Der Schluss zeigt deutlich in die richtige Richtung: "Mit der interkommunalen Wärmeplanung in der Hand, tourt Nietz bereits durch andere Landkreise in Deutschland, um die Verantwortlichen davon zu überzeugen, die Wärmewende über die einzelne Stadt und Gemeinde hinauszudenken und im Verbund Ideen und Lösungen zu entwickeln."
Energiezukunft hier Manuel Grisard
....Zu lange wurde auf billiges Gas und Öl aus Russland vertraut. Der Einbau von Gasheizungen war bis zuletzt Standard in deutschen Häusern. Noch 2021 war die Anzahl installierter Gasheizungen so hoch wie seit 25 Jahren nicht mehr. 653.000 Gasheizungen kamen hinzu. Im letzten Jahr waren es laut Zahlen des Bundesverband Deutsche Heizungsindustrie weiterhin 598.000 gasbasierte Geräte. Ein Anteil von 53,9 Prozent aller installierten Heizungssysteme. Immerhin: Wärmepumpen und Biomassekessel bekommen stetig Zuwachs.
Nachdem das Bundeswirtschaftsministerium unter Ägide von CDU/CSU, SPD und FDP die Wärmewende jahrelang sträflich vernachlässigte, kommt nun Bewegung in die Sache. Gemeinsam mit dem SPD-geführten Bauministerium, planen der Grüne Wirtschaftsminister Robert Habeck und sein Haus, dass ab 2024 nur noch Heizungssysteme neu verbaut werden dürfen, die mindestens zu 65 Prozent mit Erneuerbaren Energien betrieben werden. Praktisch bedeutet dies das Aus für Gas und Öl basierte Systeme. Wärmepumpen werden bereits bis zu 40 Prozent gefördert. Zudem plant die Europäische Union bis ins kommende Jahrzehnt hinein eine Sanierungsoffensive für Häuser mit einer besonders schlechten und klimaschädlichen Energiebilanz. Einkommensschwache Eigentümer sollen besonders unterstützt werden.
Auf Landesebene, in Baden-Württemberg, hat man die Probleme schon etwas früher begriffen. Im Herbst 2020 führte das Land als erstes deutsches Bundesland eine verpflichtende kommunale Wärmeplanung für Kommunen mit mehr als 20.000 Einwohnern ein. Bis Ende 2023 werden diese dazu verpflichtet, einen Wärmeplan aufzustellen, mit dem Ziel eines klimaneutralen Gebäudebestands 2040. Bereits 2030 sollen Gebäude in Baden-Württemberg 49 Prozent weniger Treibhausgase verursachen, im Vergleich zum Referenzjahr 1990. Einer verpflichtenden Wärmeplanung müssen im Kreis Lörrach nur die urbanen Zentren, Rheinfelden, Weil am Rhein und die Stadt Lörrach nachkommen.
Hoher Wärmebedarf in den urbanen Zentren im Süden des Landes
Doch die Verantwortlichen des Landkreises gingen noch einen Schritt weiter und beauftragten unter anderem das Beratungs- und Planungsbüro endura kommunal, einen interkommunalen Wärmeplan für die gesamte Region zu erstellen. Ein Wärmeplan, der fast 230.000 Menschen auf einer Fläche von 807 Quadratkilometer umfasst, von der kleinen Gemeinde Böllen, mit gerade mal 99 Einwohnern, bis hin zur Stadt Lörrach, mit 49.000 Einwohnern. Angesichts unterschiedlicher Begebenheiten an Geographie, Bevölkerungsdichte und Potenzialen, etwa der Industrie, eine riesige Herausforderung, die Wärmeversorgung künftig klimaneutral zu gestalten.
Rolf Pfeifer, Geschäftsführer von endura kommunal, beschreibt den Startschuss der interkommunalen Wärmeplanung: „Im Januar 2021 haben wir angefangen, mit den uns zur Verfügung gestellten Daten eine Bestandserhebung zu machen. Wieviel Energie wird gebraucht, mit welchen Energieträgern wird die Wärme bereitgestellt. Durch was für Netze fließt die Wärme. Davon ausgehend haben wir die Potenziale im Landkreis zum Umstieg auf Erneuerbare Energieträger ermittelt – und das differenziert nach den jeweiligen Begebenheiten vor Ort.“
Ein besonderes Manko sehen die Experten in dem geringen Bestand an Wärmenetzen.
Gerade einmal fünf Prozent der Wärmeversorgung im Landkreis sichern Wärmenetze. Eine riesige infrastrukturelle Herausforderung, die Pfeifer nicht nur auf Lörrach, sondern auf ganz Deutschland zukommen sieht: „Hofiert von einer gasfreundlichen Politik, haben die Energieversorger in den letzten Jahren fleißig ihre Gasnetze ausgebaut, anstatt in Wärmenetze zu investieren.“ Gasnetze, mit denen der Umstieg auf klimafreundliche Energieträger nicht so einfach ist, wie manche glauben machen. In bestehende Gasnetze kann der viel gepriesene Wasserstoff nur in geringem Maße – aktuell etwa zehn Prozent – beigemischt werden. Auch wird grüner, aus Erneuerbaren Energien hergestellter Wasserstoff auf Sicht ein knappes Gut bleiben.
Wärmenetze hingegen können auf vielfältige Art und Weise für klimafreundliche Energie genutzt werden. Abwärme der Industrie identifizierten die Experten von endura kommunal vor allem in den dicht besiedelten Gebieten des Landkreises Lörrach als Lösung. Eine AbwärmeRingleitung könnte einmal die urbanen Zentren im Süden miteinander verbinden und versorgen – von Rheinfelden über Schopfheim, bis Lörrach und Weil am Rhein. Insgesamt 37 Prozent des Wärmebedarfs des Landkreises sollen, den Vorstellungen der interkommunalen Wärmeplaner nach, Wärmenetze bewerkstelligen, davon Dreiviertel die Abwärme-Ringleitung. Abwärme, die großindustrielle Prozesse verursachen und nur mit Hochtemperaturwärme betrieben werden können. Nach Möglichkeit nur dort soll der Champagner der Energiewende, grüner Wasserstoff, aufgrund seiner hohen Energiedichte eingesetzt werden. Wobei auch Biomasse eine Option ist.
Eine riesige Abwärme-Ringleitung soll die urbanen Zentren versorgen
In den urbanen Zentren gelte es, Wärmenetze in großem Umfang auszubauen, so Pfeifer. „Ergänzt zum Teil durch Wärmepumpen. Denn die Abwärmepotenziale von Industriebetrieben liegen teilweise im Niedertemperaturbereich von unter 50 Grad. Die können sie nicht in die Wärmenetze einspeisen. Dafür braucht es Wärmepumpen, die die Abwärme auf bis zu 70 Grad hochbringen.“ Wärmepumpen, die im Süden, in den urbanen Zentren, unter anderem per Photovoltaik erneuerbar mit Strom betrieben werden sollen. Ebenso zum Einsatz kommen Wärmepumpen mittels sogenannter Erdwärmesonden, die die oberflächennahe Geothermie bis zu 150 Metern Tiefe nutzen und Wärme aus der Erde über spezielle Wärmeträgerflüssigkeiten an die Erdoberfläche bringen. Die für das Heizen nötige Temperaturanhebung erfolgt dann über die Wärmepumpen.
Erdwärme dagegen, die aus mehr als 400 Metern Tiefe gewonnen wird, bezeichnet man als Tiefengeothermie, die ein deutlich höheres Temperaturniveau hat und über Wärmenetze große Gebiete direkt mit Erneuerbarer Energie versorgen kann. Großes Potenzial hat vor allem der Oberrheingraben und die dortige 30.000 Einwohner zählende Stadt Weil am Rhein. Dort liegen sogenannte positive Temperaturanomalien vor. Es ist im Erdinnern also deutlich heißer als anderswo. Die Höhenunterschiede zwischen Schwarzwald und Rheinbecken sorgen neben den passenden Gesteinsschichten für den besonders heißen Untergrund.
Auch im ländlich geprägten Norden des Landkreises gibt es geothermische Potenziale, die nach Bewertung von endura kommunal vorwiegend dezentral und oberflächennah, mit direktem Zugang zu den Gebäuden eingesetzt werden sollen. Neben der Solarenergie wurde für den Norden ein erhebliches Windkraftpotenzial identifiziert, mit dem die vielen zusätzlich nötigen Wärmepumpen im Landkreis betrieben werden können. Ohne eine Reduzierung des Gesamtwärmeverbrauchs seien aber alle identifizierten Potenziale obsolet, konstatieren die Experten von endura kommunal. Bis 2030 müsse der Gesamtwärmeverbrauch im Landkreis um ca. 16 Prozent und bis 2040 um ca. 32 Prozent gesenkt werden. Eine deutlich gesteigerte Sanierungsquote ist nötig. „Uns geht es bei der interkommunalen Wärmeplanung darum, die politischen Akteure davon zu überzeugen, dass sie etwas tun müssen und ihnen eine Orientierung zu geben, wie sie es tun können“, sagt Pfeifer.
Ist- und Soll-Zustand der interkommunalen Wärmeplanung
Mitte November 2022, und damit ein Jahr früher als vom Land Baden-Württemberg vorgeschrieben, wurde der Abschlussbericht veröffentlicht. Und der gibt nicht nur auf fast 100 Seiten einen Überblick über den gesamten Landkreis, sondern auf insgesamt gut 1.000 Seiten erhalten alle 35 Städte und Gemeinden des Landkreises Lörrach eine bedarfsgerechte Analyse. Eine Analyse, die im Landkreis positive Reaktionen hervorruft. Schließlich waren es die politischen Akteure selbst, die 2020 die Arbeit in Auftrag gaben.
„Wir erleben im Moment eine große Offenheit, hinsichtlich alternativer Wärmeversorgung, bei den politisch Verantwortlichen und Bürgern vor Ort“, sagt Inga Nietz, Leiterin der Stabstelle Klimaschutz im Landkreis. „Die Menschen wollen weg von Öl und Gas. Sie haben verstanden, dass das fossile System einfach nicht mehr funktioniert.“ Die Analyse der konkreten Machbarkeit der Abwärme-Ringleitung zur Verbindung der urbanen Zentren wird derzeit auf den Weg gebracht, so Nietz. 40 Kilometer soll diese einmal lang sein und damit neue Maßstäbe setzen. Mit der interkommunalen Wärmeplanung in der Hand, tourt Nietz bereits durch andere Landkreise in Deutschland, um die Verantwortlichen davon zu überzeugen, die Wärmewende über die einzelne Stadt und Gemeinde hinauszudenken und im Verbund Ideen und Lösungen zu entwickeln. Sie stößt damit auf offene Ohren.
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