hier Zeit Ein Kommentar von Frida Thurm 3. Februar 2024
Demonstrationen gegen rechts: Ihhh, CSU, argh, die Antifa!
Aus dem Protest für die Demokratie kann eine Bürgerbewegung werden. Wenn Organisatoren nicht ausgrenzen. Und Teilnehmerinnen nicht erwarten, dass alle einer Meinung sind.
Bild links: Demo in Ravensburg
Demonstrationen gegen rechts: Wer nun das erste Mal seit Langem auf eine Demonstration geht, mag überrascht davon sein, dass dort nicht alle derselben Meinung sind.
Eine Alleinerziehende, ein IG-Metaller, eine Ärztin und ein Seenotretter kommen auf eine Demo, und nein: So beginnt kein mittelmäßiger Witz, sondern womöglich etwas Großes.
Wenn sich am heutigen Samstag in mehreren deutschen Städten Hunderttausende Menschen unter dem Motto "Wir sind die Brandmauer" zusammenschließen, dann deshalb, weil sie ein gemeinsames Ziel eint: die Demokratie zu verteidigen. Zu den Unterzeichnern gehören die Gewerkschaften IG Metall, Ver.di und GEW ebenso wie Pro Asyl, die Ärztekammer Berlin und die evangelische Kirche.
In den vergangenen Wochen hatte es immer wieder Debatten darüber gegeben, wer auf den Demos gegen die AfD und Rechtsextremismus willkommen ist und wer nicht. Eine Organisatorin der Münchener Demo hatte zum Beispiel erklärt, dass die CSU unerwünscht sei, daraufhin sagte Bayerns Antisemitismusbeauftragter, ein CSU-Abgeordneter, seine Teilnahme ab.
Das ist kaum verwunderlich in einer Gesellschaft, der die Räume abhandenkommen, in denen Menschen mit unterschiedlichen Ansichten aufeinandertreffen. In der Sportvereine und Kirchen Mitglieder verlieren und in den Telegram- und WhatsApp-Gruppen nur Nachrichten geteilt werden, die das eigene Weltbild bestätigen.
Wer nun also das erste Mal seit Langem (oder sogar das allererste Mal) auf eine Demonstration geht, wie es viele auf den großen Protesten der vergangenen Wochenenden sagten, mag überrascht oder sogar unangenehm berührt sein, wenn Rednerinnen offene Grenzen für alle fordern, man selbst aber dagegen ist. Gleichzeitig finden sich Demoprofis wie die Antifa Jugend Saar nun mit der Jungen Union auf derselben Veranstaltung und verteilen dafür Entschuldigungsflyer.
Damit sich aus der Empörung über das Geheimtreffen von Rechtsextremen in Potsdam und dem offensichtlich von vielen gehegten Unbehagen über das Erstarken der AfD eine Bürgerbewegung formt, müssten all diese Differenzen in den Hintergrund treten. Das ist eigentlich nichts Neues. Als 2011 Hunderttausende in Menschenketten für einen Atomausstieg protestierten, werden sich viele davon über die Ehe für alle oder die Vermögensteuer uneins gewesen sein. Als 1989 zwei Millionen DDR-Bürger quer durchs Land eine Menschenkette für die "Erneuerung und Demokratisierung unserer Gesellschaft" bildeten, werden sich manche darunter das Ende einer Diktatur vorgestellt haben, andere eine Reform ihres Staates.
Es gab in den Neunzigern Versuche, eine breite Bewegung gegen rechtsextreme Tendenzen ins Leben zu rufen. Und 2018 hatte das Unteilbar-Bündnis als Reaktion auf Pegida, eine stärker werdende AfD und rechtsextreme Proteste in Chemnitz und Köthen zu einer Großdemo für Solidarität nach Berlin aufgerufen, Hunderttausende kamen. Doch 2022 löste sich das Bündnis auf, obwohl in der Zwischenzeit die rassistisch motivierten Morde an Walter Lübcke und neun Menschen in Hanau verübt worden waren. Nach eigenen Angaben hörte das Bündnis auf, weil die Dynamik verloren gegangen sei – nicht zuletzt, so vermuteten einige Organisatoren, weil zu diesem Zeitpunkt viele der Engagierten sich genügend positive Veränderung durch die neue Ampelkoalition versprachen.
Diese Hoffnung hat sich wohl erledigt. Auch weiß man inzwischen konkreter, was eine mögliche Regierungsbeteiligung der AfD nach den Landtagswahlen bedeuten könnte. Der Thüringer AfD-Spitzenkandidat Björn Höcke kündigte für diesen Fall einen Fünfpunkteplan an, darunter: sämtliche Fördermittel für Demokratieprojekte und den Kampf gegen Rechtsextremismus zu streichen und Klimaschutzmaßnahmen zu beenden. Der AfD-Bundestagsabgeordnete René Springer schrieb als Reaktion auf die veröffentlichten Pläne zur massenhaften Vertreibung von Menschen aus Deutschland auf der Plattform X: "Wir werden Ausländer in ihre Heimat zurückführen, millionenfach. Das ist kein Geheimplan. Das ist ein Versprechen."
Im ARD-Deutschlandtrend vom Donnerstag antworteten 39 Prozent der Menschen auf die Frage: Was ist Ihrer Meinung nach die aktuell größte Gefahr für die Demokratie in Deutschland? Mit: "Rechtsextremismus und Rechtspopulismus" – fast doppelt so viele wie im Oktober 2022.
Der Sprecher des Bündnisses Wir sind die Brandmauer, Tareq Alaows, sagt, er hoffe, dass der CDU-Chef Friedrich Merz auch zur Demo kommen werde. Es könnte der Beginn von etwas Großem sein.
Der Freitag hier Ausgabe 05/2024 Dorian Baganz
Friedemann Karig über Demos gegen Rechts: „Italien zeigt: Protest schwächt Faschisten“
Im Gespräch Friedemann Karig weiß, wie eine soziale Bewegung Giorgia Meloni und ihre Kameraden empfindlich treffen konnte. Schaffen es die deutschen Demos, die AfD auszubremsen? Ein Gespräch über Grenzen und Nutzen von demokratischem Protest
„Die Demos zeigen: Das Immunsystem unserer Demokratie funktioniert“, sagt Friedemann Karig
Autor Friedemann Karig könnte es eigentlich richtig gut gehen: In Los Angeles arbeitet er gerade im schön gelegenen Thomas-Mann-Haus an einem neuen Buch über Protestkultur. Doch dieser Tage wäre er fast lieber in seinem Heimatland. Was erhofft er sich von den hiesigen Protesten seiner Mitbürgerinnen?
der Freitag: Herr Karig, wenn Sie in Deutschland wären, würde man Sie dann bei den Demos gegen rechts treffen?
Friedemann Karig: Ganz sicher sogar. Ich bin fast ein bisschen traurig, nicht in Deutschland zu sein. Als ich die Bilder gesehen habe, nicht nur von den Hunderttausenden in Großstädten, sondern auch von den kleineren Orten, das hat schon gutgetan.
Ist der Ansatz „Die Mitte bekämpft die Nazis“ erfolgversprechend?
Die Mitte hat diesen Kampf in der deutschen Geschichte schon einmal verloren – mit furchtbaren Folgen. Und ich glaube, wir in der Gegenwart haben noch nicht ganz begriffen, was es bedeutet, den Faschismus und seine Kräfte an die Macht zu lassen. Wir wissen von der Geschichtswissenschaft, dass die Mitte in der Weimarer Republik wahrscheinlich die Chance gehabt hätte, den faschistischen Angriff gegen die Demokratie aufzuhalten. Das ist gut belegt. Heute ist das nicht anders: Die Mitte kann das aufhalten.
Da bin ich mir nicht sicher. Seit der Correctiv-Recherche über das Geheimtreffen von AfD-Politikern mit anderen Rechtsradikalen zur Planung von Massendeportationen trudeln in der AfD-Bundesgeschäftsstelle viele Mitgliedsanträge ein, angeblich bis zu 150 an einem Tag. Das berichtet die „Frankfurter Allgemeine Zeitung“.
Ich habe den FAZ-Text auch gelesen – und mich über ihn geärgert.
Warum?
Weil er die Zahlen als Faktum hinstellt, während die AfD bewusst das Narrativ bedient, dass ihr die Recherche und die Proteste helfen – mit Zahlen, die auch aufgrund von Rechentricks so hoch sind. Natürlich gibt es in Deutschland einen stabilen Kern von Rechtsextremen und Neonazis. Ich würde sagen: ungefähr zehn Prozent. Die wird man mit keiner Recherche und keiner Demonstration in den Griff kriegen, sondern nur mit sehr viel staatlicher Intervention, auch Antiradikalisierungsprogrammen. Auf diese zehn Prozent kommt dann eine viel größere Zahl von Menschen, die offen sind für diese Ideologie, weil sie etwa rassistisches Gedankengut haben. Diese Menschen kann man aber erreichen, sich darum kümmern, dass sie nicht weiter abdriften.
Zu welcher Kategorie gehören die Neumitglieder in der AfD aus diesen Wochen?
Wer tatsächlich wegen der Correctiv-Recherche kommt: zu ersterer. Wer nach so einer Recherche in die AfD eintritt, der ist für demokratische Parteien mittelfristig nicht mehr erreichbar. Das muss man so deutlich sagen.
Es scheint mir, dass sich auch auf die Demonstrationen ein differenzierender Blick lohnt: Die Antifa läuft mit, aber in München auch Markus Söder. Können Sie erklären, warum so verschiedene Leute zusammen auf die Straße gehen?
Weil da grundsätzlich alle Menschen demonstrieren, die nicht gegen die Demokratie sind.
Und bei 82 Millionen Deutschen ergibt das nun mal kein eintöniges Bild. Wer hat denn zu diesen Demonstrationen aufgerufen? Verbände, Gewerkschaften, Kirchen, ein sehr bunter Haufen. Bundesjustizminister Marco Buschmann von der FDP hatte bei Twitter extra noch mal klargestellt: Nur weil man bei einer Demo gegen rechts mitläuft, ist man noch lange nicht links!
Da waren bestimmt viele Liberale dankbar, dass Buschmann das noch mal deutlich gemacht hat.
Glaube ich auch. Mancherorts ist die FDP gar nicht erst als Gastgeber aufgetreten, weil ihnen der Protest zu links war. Manche Liberale haben anscheinend große Angst vor Kontaktschuld (lacht).
In Thüringen liegt die AfD laut neuester Umfrage bei über 33 Prozent. Was bringen die Proteste, wenn die Rechten dennoch immer stärker werden?
Wir sind in Deutschland tatsächlich unheimlich anspruchsvoll, was die Verwertungslogik von politischem Engagement angeht. Ich bin mir sicher, wir werden die Wirksamkeit sehen – aber nicht nach einem oder zwei Wochenenden. Ich kann meine Behauptung auch dingfest machen.
Wie?
Mit einer Studie aus Italien.
Dem Land, wo eine Frau regiert, die nach eigenem Bekunden ein „entspanntes Verhältnis zum Faschismus“ hat?
Ja, und in dem es auch die rechtsextreme Lega von Matteo Salvini gibt. Eine Studie des Politikwissenschaftlers Francesco Colombo hat 2020 untersucht, wie sich die gegen rechts gerichtete Protestbewegung „Sardinen“ 2019 in Regionen wie der Emilia-Romagna auf die Wahlergebnisse ausgewirkt hat.
Die „Sardinen“ nannten sich so, weil sie eine solche Masse organisierten, dass die Teilnehmer so dicht gedrängt beieinanderstanden wie Sardinen.
Die Studie zeigte: Die „Sardinen“-Demos kosteten sowohl die Lega als auch die Fratelli d’Italia von Giorgia Meloni vier Prozentpunkte. Dieser kausale Zusammenhang konnte hergestellt werden: Wo demonstriert wurde, sank das Wahlergebnis der Rechten – wo nicht demonstriert wurde, da nicht.
Und wieso hat das funktioniert?
Die Forscher bieten Erklärungsansätze. Erstens spielte „virtue signalling“ eine Rolle: Der normative Wert, keine Rechtsextremen zu wählen, wurde in den betroffenen Regionen von den „Sardinen“ gestärkt. Zweitens wurden die programmatischen Inhalte der Parteien öffentlich kommuniziert. Da haben die Leute plötzlich gemerkt: Ups, das ist für mich ja gar nicht so gut, eine fremdenfeindliche Partei zu wählen. Drittens: Die Zivilgesellschaft hat gezeigt, wie stark sie ist. Da haben viele realisiert: Ich kann zwar Lega Nord oder die Fratelli wählen, aber die kommen sowieso nicht an die Macht, weil keiner mit denen koalieren will.
Es gibt aus Deutschland ein Gegenbeispiel: 65.000 Menschen haben nach rassistischen Ausschreitungen 2018 in Chemnitz demonstriert und Bands wie Kraftklub gelauscht. „Wir sind mehr“, hieß es damals. Und was passierte bei der nächsten Landtagswahl in Sachsen? Die AfD bekam 28,5 Prozent! Das ist doch zum Verzweifeln.
Ich verstehe Ihren Gedanken. Mir ging es damals ähnlich: Es hat offensichtlich nicht funktioniert – Punkt. Aber wir dürfen doch nicht immer denselben Fehler machen …
Welchen?
Erst sind wir total alarmiert, gehen auf die Straße. Dann sehen wir keine direkten Auswirkungen unseres Engagements und verfallen in Lethargie und Enttäuschung. Ein einziges Konzert, eine einzige Demonstration wird niemals so ein komplexes Phänomen wie den Rechtsextremismus in Deutschland aufhalten können. Demokratie braucht nachhaltige Hingabe, dauerhafte Manifestation, nur so können wir sie erhalten.
Was bringen so Veranstaltungen konkret, außer Symbolischem?
Unter anderem: Selbstvergewisserung.
Echt? So wenig?
Das ist nicht wenig! Die demokratische Mitte in einem Land muss sich immer erst konstituieren, und sobald sie das getan hat, muss sie sich regelmäßig selbst vergegenwärtigen, dass sie noch existiert. Das funktioniert auf Demos und Konzerten gut, über Musik, Bewegung, das gemeinsame Laufen …
In Düsseldorf haben 100.000 Menschen demonstriert. Woher kommen die alle plötzlich?
Aus der empirischen Psychologie wissen wir, wann ein Protest viele Menschen mobilisiert. Zwei Dinge sind wichtig: Selbstwirksamkeit und Gruppenbewusstsein. Der Protest muss den Menschen die Überzeugung geben, dass sie etwas erreichen können, und er muss ihnen das Gefühl vermitteln, dass sie nicht allein sind.
Hätten Sie keine Bauchschmerzen dabei, mit Politikern wie Olaf Scholz und Markus Söder auf die Straße zu gehen?
Und wie. Ich werde sogar wütend, wenn ich mir vorstelle, dass diese Menschen für gewisse Entwicklungen in unserer Gesellschaft mitverantwortlich sind. Aber meine Wut spielt im jetzigen Augenblick keine Rolle. Jetzt geht es um die Gesundheit unserer Demokratie. Rechtsextreme müssen langfristig von den Schalthebeln der Macht ferngehalten werden. Darum geht es. Dafür muss das Immunsystem unseres politischen Systems funktionieren. In dieser Situation fange ich doch nicht an, zu hinterfragen, ob dieser oder jener beteiligte Politiker mir persönlich recht ist. Diese Sturheit hat Deutschland schon einmal ins Verderben gestürzt.
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