Frankfurter Rundschau hier Stand:07.11.2023, Von: Jörg Staude
Der Verkehrssektor verfehlt regelmäßig die Klimaziele.
Vor der Anhörung zum Klimagesetz an diesem Mittwoch halten Fachleute wenig vom geplanten CO2-Gesamtbudget. Umweltverbände befürchten eine „Entkernung“.
Er, Robert Habeck, müsse jetzt tapfer sein. Matthias Miersch, stellvertretender SPD-Fraktionschef im Bundestag, dreht sich zu dem auf der Regierungsbank sitzenden grünen Wirtschaftsminister hin. Anderthalb Minuten lang hatte sich Miersch bei der ersten Lesung des Klimaschutzgesetzes im Bundestag im September zuvor an den Abgeordneten der Union abgearbeitet. Er hatte die Story erzählt, wie die SPD und auch er persönlich im Kanzleramt in der „Nacht der Nächte“ gegen den Willen der Union das Klimaschutzgesetz aus der Taufe gehoben hatten.
Diese historische Nachtsitzung begann am 19. September 2019, einem Donnerstag. Am folgenden Freitagnachmittag verkündete die damalige Kanzlerin Angela Merkel (CDU) das Klimaschutzgesetz. Es wurde 2021 nach einem Urteil des Bundesverfassungsgerichts verschärft.
Das Kernstück des Gesetzes: Erstmals wurde für sechs Sektoren – Energie, Industrie, Gebäude, Verkehr, Landwirtschaft und Abfall – ein jährliches CO2-Emissionsbudget vorgegeben. Überschreitet ein Sektor sein Budget, muss das zuständige Ministerium ein Sofortprogramm zur Abhilfe vorlegen.
Diese Sofort-Pflicht im Klimaschutzgesetz will die Ampel-Koalition jetzt abschaffen und deswegen folgt auf die erste Lesung im September an diesem Mittwoch eine Anhörung von Fachleuten im Klimaausschuss des Bundestags.
Nach dem Willen der Ampel soll für die Einhaltung des deutschen CO2-Budgets künftig de facto nur noch die Bundesregierung als Ganzes zuständig sein. CO2-Mengen sollen zwischen den Ressorts hin- und hergeschoben werden können. Bis bei Überziehungen des Budgets CO2-Einsparprogramme vorliegen, könnten dann bis zu drei Jahre vergehen.
Klimaschutzgesetz: Umweltfachleute kritisieren „Entkernung“
Der Wegfall der Sofortprogramme gefällt Miersch ganz und gar nicht. Es sei unhaltbar, sagt er bei seiner Rede im September, dass in einigen Sektoren die Ziele gerissen würden, aber trotz der noch geltenden Rechtsverpflichtung, ein Sofortprogramm vorzulegen, nichts passiere. Dabei seien vor allem zwei Sektoren, Gebäude und Verkehr, nicht dort, wo man hinwolle. Diesen Mangel zu beseitigen sei die Aufgabe „selbstbewusster Parlamentarier“. Miersch wörtlich: „Wenn einzelne Ziele verfehlt werden, muss es einen Automatismus geben, der uns garantiert, dass die Ziele dennoch insgesamt eingehalten werden.“
Eine Woche nach seiner „Tapfer“-Rede war Miersch allerdings selbstbewusst genug, sich nicht bei einem Treffen sehen zu lassen, zu dem die Deutsche Umwelthilfe (DUH), die Klimabewegung Fridays for Future sowie Klima- und Rechtsfachleute der Bundestagsabgeordneten der demokratischen Parteien eingeladen hatten, exakt 653 von 735 Parlamentarier:innen.
Die Umweltleute wollten über die befürchtete „Entkernung“ des Klimagesetzes reden, bei der die Sektorziele geschwächt und die Sofortprogramme aufgehoben werden. Die einzige Abgeordnete, die zu dem Termin kam, war Lisa Badum von den Grünen. Dass nur eine Parlamentarierin sich der Diskussion stellte, sei ein Offenbarungseid, besonders für die Regierungsfraktionen, erklärte DUH-Geschäftsführer Sascha Müller-Kraenner nach dem Treffen. Dialogverweigerung könne kein Weg sein, auch wenn die Politik derzeit offenbar annehme, mit dem Thema Klimaschutz sei nichts mehr zu gewinnen. Schließlich habe die Zivilgesellschaft entscheidend mit dafür gesorgt, dass es überhaupt ein wirksames Klimagesetz gibt.
Klimaschutzgesetz: Anhörung am Mittwoch im Bundestag
An diesem Mittwoch nun hat Müller-Kraenner Gelegenheit, den Abgeordneten im Klima- und Energie-Ausschuss seine Position darzulegen. Als Sachverständiger ist er zur Anhörung zum Klimaschutzgesetz geladen. Auf der Tagesordnung steht auch das vom Kabinett beschlossene Klimaschutzprogramm.
Die Stellungnahmen der Sachverständigen veröffentlicht der Bundestag vielfach schon vor der Anhörung. Die von Müller-Kraenner ist deutlich: Mehrere Änderungen am Klimagesetz seien nicht akzeptabel, etwa die Aufweichung und Streichung zwingender und verbindlicher Beiträge der einzelnen Sektoren oder die direkte Pflicht zur jährlichen Nachbesserung.
Hier werde versucht, legt Müller-Kraenner in der Stellungnahme nach, säumige Ministerien von schlechter Presse zu verschonen und die „Klimablockadepolitik“ in Schlüsselsektoren wie dem Verkehr in einer mehrjährigen Gesamtrechnung zu verstecken.
So hart formulieren es andere Sachverständige nicht, die allermeisten aber sprechen sich gegen die Abschwächung der Sektorziele aus. Auch der mächtige Energie- und Wasserwirtschaftsverband BDEW plädiert dafür, die derzeit geltende Methodik beizubehalten. Alternativ sei denkbar, die gegenseitige Verrechnung von Über- und Untererfüllungen der CO2-Budgets nur bis zu einer bestimmten Grenze zu erlauben, etwa maximal fünf Prozent des Jahresziels des betreffenden Sektors.
Klimaschutzgesetz: Experte kritisiert Fehlen langfristiger Klimaschutz-Schritte
Auch Thorsten Müller von der Stiftung Umweltenergierecht sieht durch den Wegfall von Ressort-Zuständigkeiten für die Sofortprogramme und die stattdessen vorgesehene Handlungspflicht der gesamten Bundesregierung den Mechanismus des Klimagesetzes „deutlich geschwächt“. In seiner Stellungnahme setzt sich Müller ebenfalls für Automatismen ein, auch um weitere Schwächen des Gesetzes zu reduzieren oder zu beseitigen.
Zu den gravierenden Schwächen des bestehen Klimaschutzgesetzes gehört für Michael Pahle vom Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung, dass bisher mit den Sofortprogrammen CO2-Lücken geschlossen werden sollen, die in der Regel überhaupt erst entstünden, weil die langfristigen und strukturellen Maßnahmen zum Klimaschutz nicht ausreichten. So beschreibt es der Klimapolitikexperte in seiner Stellungnahme.
Anders gesagt: Für Michael Pahle sind die Sofortprogramme nur begrenzt sinnvoll, weil sie vor allem Lückenbüßer für eine insgesamt zu wenig ehrgeizige Klimapolitik sind. Dass nun auch die Sofortprogramme wegfallen sollen, sei vielleicht verkraftbar, aber nur, wenn sich grundsätzlich an der Klimapolitik etwas ändere.
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