner machen wird: Kortmann hat die ersten zementfreien Fundamente für Strom-Ladesäulen entwickelt.
Die 30 bis 1000 Kilo schweren Fertigteile – in Schüttorf gegossen mit den vom Auftraggeber jeweils gewünschten Gewindehülsen und Öffnungen für Kabelrohre – sollen Kortmanns Ruf als Spezialist für den kaum beachteten Unterbau der E-Auto-Stromspender ausbauen. 100 bis 1000 Euro kostet bisher ein Fundament. Angesichts einer Investition von rund einer Million Euro für einen Schnelladepark mit einem halben Dutzend Ladepunkten ist das ein verschwindend geringer Anteil an den Gesamtkosten. Bis zu 25 Prozent mehr müssten die Kunden und Ladensäulen-Betreiber ausgeben, um mit Kortmanns neuem Produkt den CO2-Abdruck ihres Ladesäulennetzes zu reduzieren. Dessen CO2-Ausstoß wird durch den Verzicht auf Zement um 75 Prozent verringert .
Interesse daran besteht. Alex Friese etwa ist als Einkaufs-Manager bei BP Europa in Bochum an der Aufgabe beteiligt, die bisher bundesweit gut 2.300 Ladepunkte unter der Marke Aral pulse bis Ende 2025 auf 5.000 Ladepunkte mehr als zu verdoppeln. davon rund 90 Prozent an Tankstellen. Da BP bis 2050 die CO2-Bilanz auf Null senken will, überprüft der Konzern die Wertschöpfungskette „ständig auf CO2-Einsparpotenziale“, sagt Friese: „Das neue Produkt von Kortmann könnte dabei eine von vielen Optionen sein.“
Arjan van der Eijk, operativ verantwortlicher Geschäftsführer der E.ON-Tochter E.ON Drive Infrastructure (EDRI) und wie BP seit Jahren Kortmann-Kunde, ist in einer ähnlichen Lage. Das europaweit 5.300 öffentliche Ladepunkte umfassende EDRI-Netz wächst um rund 1.000 zusätzliche Ultra-Schnellladepunkte pro Jahr. Da die Kooperationspartner, auf deren Grundstücken die Ladesäulen errichtet werden, so Van der Eijk, „sehr an Nachhaltigkeitsaspekten interessiert sind, kann die Innovation von Kortmann einen wertvollen Beitrag zu unserem Gesamtkonzept leisten“.
Kortmann und Krümpel schätzen, dass sie 2024 rund 4.000 Kubikmeter Beton für Ladesäulenfundamente herstellen: „Wenn unsere Kunden ab sofort nur noch die Geopolymer-Variante kaufen, könnten wir 1.120 Tonnen CO2 einsparen“, bilanzieren die Unternehmer. Zwei Jahre hat ein Kortmann-Experte an der richtigen Mischung probiert und geforscht. Ein Patent für den neuen Spezialbeton bereitet das Unternehmer-Duo gerade vor.
Grundlage ist das Bindemittel Geopolymer. Ausgangsmaterialien dafür können Asche, Schlacke, Sand und Staub sein, die etwa in Hochöfen von Stahlwerken und Müllverbrennungsanlagen anfallen. Geopolymere können aber auch im Labor hergestellt werden. Bekannt sind die Substanzen seit über 50 Jahren. Nun werden sie neu entdeckt als Problemlöser beim Wettlauf um zementfreie Fertig-Betonprodukte. Diese Entwicklung nimmt gerade rasant Fahrt auf, und zwar weltweit.
Revolution im Kanalbau
Berding Beton etwa, einer der führenden Hersteller von Betonerzeugnissen für den Garten- und Landschaftsbau sowie für den Straßen- und Kanalbau, will in diesem Jahr die ersten zementfreien Abwasserrohre auf den Markt bringen. Das Unternehmen aus dem niedersächsischen Steinfeld stützt sich dabei auf ein Geopolymer-Bindemittel, das bereits 2004 von der australischen Wagners-Gruppe entwickelt wurde und in dessen Heimatmarkt etabliert ist. Die Zulassung für Deutschland durch das Deutsche Institut für Bautechnik in Berlin erwartet das norddeutsche Unternehmen zusammen mit dem rheinland-pfälzischen Partner Finger Beton sowie Röser aus Baden-Württemberg in den nächsten Monaten. Vermarktet wird das neue Produkt unter dem Namen next.beton. Als „Revolution im Kanalbau“ kündigt Berding die Produkteinführung an: Der CO2-Fußabdruck werde im Vergleich zu herkömmlichen Kanalsystemen um bis zu 70 Prozent reduziert – „völlig ohne technische oder qualitative Einbußen“.
Pflastersteine ohne Zement bietet seit Mitte 2023 Metten aus Overath bei Köln an. Zu rund 13 Prozent besteht herkömmliches Beton-Pflaster aus Zement. Bei einer Fläche von 10.000 Quadratmetern und einer Steindicke von 10 Zentimetern spart das Produkt namens EcoTerraZero 70 Tonnen CO2 ein. Metten verkauft global Lizenzen für das selbst entwickelte Produktionsverfahren. Die erste ausländische Produktion von Beton-Pflastersteinen und -Platten mit reduziertem Zementanteil startete vor wenigen Monaten in Toronto beim Hersteller Unilock, der zu den Großlieferanten an der gesamten amerikanischen Ostküste gehört. Im Sommer 2024 wird der saudische Betonsteinhersteller Metara folgen, der eine EcoTerra-Lizenz erworben hat. Dazwischen starten Lizenznehmer in Deutschland mit der Produktion.
Blauer Engel für Pflastersteine
Gleichzeitig vermarkten Hersteller wie Rinn Beton Pflastersteine mit stark reduziertem Zementanteil. Weil Rinn-Steine zudem bis zu 40 Prozent aus Recyclingmaterial bestehen, hat das Umweltbundesamt das Produkt aus Heidenheim bei Gießen als ersten Betonstein mit dem „Blauen Engel“ ausgezeichnet.
Auch international passiert viel. In Kanada produziert das Startup Carbicrete Beton-Hohlblocksteine zementfrei. Seit Anfang 2023 bereiten der finnische Hersteller Betolar und Fujairah Concrete Products (FCP) aus den Vereinigten Arabischen Emiraten die Markteinführung eines zementfreien Betonpflastersteins für Märkte im Nahen Osten vor. Der niederländische Hersteller Van den Bosch reduziert den Beton-Anteil mächtiger Beton-Stützwände auf inzwischen 50 Prozent und plant die Reduzierung auf Null: „Die ersten zementfreien Geopolymer-Stützwände wurden bereits hergestellt.“„Jeder entwickelt sein besonderes Rezept“, beschreibt Unternehmer Christian Rinn die vielfältigen Lösungen mit Geopolymer. Gemeinsam haben sie, dass ihre Produkteigenschaften nicht schlechter und teilweise sogar besser sind als bei der konventionellen Herstellung mit Zement, etwa bei Säureresistenz und Druckfestigkeit.
Kortmann musste einen Trick entwickeln, um zu erreichen, dass der selbst entwickelte Geopolymer-Beton eine halbe Stunde lang flüssig bleibt. „Die Masse wird schnell zäh wie Kaugummi“, sagt Co-Geschäftsführer Krümpel: „Das verhindern wir durch einen Trick und sorgen dafür, dass sich die Masse in den Formen perfekt verteilen kann.“ Trotzdem härtet der zementfreie Kortmann-Beton bereits nach sechs Stunden aus. Bei herkömmlichem Beton dauert das doppelt so lang.. „Ein bisschen dunkler ist er“, beschreibt Krümpel einen rein optischen Unterschied. Viel wichtiger aber: „Die Bruchfestigkeit ist sogar weit höher.“
In den jeweiligen Märkten sind die zementfreien Newcomer noch Nischenprodukte. Auf „unter ein Prozent“ schätzt etwa der Berding-Vertriebsmanager Peter Wolfstädter den aktuellen Marktanteil: „Wir glauben aber, dass das eine rasante Entwicklung nimmt.“
Klima-Bilanz als Vergabefaktor
Denn der Druck, ökologisch verträglich und klimaschützend zu bauen, wird in den kommenden Jahren enorm zunehmen. Schon jetzt wird etwa in Baden-Württemberg bei öffentlichen Ausschreibungen aufgrund eines Mitte 2023 verabschiedeten Klimaschutzgesetzes bei Ausschreibungen berücksichtigt, wieviel Kohlenstoffdioxid Baumaßnahmen aufgrund der verwendeten Materialien und Arbeitsprozesse emittieren. Andere Bundesländer werden nachziehen. Bei Baumaßnahmen des Bundes gilt die Regel ebenfalls schon. Wolfstädter sagt: „Für die Auftragsgewinnung ist es künftig mitentscheidend, welche Baustoffe ein Anbieter verwendet. “Wer zementfreie Betonprodukte einsetzt, hat dann bessere Chancen im Wettbewerb. Auch der Pflastersteinhersteller Metten erwartet, dass es wie beim Hochbau „auch bei öffentlichen Freiflächen bald selbstverständlich sein wird, die CO2-Bilanz auszurechnen und die Klimafreundlichkeit zum Standard-Kriterium bei der Vergabe öffentlicher Aufträge zu machen“.
Viel teurer muss der Einsatz der neuen Stoffe Baumaßnahmen nicht machen. Unternehmer Kortmann, der vor zehn Jahren die Führung des Unternehmens von seinem Vater übernahm, ist optimistisch, dass der anfängliche Preiszuschlag für die zementfreien Ladesäulen-Fundamente „bei größeren Stückzahlen erheblich abschmelzen wird“. Die Perspektiven dafür sind glänzend. Die Zahl der bisher rund 100.000 Ladepunkte in Deutschland soll bis 2020 auf eine Million verzehnfacht werden. Und unter den rund 1000 Beton-Fertigteilherstellern hat sich bisher nur Kortmann so intensiv auf die E-Mobilität spezialisiert.25.000 Ladesäulen-Fundamente verkauft Kortmann derzeit pro Jahr. Mit 25 Prozent Wachstum rechnet Co-Geschäftsführer Krümpel für 2024. Ähnlich schnell soll es weiter gehen. Der Anteil der Ladesäulen am Kortmann-Umsatz – derzeit 12 Millionen von insgesamt 35 Millionen Euro – dürfte weiter steigen.
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