Südkurier hier Rolf Hohl 3.2.24
Krisen sind Hochzeiten für Unheilspropheten – und einige befinden sich direkt in unserer Nachbarschaft. Doch zum Glück wissen die Schweizer nicht nur, warum uns Unheil droht: Sie verraten uns auch das Rezept zur Rettung.
Neidvoll blicken wir zu unseren Nachbarn: In der Schweiz weiß man, wie sich der Untergang vermeiden lässt.
Mit Prophezeiungen ist es so eine Sache. Bis sie widerlegt sind, kann es oft eine ganze Weile dauern, und so lange gelten sie erst einmal als potenziell wahr. Anders als in der Antike muss heute aber niemand mehr den beschwerlichen Weg nach Delphi auf sich nehmen, um sich von einem benebelten Orakel die Zukunft lesen zu lassen. Heute übernehmen diese Aufgabe vorwiegend freiberufliche Publizisten im Netz oder in Buchform.
Man erinnere sich an den früheren Berliner Finanzsenator und Propheten Thilo Sarrazin, der schon 2010 verkündete, was heute wieder alle wissen: Deutschland schafft sich ab. Was dann aber folgte, war mehr als ein Jahrzehnt Rekord-Wirtschaftswachstum, Vollbeschäftigung und der Fußballweltmeistertitel. Na gut, man kann ja mal daneben liegen.
In eine ähnliche Richtung geht eine Artikelserie, in der sich das Schweizer Gratisblättchen „20 Minuten“ gerade mit dem Niedergang Deutschlands beschäftigt. Die Begründung: Die Leute hier sind zu dick, die Bahn fährt nicht, der Strom ist zu teuer, die Autos kommen aus China und kriminelle Clans rocken das Land kaputt.
Und das stimmt ja auch. Man erinnere sich an die Großfamilien Porsche, Piëch und Quandt, die mit dem Abgas-Beschiss ihrer Firmen Industrie und Staat Dutzende Milliarden gekostet haben. Das ist jetzt aber schon eine Weile her, und Deutschland gibt es immer noch. Da muss also was schiefgegangen sein beim Untergang.
Tritt gegen das Schienbein
Nun also der nächste Anlauf. Im Chor der Absturzpropheten singen Wirtschaftsbranchenverbände naturgemäß am lautesten mit. Denn wem es vermeintlich schlecht geht, der braucht Staatshilfe – und bekommt sie manchmal auch. Dazu hat sich längst ein passender Begriff etabliert: die Deindustrialisierung. Das klingt zwar etwas technisch, ist aber für das Land der Maschinenbauer und Ingenieure gleichbedeutend mit dem Absturz ins Bodenlose.
Diesmal kommt er, bestimmt! Ein publizistischer Tritt gegen das Schienbein, so dachte man wohl in der Schweiz, kann da nicht schaden. Auf dass die Prophezeiungen diesmal auch Wirklichkeit werden mögen.
Damit täte man den südlichen Nachbarn aber Unrecht, denn natürlich meinen sie es nur gut. Und so haben sie auch gleich ein paar Tipps zur Hand, wie es richtig geht. Höhere Löhne, Bürokratieabbau, niedrigere Steuern und mehr Investitionen von Staat und Unternehmen bräuchte es jetzt. Nanu, das hat man doch alles schon einmal gehört? Mag sein, ist aber nicht weiter schlimm. Manchmal funktionieren schließlich auch alte Rezepte gegen neue Krankheiten.
Ist doch nicht alles schlecht?
Und so kommen die Schweizer gegen Ende der Serie doch noch zu einem beruhigenden Fazit. So sei in diesem Jahr mit einer Erholung der deutschen Wirtschaft zu rechnen, die Inflation dürfte sinken und der private Konsum durch gute Lohnabschlüsse steigen.
Doch davon darf sich Deutschland nicht blenden lassen. Die Bahn ist dann schließlich immer noch marode, der Strom wird nur langsam billiger, China flutet mit noch mehr Karren den deutschen Automarkt, Kriminelle räumen weiter die Staatskasse aus – und wir werden immer dicker. Aber sei‘s drum, dann gehen wir immerhin gut genährt in den Untergang. Diesmal wirklich.
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