Donnerstag, 1. Februar 2024

Das Ende der Hysterie - die letzte Generation denkt um

 hier  t-online MEINUNG von Johannes Bebermeier  am 31.01.2024 


Die E-Mail kam unscheinbar daher. "Neue Strategie für 2024" stand darüber. Und doch verkündete die enthaltene Pressemitteilung ein großes Ende. Das Ende einer bedeutenden Phase der Klimaproteste in Deutschland.


Die "Letzte Generation" will nicht mehr tun, womit sie bekannt und wofür sie von vielen regelrecht gehasst wurde: Die Klimakleber wollen nicht mehr fürs Klima kleben. Es beginne "eine neue Ära unseres friedlichen, zivilen Widerstandes – das Kapitel des Klebens und der Straßenblockaden endet damit", schreiben die Aktivisten.

Das ist aus zwei Gründen gut und richtig und wichtig: weil der Protest nicht funktioniert hat. Und weil es dringend Klimaprotest braucht, der funktioniert.

Alles begann vor zwei Jahren mit 24 Menschen und einer Straßenblockade. So beschreibt es die Gruppe selbst. Mit einem wichtigen Ziel von den Protesten klappte es seitdem sehr gut: der öffentlichen Aufmerksamkeit. Klimakleber klebten, Autofahrer hupten, Medien berichteten, Politiker wüteten. Es war ein großes Hallo.

Der "Spiegel" hob die Klimakleber im August sogar aufs Titelblatt. "Die neuen Staatsfeinde" stand dort unter einem Bild, das einen harmlosen Teenager mit Hut, Warnweste und Rucksack zeigte, der vor einem Auto saß. Teile der Klimaszene kritisierten den Titel als unerhört, als völlig überzogene Anklage gegen die Aktivisten. Dabei war es eigentlich nur die pointierte Darstellung der verqueren Debattenlage.

"Gewalttäter" war damals noch eine der freundlicheren Bezeichnungen für die Klimakleber. "Antidemokraten" wurden sie genannt und "Klima-RAF". Sie wurden mit den islamistischen Taliban verglichen und den Schlägertrupps der 20er- und 30er-Jahre – also im besseren Fall mit den Kommunisten, im schlechteren Fall mit der Sturmabteilung der Nazis. Nicht irgendwelche Journalisten zogen solche Parallelen. Es waren namhafte Politiker der Union, der FDP und der SPD. Inklusive Bundesministern wie Marco Buschmann, zuständig für die Justiz. Es war wild.

Bundesjustizminister Marco Buschmann (FDP): "In den 1920er- und 1930er-Jahren gab es in Berlin straßenschlachtartige Zustände, weil sich Menschen am linken und rechten politischen Rand selbst ermächtigt fühlten, sich über die Rechtsordnung zu stellen und die eigenen Vorstellungen mit der Faust durchzusetzen. Das darf sich nicht wiederholen." (Quelle: IMAGO/Janine Schmitz/imago)

Die Klimakleber haben für ihr Anliegen Gesetze gebrochen, sie wurden und werden dafür bestraft. Sie haben viele Menschen genervt, wütend gemacht. Sie haben in Kauf genommen, dass auch Krankenwagen im Stau standen, und damit auch, dass Menschen gefährdet werden. Was sie, soweit man weiß, nie getan haben: Gewalt gegen Menschen verübt. Stattdessen gibt es Dutzende dokumentierte und verfolgte Fälle, in denen Autofahrer und Passanten die Aktivisten angegriffen haben.

Die Klimakleber also als Schlägertrupps? Als Terroristen? Als Menschen, die anderen Menschen den Kopf abschlagen? Die Kritik war irgendwann völlig maßlos, ohne Sinn und Verstand, eine Klimakleber-Hysterie. Das muss zum Ende dieses Kapitels der Protestgeschichte dann doch noch mal gesagt werden. Und es wäre der Demokratie zu wünschen, dass so eine Hysterie nicht noch einmal entsteht.

Das alles macht die Klebeproteste nur leider nicht erfolgreicher, im Gegenteil. Schon Ende 2022 hatte der "Spiegel" ermittelt, dass die Aktionen fast 90 Prozent der Deutschen zu weit gingen. Nun muss Protest nicht unbedingt beliebt sein. Aber es reicht eben auch nicht, sich bei allen unbeliebt zu machen. Neben einer kritischen Masse an Aktivisten braucht es zumindest die Solidarität und Anerkennung potenzieller Verbündeter, sowohl in der Zivilgesellschaft als auch in der Politik.

Der "Letzten Generation" fehlte es immer an allem. Und sie scheint das inzwischen eingesehen zu haben. Die Bewegung ist nicht groß genug, selbst bei den Großaktionen waren es im letzten Jahr nicht mal tausend Personen. Ziel sei es nun, "eben jene kritische Masse an Menschen auf die Straßen zu mobilisieren, die es braucht", schreiben die Aktivisten zu ihrer neuen Strategie.

Die Wenigen haben zwar viel Aufmerksamkeit erzeugt. Solidarität und Anerkennung aber hat die "Letzte Generation" nicht mal von anderen Klimagruppen bekommen. "Fridays for Future" distanzierte sich von den Klimaklebern mit dem Hinweis, dass Straßenblockaden keine Unterstützung hätten. Es brauche aber gesellschaftliche Mehrheiten.

Die fehlende gesellschaftliche Anerkennung führte dazu, dass es sich manche Politiker gemütlich machen konnten. Sie kritisierten die "Letzte Generation" und mussten sich plötzlich nicht mehr rechtfertigen für ihre eigene unzureichende Klimapolitik. Der Protest machte es ihnen leichter statt schwerer, ihre mangelnde Ambition zu erklären. Die Leute finden die Klimakleber doof? Wunderbar, dann wollen sie offensichtlich keinen Klimaschutz und wir müssen uns nicht so abmühen.

Selbst die Grünen sahen sich immer wieder genötigt, sich von den Klebeprotesten zu distanzieren. Das kann man richtig oder opportunistisch finden für eine Klimapartei. Es zeigt jedenfalls, wie wenig nützlich sie die Proteste für ihr Anliegen fanden, in der Ampelkoalition mehr Klimaschutz durchzusetzen. Nämlich eher als Hindernis denn als Hilfe, was am Ende keine gute Nachricht sein kann.

Angela Merkel: Das Klimapaket ihrer Großen Koalition ging 2019 einer Mehrheit nicht weit genug. Heute wird es in Teilen zurückgebaut. (Quelle: Mateusz Wlodarczyk/imago images)

Tatsächlich sind die gesellschaftlichen Mehrheiten für den Klimaschutz in den zwei Jahren der "Letzten Generation" eher geschrumpft als gewachsen. Ende 2019, in der Hochzeit von "Fridays for Future", waren laut "Politbarometer" noch 59 Prozent der Deutschen der Meinung, dass die Klimakrise das drängendste Problem sei. Auch damals, wir erinnern uns, waren längst nicht alle glücklich über die Kinder und Jugendlichen, die freitags die Schule schwänzten. Trotzdem ging das damalige Klimapaket der Merkel-Regierung 53 Prozent der Deutschen nicht weit genug.

Von solchen Werten ist der Klimaschutz heute weit entfernt. Im November des vergangenen Jahres hielten nur noch 20 Prozent "Klima und Energie" für das wichtigste politische Thema. Den Kern des Merkelschen Klimapakets will die Ampel nun aufweichen: das Klimaschutzgesetz. Ihre eigenen Klimaziele hält sie absehbar auch nicht ein, wie sie selbst eingesteht. Und der öffentliche Aufschrei bleibt: übersichtlich, vorsichtig gesagt.

Daran ist natürlich nicht nur die "Letzte Generation" schuld. Es ist viel passiert in dieser Zeit, ein Krieg in Europa zum Beispiel. Und ein Heizungsgesetz, das Klimaschutz auch nicht beliebter gemacht hat. Aber das Maß der Aufmerksamkeit für die Klimakleber steht dann doch in krassem Gegensatz zum Abstieg der Klimafrage im öffentlichen Diskurs. Ob die "Letzte Generation" ihrem Anliegen sogar geschadet hat, ist schwer zu messen. Ausreichend geholfen hat sie ihm jedenfalls nicht.

Es ist deshalb gut, dass das Klimakleben endet. Es wäre ebenso gut, wenn die "Letzte Generation" mit ihren nun geplanten "ungehorsamen Versammlungen" erfolgreicher wäre als mit ihren Straßenblockaden. Und wenn sie tatsächlich als "etwas Positiveres wahrgenommen werden", wie sie es jetzt erklären. Der Kampf gegen die Erderhitzung hätte es dringend nötig.


auch hier im Südkurier am 04. Februar 2024 macht sich Angelika Wohlfrom Gedanken.

Es hat sich ausgeklebt: Das bringt den Klimaschutz endlich aus der Schmuddelecke

Die Letzte Generation ändert ihre Methoden. Gut so. Klimaschutz-Aktionen, die ständig im Verdacht des Kriminellen stehen, beschädigen letztlich das Ziel selbst.

Eines muss man den Aktivisten der Letzten Generation lassen: Sie haben in den vergangenen beiden Jahren dafür gesorgt, dass der Gedanke an den Klimaschutz nicht ganz von der Agenda verschwindet. Großer Erfolg war ihnen trotzdem nicht beschieden, sie sind, man muss es so hart sagen, gescheitert.

So, wie die Gruppe es bislang angegangen ist, konnte sie ihr Ziel jedenfalls nicht erreichen: die Bundesregierung zu konsequentem Klimaschutz zu bewegen.

Von dringenderen Sorgen überlagert

Bei der Bevölkerung waren die Aktivisten nicht erfolgreicher: Die Zustimmung zum Klimaschutz hat merklich abgenommen. 68 Prozent der Befragten waren vor zwei Jahren noch positiv gestimmt gegenüber der Bewegung, im Mai 2023 waren es nur noch 34 Prozent, wie Umfragen zeigen. Das dürfte mehrere Ursachen haben.

Das Klima-Thema wurde seit dem Beginn des Ukraine-Kriegs von dringenderen Sorgen und Nöten überlagert. Von Krieg und Leid, von einer neuen Flüchtlingskrise und nicht zuletzt von der Energiekrise. Die wichtigste Frage lautete für viele Menschen auf einmal nicht mehr: Wie stoppen wir die CO2-Emissionen? Sondern: Wo kommt in Zukunft das Gas her und wie sollen wir das noch bezahlen.

Dass seither die Emissionen in Deutschland tatsächlich zurückgegangen sind, hatte weniger mit Klimaschutzmaßnahmen zu tun als damit, dass die Industrie nicht mehr auf Volllast produzierte und dass auch im Privaten – aus finanziellen Gründen – Energie gespart wurde.

Die Entwicklung der vergangenen beiden Jahre hat die Prioritäten verschoben und den Deutschen klargemacht, wie abhängig unser Land, die Wirtschaft, unser Wohlstand und unser Lebensstil von fossilen Energien sind. Was so ungefähr das Gegenteil dessen ist, was uns die Klimakleber eigentlich vermitteln wollten.

Das Schockmoment hat sich abgenutzt

Die Letzte Generation hat es aber auch selbst vermasselt: Ein nicht zu vernachlässigender Grund für die nachlassende Zustimmung der Bevölkerung zum Klimaschutz liegt in ihren Aktionsformen begründet. Straßenblockaden und Farbattacken auf Bilder und Kulturdenkmäler erregen zwar erstmal große Aufmerksamkeit. Eine Art Schockmoment der Erkenntnis, dass es dabei um etwas Existenzielles gehen muss, wenn Menschen bereit sind, sich auf diese Weise auszusetzen – den Gefahren der Straße, aber auch der Strafverfolgung, die die Aktivisten billigend in Kauf genommen haben für ihr höheres Ziel.

Doch der Effekt nutzt sich ab, wenn dies wieder und wieder passiert. Stattdessen reagieren die Menschen irgendwann vor allem genervt. Das Ziel, das Bewusstsein zu schärfen für das eigentliche Anliegen, hatte es bei diesen Methoden von Anfang an schwer. Zum Schluss war damit gar nichts mehr zu holen.

Zumal inzwischen andere Gruppen den Klimaaktivisten zunehmend die Straße streitig machen: Bauern blockieren mit ihren Traktoren Innenstädte und Autobahnen (und sind damit erfolgreicher als die Klimakleber), Lokführer legen den Zugverkehr weitgehend lahm, zuletzt dominieren Demos gegen Rechtsextremismus das Bild.

Die Aufmerksamkeitsökonomie lässt da keinen Platz für Klimaaktivisten. Offenbar auch den Demonstranten selbst. Zuletzt habe die kritische Masse gefehlt, die bereit war, bei den Aktionen mitzumachen, berichtete ein führendes Mitglied. Deshalb will man es jetzt mit anderen Methoden probieren.

Es ist also zu hoffen, dass die neuen Methoden weniger konfrontativ ausfallen. Wer etwas für den Klimaschutz erreichen will, muss die Menschen mitnehmen, anstatt sie mit Überforderung zu verprellen.

Ein Beispiel aus dem Bereich der Politik, wo dies ebenfalls nicht geklappt hat, war das Heizgesetz im vergangenen Jahr. Es geht nicht nur im Wohlfühlmodus, aber Klimaschutz muss machbar sein. Sonst wendet sich die Mehrheit ab, ohne die das Ziel jedoch nicht zu erreichen ist. Maximalforderungen lassen sich damit nicht durchdrücken.

Deeskalation tut allen Seiten gut

Klimaschutz-Aktionen, die ständig im Verdacht des Kriminellen stehen, beschädigen letztlich das Ziel selbst. Was eigentlich unsere Zukunft sichern sollte, gerät in den Ruch der dunklen Machenschaften, auch wenn da keine sind. Mit ihren Klebeaktionen hielten die Aktivisten die ohnehin überlasteten Gerichte unnötig beschäftigt. Und sie riskierten eine Einstufung als kriminelle Vereinigung, die derzeit in Berlin und München geprüft wird, auch wenn der Vergleich mit der Mafia noch so absurd ist.

Letztlich tut die Letzte Generation auch im eigenen Interesse gut daran zu deeskalieren. Bei einer Verurteilung wegen Bildung einer kriminellen Vereinigung wären im Vergleich härtere Strafen möglich – unter Umständen bis zu fünf Jahre Haft. Das kann auch der überzeugteste Klimaaktivist nicht wollen. Und dem Klimaschutz wäre damit sowieso nicht gedient.

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen