hier Schwäbische Zeitung Von Merlin Isabo 2.2.24
Das Leben in der Waldbesetzung
Seit drei Jahren schlafen diese jungen Menschen im Wald - auch bei eisigen WinternächtenIn Baumhäusern wie diesem verbringen die Klimaaktivisten die Nächte.Das Wohnzimmer der Klimaaktivisten in luftiger Höhe. Sogar einen ausgedienten Wohnwagen haben die Aktivisten an den Bäumen hochgezogen.
Das kristallklare Wasser plätschert unaufhörlich aus dem verwitterten Kupferrohr. Es schlängelt sich vorbei an Buche, Esche und Tanne, durch den Altdorfer Wald. Tuck (18) beugt sich mit dem Kopf voraus über die Quelle. Die Hände zu einem Trichter geformt, fängt die Klimaaktivistin das Wasser auf und reibt sich gründlich das Gesicht. Langsam löst sich der Dreck der vergangenen Tage von Wangen und Kinn. Dann schlürft sie noch drei, vier Schlucke, bevor das Gesicht wieder hinter dem roten Schal und der violetten Mütze verschwindet. Sie füllt Kanister mit Wasser und bringt sie ins Camp. Ihren echten Namen möchte sie, wie die meisten anderen auch, nicht nennen. „Wegen der Polizei“, sagt sie. Was die Gruppe hier im Wald macht, bezeichnen Juristen als zivilen Ungehorsam und kann strafbar sein. Bisher tolerieren die Behörden das Protestcamp aber.
Seit fast drei Jahren leben Umweltaktivisten nun im „Alti“ - so nennen sie den Altdorfer Wald, das mit 82 Quadratkilometern größte zusammenhängende Waldgebiet Oberschwabens. Im Februar 2021 haben sie über Nacht ein Baumhaus auf einem Waldstück bei Grund in der Nähe von Vogt gebaut. Inzwischen sind noch mehr dazugekommen. Genau dort sieht der neue Regionalplan ein Kiesabbaugebiet von elf Hektar vor.Seit 2017 protestieren Bürger und Gemeinderäte der umliegenden Kommunen gegen das Vorhaben. Dann zogen die überwiegend jungen Menschen in den Wald, um den Protest dauerhaft sichtbar zu machen. Den Hambacher Forst als Vorbild, wo Klimaaktivisten gegen den Braunkohleabbau protestiert haben, ist im Altdorfer Wald inzwischen ein kleines Dorf aus Baumhäusern und eigener Infrastruktur entstanden.
Das Baumhausdorf ist dauernd besetzt. Keinen Tag ist es verlassen. Und so übernachten die Aktivisten dort auch bei frostiger Eiseskälte. Während das Waldleben im Sommer fast einem abenteuerlichen Camping-Urlaub gleicht, ist es in der jetzigen Jahreszeit alles andere als gemütlich. Gerade die kalten Winternächte sind nichts für schwache Nerven.
Eine Heizung gibt es nicht, der Holzofen in der Baumhaus-Küche ist die einzige Wärmequelle. Sobald die Temperaturen Richtung Gefrierpunkt wandern, mummeln sich die Aktivisten lieber nochmal in eine zusätzliche Decke ein und legen sich in ihre dicken Schlafsäcken.„Wir schlafen am liebsten in dem alten Wohnwagen, weil der zumindest ein wenig isoliert ist. Das ist zwar trotzdem nicht wirklich angenehm, man gewöhnt sich mit der Zeit aber daran“, sagt Tuck. Den ausrangierten Wohnwagen haben sie an Seilen an einem Baum hochgezogen und ausgebaut. Und noch ein Problem gibt es im Winter: Das Wasser in den Kanistern wird zu Eis. „Im Winter herrscht bei uns deswegen oft Wassermangel“, erklären die Aktivisten. Außerdem erschweren die Feuchtigkeit und der aufgeweichte Boden zum Beispiel den Bau von neuen Baumhäusern und natürlich den Weg von und zur Wasserquelle.
Der Waldburger Rücken, wie dieser Teil des Altdorfer Waldes heißt, ist auch ein großer Wasserspeicher. Von dort beziehen die Gemeinden Baienfurt und Baindt ihr Trinkwasser. „Wenn der Kies hier erst einmal abgebaut wird, war es das wohl“, befürchtet Lillith (23). Das Gestein sei nämlich ein natürlicher Filter, wodurch das Quellwasser gereinigt werde. Dass die Quellen versiegen, dürfte jedoch eher unwahrscheinlich sein, und Auflagen des Landratsamts sollen das Wasser auch im Falle eines Kiesabbaus sichern. Denn Kiesabbau im Wasserschutzgebiet ist legal und in ganz Deutschland schon längst Praxis.Tatsächlich ist es geologisch so, dass Kies und Wasservorkommen in Beziehung zueinander stehen. Wo es Kies gibt, gibt es Wasser, und wo es Wasser gibt, gibt es Kies. Die kleinen Steinchen sind ein elementarer Baurohstoff, der für die Herstellung von Beton und Asphalt benötigt wird. Einerseits brauchen Wirtschaft und Gesellschaft den Rohstoff, andererseits will die Gesellschaft die Natur in Zeiten des Klimawandels schützen. Genau dafür sind Tuck und die anderen in den Wald gezogen. Somit steht der Altdorfer Wald stellvertretend für die großen Konflikte in der Gesellschaft.Tuck macht sich mit den Kanistern auf den Weg von der Quelle zurück zum Baumhauscamp. Auf halber Strecke wartet der 21-jährige Samuel Bosch. Seit 2020 kämpft er für mehr Klimaschutz und hat sich durch verschiedene Protestaktionen in der Region einen Namen gemacht. Auch Kia (35) ist bei ihm und schiebt eine zweite Schubkarre vor sich her. Beide sind in dicke Winterjacken eingepackt. Ab hier haben sie die Wege mit Holzpfählen und Seilen abgesteckt, der sumpfige Boden ist mit Tannenreisig verdichtet. Große Transparente hängen zwischen den Tannen und flattern im Wind. „Altdorfer Wald bleibt!“ und „Kies ist Mist!“ steht darauf. Sie weisen den Weg nach „Unterobacht“, so nennen die Klimaaktivisten ihr zentrales Lager.
Fünf Tannen stützen das Baumhaus, etwa sechs Meter hängt es über dem Waldboden. Es ist das größte von insgesamt zehn. Jedes hat einen eigenen Namen. Sie tragen Namen wie „Rattenloch“ oder „Arche“. Die Wände sind aus Spanplatten und angelaufenen Fenstern zusammengeschustert, eine Regenbogenfahne, Poster der „Antifa“ und Parolen wie „Bauboom stoppen!“ haften daran. Das Schrägdach besteht aus langen Stöcken und alten Planen - Material, das eigentlich im Müll gelandet wäre, hier aber noch Verwendung findet. Darum geht es den Aktivisten auch: „Wir müssen lernen, sparsamer mit Rohstoffen umzugehen“, sagt Samuel Bosch.
Schritt für Schritt zieht sich Samuel Bosch vorsichtig an den nassen Sprossen einer Holzleiter nach oben. Dort steht ein alter, rostiger Holzofen in der Ecke. Die Herdplatte ist verrußt, der weiße Lack blättert schon ab. Lillith öffnet ein kleines Türchen und füttert den schwarzen Schlund mit Fichtenbrettern und Pappe. Weil das Holz noch feucht ist, helfen sie mit Wachs und Reisig nach. Schon bäumt sich das kleine Fünkchen zu einer hellen, leuchtenden Flamme auf. Trotz des selbstgebauten Dunstabzugs macht sich sofort ein beißender Gestank im Baumhaus breit.
Aber es gibt hier auch Strom. Dazu hat die Gruppe eine Solarplatte in die Baumwipfel gehängt und Kabel durch den Wald gezogen. „Damit haben wir immerhin genug Strom für Licht und um unsere Handys zu laden“, sagt Samuel Bosch. Und sogar einen WLAN-Hotspot für Fernunterricht gibt es hier. Viele der Aktivisten sind nämlich Studenten oder Schüler. Ihr Geld verdienen sie sich zum Beispiel durch Minijobs.
Tuck bedient sich am Speiseregal. Alles ist auf Deutsch und Englisch beschriftet. „Für die internationalen Gäste“, erklärt sie. Die Gruppe werde nämlich auch von Klimaaktivisten aus anderen Ländern unterstützt. „Die bleiben immer für ein paar Tage und ziehen dann zum nächsten Projekt weiter“, sagt Tuck und schnappt sich Mehl, Salz und Haferflocken aus dem Regal. Hier lagern nur die fest verschlossenen Lebensmittel. „Weil sich hier schon öfter Mäuse haben blicken lassen“, erzählt sie. Der Rest baumelt sicher verstaut in einem blauen Plastikfass in den Bäumen.
Als nächstes brät sie in einer verbeulten Bratpfanne Fladenbrot. Ihre Lebensmittel holen die Aktivisten aus den Müllcontainern von Supermärkten. Containern nennt sich diese Praktik. Viele Sachen sind daher schon lange abgelaufen. Außerdem erhalten sie Spenden von Bürgern aus den umliegenden Dörfern. „Eeessen!“, schreit Tuck 20 Minuten später. Mit schnellen Schritten kommen die anderen angerannt. Sie lassen sich auf die kaputten Gartenstühle und das löchrige Sofa fallen und verschlingen hungrig die Brote.
An diesem Tag sind die Klimaschützer nur zu viert, im Sommer seien es mehr als 30, erzählen sie. „Wir machen das aber nicht, weil es uns hier so gut gefällt, sondern weil es notwendig ist“, sagt Samuel Bosch. Und auch an anderer Stelle gibt es weiterhin Widerstand gegen den geplanten Kiesabbau. Die Gemeinden Baindt und Baienfurt haben inzwischen eine Klage vor dem Verwaltungsgerichtshof Mannheim gegen den Regionalverband eingereicht, der die Kiesgrube an dieser Stelle vorsieht. Und ansonsten ist für die Klimaaktivisten eines klar: „Wir bleiben bis zum Schluss!“ Das heißt: Notfalls wollen sie sich wegtragen lassen. Bilder, die man auch vom Hambacher Forst kennt.
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen