DER STANDARD hier
Liebe Leserin, lieber Leser,
die Letzte Generation klebt wieder – aber nicht nur. Die Klima-Aktionsgruppe hat am Dienstag ihre dritte Aktionswelle in Wien gestartet, einige Aktivistinnen und Aktivisten klebten sich auf der Fahrbahn am Währinger Gürtel fest, heute waren die Straßen entlang des Donaukanals dran. Aber in der Innenstadt setze die Letzte Generation auf eine ganz andere Protestmethode: Demonstrieren.
Am Ring spazierte eine Gruppe auf der Fahrbahn, vorübergehend staute sich der Verkehr deshalb von der Operngasse bis zum Stadtpark. Mit dem Marsch über den Ring "erreichen wir mehr Menschen", sagt Demonstrantin Katharina zum STANDARD. Erreichen konnte die Aktion jedenfalls rund 20 Personen aus der Wissenschaft, die sich – wortwörtlich – hinter die Gruppe stellten. Bereits vor rund zwei Wochen bekam die Gruppe Unterstützung von etwa 1.400 Wissenschafterinnen und Wissenschaftern.
Doch das darf nicht darüber hinwegtäuschen, dass die Aktionen umstritten bleiben. Rückblickend werden die Aktivistinnen und Aktivisten dennoch auf der richtigen Seite der Geschichte stehen, schreibt mein Kollege Martin Tschiderer in seinem Kommentar. Auch die Suffragetten, die für das Frauenwahlrecht kämpften oder die US-Bürgerrechtsbewegung waren anfangs umstritten – die Errungenschaften dieser Gruppen stellt heute aber niemand mehr infrage.
Doch die Klimaaktivistinnen und Aktivisten von heute lassen sich nicht ohne weiteres mit der früheren Bewegungen vergleichen, findet Manuel Grebenjak. Der Klimaaktivist und Autor argumentiert in einem Gastbeitrag, dass ziviler Ungehorsam meist nur der Startschuss für Umwälzungen war. Dass Rosa Parks sich weigerte, ihren Sitzplatz für einen weißen Fahrgast zu räumen, brachte nicht allein das Ende der Rassentrennung in den USA. Es waren Massenproteste und eine lange vorbereitete Kampagne, die den städtischen Buslinien auch wirtschaftlich schadete.
Die Bewegung müsste nun also nicht nur überlegen, was ihr „Parks-Moment“ ist, sondern auch, wie es weitergeht. Mit halbjährlichen Streiks und Aktionen einer kleinen Minderheit bleibt die politische Macht der Bewegung jedenfalls beschränkt. Um wirklich etwas verändern zu können, muss die Klimabewegung aktuelle politisches Momentum aufgreifen, vielleicht radikaler werden – und sich sogar spalten.
Autos, der (zumindest symbolische) Feind der letzten Generation sind oft eine unfaire Sache, findet die Arbeiterkammer und die Gewerkschaft. Sie fordern eine Reform der Pendlerpauschale, die Ende Juni 2023 ausläuft. Statt Geld für Autokilometer soll es einen Ökobonus für diejenigen geben, die nachweislich die Öffis benutzen. Davon würden, so AK und ÖGB, Pendelnde mit kleinem und mittleren Einkommen besonders profitieren.
Doch es ist nicht immer einfach, Bus und Bahn zu nehmen. Wer gerne Zeit in der Natur verbringt, kennt das: Die schönsten Wanderrouten sind oft die entlegensten – und öffentlich nur suboptimal zu erreichen. Dass man die Natur auch ohne Auto genießen kann, will STANDARD-Journalistin Stefanie Ruep in ihrem neuen Buch "Mit Bahn und Bus zum Berggenuss" zeigen. Stefanie hat selbst kein Auto und hat 80 Wanderrouten rund um Salzburg in ihrem Guide gebündelt.
Außerdem erfahren Sie in unserem Newsletter diese Woche, wie man mit Kindern am besten über das Klima spricht, wie Häuser fast ganz ohne Heizung und Klimaanlage auskommen und wie die Landwirtschaft klimaneutral werden könnte.
Eine spannende Lektüre wünscht
Philip Pramer
Standard Martin Tschiderer 2. Mai 2023 hier
Klimakleber: Die Geschichte wird den "Radikalen" recht geben
Gesellschaftliche Veränderungen begannen immer damit, dass eine Minderheit Dinge einforderte, die eine Mehrheit zunächst zu extrem fand
Der Kampf der Suffragetten für das Frauenwahlrecht. Der Kampf der US-Bürgerrechtsbewegung für ein Ende der Rassengesetze. Und der Kampf der Klimaaktivisten für mehr Maßnahmen zur Reduktion des CO2-Ausstoßes. Alle drei Protestbewegungen haben zwei Dinge gemeinsam. Erstens: Das zentrale Mittel des Protests war ziviler Ungehorsam. Zweitens: Die große Mehrheit der Bevölkerung lehnte die Proteste zum jeweiligen Zeitpunkt ab. Die Forderungen – und auch die Protestformen selbst – hielten viele für zu radikal.
Suffragetten und US-Bürgerrechtler haben aber noch etwas gemeinsam: Die Errungenschaften, für die sie damals kämpften, sind heute in jeder Demokratie selbstverständlich. Anders gesagt: Die Geschichte hat den "Radikalen" von einst recht gegeben.
Wahlrecht für Frauen und die schwarze US-Bevölkerung sind dabei nur zwei historische Beispiele unter vielen. Ob Recht auf Krankenstand oder Ehe für alle: Jede gesellschaftliche Veränderung begann damit, dass eine Minderheit Dinge einforderte, die eine Mehrheit für extrem oder bedrohlich hielt.
Umso irritierender ist die Wut, die heute jugendlichen Klimaaktivistinnen und -aktivisten entgegenschlägt. Denn die Diagnose der jungen Protestierenden ist richtig – und die Wissenschaft bestätigt sie: Die aktuellen politischen Maßnahmen reichen nicht aus, sie werden zu langsam umgesetzt, um die drohende Klimakatastrophe noch abwenden zu können. Zumindest für eines stehen die Chancen daher hoch: dass die Geschichte auch den Klimaaktivisten als "Radikalen" von heute einmal recht geben wird.
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